Selbstverständlich ist man in der EU not amused über den Brexit. Man ärgert sich schwarz über diese unnötige, neue politische Großbaustelle. Um die Wogen aber (finanz-)wirtschaftlich zu glätten und um zumindest eine stabile politische Seitenlage hinzubekommen, könnte die EU Großbritannien eine Art „privilegierte Partnerschaft“ gewähren, die die Handels- und Finanzbeziehungen auf eine stabile Grundlage stellt. Allerdings darf dieser Deal nicht so aussehen, als ob Großbritannien auch noch für sein Ausstiegsvotum belohnt würde.
Dann könnte man den Brexit zeitlich weit nach hinten schieben. Bei den Londoner Buchmachern wird es demnächst eine neue Wette geben. Was passiert zuerst? Die Griechen zahlen ihre Schulden zurück oder die Briten treten aus der EU aus?
Überhaupt wird die EZB mit Argusaugen die Entwicklung der Staatsanleiherenditen in den Euro-Staaten beobachten. Sollte der britische Austritts-Virus wie BSE auch andere mögliche Aussteigerländer oder Banken befallen, wird die EZB ihr geldpolitisches Breitbandantibiotikum noch großzügiger verteilen. Sie wird versuchen, alle Finanz- und Bankenprobleme in Liquidität zu ertränken. Eine Schubumkehr der bislang gefallenen Renditen und damit eine neue Staatsschuldenkrise darf es nicht geben. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass die Fed das Wort Zinserhöhung aus ihrem Duden entfernt hat. Niemand wird Öl in das lodernde Feuer der finanzwirtschaftlichen Unsicherheit gießen.
Brüssel, schau nicht auf das Problem der EU, du bist das Problem der EU
Das Brexit-Votum bringt es ähnlich gnadenlos ans Licht wie die Sonne ungeputzte Fenster: Die EU ist in einer schweren Krise. Man konnte die Familie nicht zusammenhalten. Die Brüsseler Eurokraten mögen jetzt als Verteidigung einwenden, dass die Briten selbst das Referendum angezettelt haben. Und man verweist ja auch immer wieder gern auf die „Wertschätzung“ Europas durch viele Engländer, die mit Kopf- und Bauchschmerzen gleichzusetzen ist. Und viele Unverbesserliche auf der Insel glauben immer noch an die Wiedergeburt des British Empire wie Kleinkinder an das Christkind.
Seite fünf: Brüssel muss nicht überall seine Nase reinstecken