Die gesetzliche Pflegeversicherung musste die Beiträge mehrfach anpassen. Wie solide ist die Kalkulation in der PKV?
Bahr: Die Leistungsausweitung ist bei uns durchaus vergleichbar mit der gesetzlichen Krankenkasse. In der PKV gibt es bei der Pflegepflichtversicherung eine gemeinsame Verbandskalkulation. Die vom Gesetzgeber festgelegten Leistungsausweitungen haben dazu geführt, dass wir die Beiträge in der Pflegeabsicherung anheben mussten – zum ersten Mal seit Mitte der 90er-Jahre.
Die gesetzlichen Pflegekassen haben dagegen kontinuierlich die Beiträge angepasst mit der Folge, dass die Betroffenen immer mehr zahlen. Insofern sieht man an diesem Beispiel sehr gut die Vorteile der Kapitaldeckung gegenüber dem Umlagesystem: Wer Mitte der 90er-Jahre in die PKV eingestiegen ist, zahlt heute deutlich weniger als in der GKV für die Pflege.
Die gesetzliche Pflegeversicherung lebt von der Hand in den Mund. Eine Reform ist nicht in Sicht.Die Zahl der Pflegefälle wird in den kommenden Jahrzehnten steigen. Sind wir als Gesellschaft auf das, was auf uns zukommt, vorbereitet?
Bahr: Nein, sind wir nicht. Ich habe es ja selbst erlebt. Als damaliger Gesundheitsminister habe ich für eine stärkere Eigenvorsorge und Kapitaldeckung in der Pflege gekämpft. Zuvor, Mitte der 90er- Jahre, ist die Entscheidung getroffen worden, die Pflegekasse im Umlagesystem zu finanzieren. Und auch damals kannte man bereits die Altersentwicklung der Bevölkerung. Heute kann man sagen, die Umlagefinanzierung war eine Fehlentscheidung. Sie ist nur schwer zu korrigieren, denn um kommende Generationen zu entlasten, müssten wir die Beitragszahler heute in der Breite mehr belasten. So etwas ist schwer durchzusetzen. Leider.
Viele in der Politik setzen darauf, dass die wirtschaftliche Lage weiter so gut ist, dass Deutschland sich leisten kann, immer mehr für die Pflege zu zahlen. Das ist aber eine riskante Wette. Wir haben eine gute Pflegeinfrastruktur, gute Einrichtungen, gut ausgebildete Pflegekräfte. Trotzdem geht es darum, wie das künftig finanziert wird.
Und darauf hat die Gesellschaft in Deutschland noch keine Antwort. Sicher ist, dass unsere Kinder wohl deutlich mehr zahlen müssen. Eine Möglichkeit, die Pflegeversicherung der Zukunft nachhaltig und dabei bezahlbar zu gestalten, ist der Ausbau der kapitalgedeckten Vorsorge, zum Beispiel mit einer privaten Pflegezusatzversicherung.
Wie bewerten Sie die Reformanstrengungen Ihres Amtsnachfolgers Jens Spahn?
Bahr: Bitte haben Sie Verständnis, aber ich habe mir vorgenommen, über Amtsnachfolger und ihre Arbeit in Interviews grundsätzliche keine Bewertungen anzustellen.
Aber Sie halten die Diskussion, die er angestoßen hat, für sinnvoll?
Bahr: Das hat nichts mit Jens Spahn zu tun. Ich finde es richtig, dass die Herausforderungen der Pflege von der Politik in die Öffentlichkeit getragen werden. Dass wir das Bewusstsein dafür bekommen, dass es hierzulande immer mehr Pflegebedürftige geben wird und immer weniger Jüngere. Früher war es selbstverständlich, dass die Schwiegertochter oder Tochter die Mutter oder den Vater pflegt. Heutzutage hat die Hälfte der über 70-Jährigen Angehörige, die über zwei Fahrtstunden entfernt wohnen, Frauen gehen einem eigenen Beruf nach und Eltern wollen ihre Kinder oft nicht mit der Pflege belasten. Damit funktioniert die familiär organisierte Pflege nicht mehr.
Also brauchen wir dafür eine Infrastruktur, mehr Menschen, die als Pflegekräfte arbeiten und noch vieles andere. Insofern finde ich es gut, dass die Pflege in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt wird. Ich kann mich erinnern, dass das gar nicht selbstverständlich war. Als ich in der Bundesregierung die Pflege zum Thema machen wollte, habe ich gelegentlich aus dem Kanzleramt die Antwort bekommen, dass andere Themen eine höhere Priorität hätten. Das hat sich mittlerweile geändert und das ist wichtig.
Seite 4: Über den Pflege-Bahr