Gergely Majoros, Mitglied des Investment Komitees beim französischen Vermögensverwalter Carmignac:
„In den USA ist der Arbeitsmarkt noch immer stark überhitzt, denn auf jeden arbeitslosen Amerikaner kommen fast zwei offene Stellen. Dies fördert das Lohnwachstum, heizt aber wiederum die Inflation im Land an. Die Wirtschaftstätigkeit in den USA könnte im nächsten Jahr stärker als erwartet zurückgehen, da das Hauptaugenmerk der Fed auf der Inflationsbekämpfung liegt.
Wir glauben nicht an das Szenario, dass die USA Anfang 2023 eine milde und kurze Rezession erleben werden. Vielmehr gehen wir davon aus, dass die US-Wirtschaft noch in diesem Jahr in eine Rezession abgleiten wird, wobei der Konjunkturrückgang allerdings wesentlich stärker und länger ausfallen wird als vom Konsens angenommen. In Anbetracht der Inflation wird die Fed die Voraussetzungen für eine echte Rezession mit einer Arbeitslosenquote von deutlich über 5% schaffen müssen, verglichen mit derzeit 3,5%, was der Konsens momentan nicht erwartet.
In Europa werden sich die hohen Energiekosten aller Voraussicht nach auf die Margen der Unternehmen und die Kaufkraft der privaten Haushalte auswirken und dadurch in diesem und im nächsten Quartal eine Rezession auslösen. Diese Rezession wird vermutlich moderat ausfallen, da die gut gefüllten Gasspeicher Energieengpässe verhindern dürften. Allerdings dürfte der wirtschaftliche Aufschwung ab dem zweiten Quartal nur schwach ausfallen, da die Unternehmen aufgrund der anhaltenden Unsicherheit hinsichtlich der Energieversorgung und der Finanzierungskosten bei Einstellungen und Investitionen Zurückhaltung üben werden.
Der nur schwache Aufschwung und die Inflation der Energiepreise, die weiterhin auf die Kostenstruktur durchschlägt, bescheren der EZB ein quasi-stagflationäres Umfeld. Neuerlicher fiskalischer Aktivismus könnte zudem den Druck auf die EZB verstärken und eine schwierige Debatte über fiskalische Dominanz auslösen.
In China hängt die Konjunktur derzeit ausschließlich vom öffentlichen Sektor ab, der das Wachstum mittels Ausgaben für Infrastrukturprojekte unterstützt, während der private Sektor mitten in einer Rezession steckt.
In China könnte die Aufgabe der Null-Covid-Politik eine ‚Ausstiegswelle‘ auslösen, mit der das Gesundheitssystem des Landes überfordert ist. Daher sahen sich die Behörden gezwungen, das BIP-Wachstum zu fördern, indem sie sowohl an den geldpolitischen als auch an den diplomatischen Stellschrauben drehen. Sie beschlossen eine Lockerung der Liquiditätsbedingungen und gingen auf Entspannungskurs mit den USA.
Dies lässt auf die allmähliche Wiederherstellung der wirtschaftlichen Gesundheit schließen.“