„95 Prozent der Schäden waren in den ZÜRS-Zonen 1 und 2“

Ich würde gerne noch einmal auf die psychologische Seelsorge zurückkommen. Mit wem arbeiten Sie hier zusammen?

Bläser: Am Freitag nach der Flutkatastrophe haben wir ein Netzwerk von rund 60 Psychologinnen und Psychologen zusammengestellt. Und weil die Nachfrage hoch ist, haben wir schnell entschieden, nicht nur Kundinnen und Kunden, sondern auch Vertriebspartnern die seelsorgerische Hilfe anzubieten.

Denn diese werden ebenfalls mit Geschichten aus dem Freundes- und Bekanntenkreis konfrontiert und davon überrollt. Das Ganze haben wir dann noch einmal auf den Schadenservice ausgedehnt. Denn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden teilweise mit Situationen am Telefon konfrontiert, die nur schwer zu verkraften sind.

Da meldet eine Kundin einen Totalschaden, weil der Hausrat komplett weggeschwommen ist und erwähnt nebenbei, dass ihre volljährige Tochter seitdem auch nicht mehr auffindbar ist. Wenn Sie solche Geschichten häufiger hören, nimmt das die Menschen mit.

Insofern war es eine gute Entscheidung, die auch nachgefragt wird. Das ist keine klassische Leistung der Gebäude- oder Hausratversicherung. Aber ich glaube, dass wird damit unserer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen.

Posttraumatische Belastungsstörungen treten oftmals deutlich später auf. Wird der Service längerfristig angeboten?

Gründl: Wir haben vor zwei Tagen entschieden, die Aktion zu verlängern. Weil der Service sehr gut ankommt und nachgefragt wird. Wichtig ist, dass wir den Menschen Ansprechpartner an die Hand geben, die erste Hilfestellungen bieten können. Eine etwaige langfristige Behandlung werden dann sicherlich Psychologen vor Ort übernehmen.

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft schätzt, dass die Sachschäden auf 4,5 bis 5,5 Milliarden gehen. Nahezu alle Immobilienbesitzer haben eine Wohngebäudeversicherung abgeschlossen. Doch nur knapp 46 Prozent von ihnen eine Elementarschadenversicherung. Bei der Hausratversicherung dürfte es ähnlich aussehen. Dass es so wenig ist, ist meiner Meinung nicht nur eine Frage des Preises sondern auch eine Frage des Beratungsansatzes. Muss sich nicht auch hier etwas ändern?

Bläser: Meine Auffassung ist, dass wir das natürlich auch über die private Versicherungswirtschaft abfedern und auch übernehmen können. Weil das Kollektiv insgesamt leistungsfähiger ist, wenn mehr Menschen im Kollektiv sind und sich versichern. Versicherungsschutz kann fast jeder bekommen.

Wir versichern sogar in ZÜRS-Zone 4, also auch ganz nah an Flüssen wie Oder, Elbe oder Rhein. Auf der anderen Seite haben wir die Situation, dass die Menschen sich hier nicht absichern. Ich war selber in der Beratung. Und wenn sie den Kunden erklären, dass die Starkregenereignisse zunehmen, schauen die ungläubig.

Aber ich glaube, dass das, was wir jetzt gesehen haben, zu einem Umdenken führen wird. Jedes Großereignis wie den Starkregen in Münster 2014, die Stürme „Elvira“ und „Frederike“ 2016 oder die Oderflut 2013 oder das Sturmtief „Lothar“ haben die Absicherungsbereitschaft erhöht.

Interessanterweise haben wir in den Regionen, die betroffen sind, eine Abdeckungsquote von 65 Prozent. Da haben wir vertrieblich gute Arbeit geleistet. In vielen Regionen von Deutschland ist der Schutz kein Preisthema. Wenn ich etwa zwischen 90 bis 100 Euro im Jahr zusätzlich zahlen muss und habe aktuell ein Gegenwert von über 300.000 Euro abgesichert, dann sollte dies einem das in jedem Fall Wert sein.

Gleichwohl läuft der Vermittler Gefahr in die Haftung zu geraten, falls er Kunden nicht explizit auf die Elementargefahren hinweist.

Bläser: Sie haben absolut Recht. Ich habe die Vertriebspartner deutlich darauf hingewiesen, dass sie sich das vom Kunden gegenzeichnen lassen sollen, wenn keine Elementarschadendeckung gewünscht ist.

Denn fehlt die Unterschrift, läuft der Vermittler in der Tat Gefahr in Beratungshaftung zu geraten und das möchten wir im Sinne unserer Vertriebspartner aber auch unserer Kunden vermeiden.

Die Marschrichtung muss sein, dass sich die Vertriebspartnerinnen und Partner das gegenzeichnen lassen. Was mich auch verwundert, dass Banken bei der Finanzierung nicht Wert auf diesen Versicherungsbaustein legen. Sie schauen, ob eine Feuerversicherung abgeschlossen wurde. Natürlich ist Feuer ein Hauptrisiko.

Aber mittlerweile wissen wir auch, das Starkregen oder Schneedruck bei einem finanzierten Haus dazu führen können, dass der Besitzer im Schadenfall finanziell erheblich unter Druck gerät.

Gründl: Die Durchdringung ist zwischen 2010 und 2020 um zehn Prozentpunkte gestiegen und liegt aktuell bei 46 Prozent. Was darauf zurückzuführen ist, dass die Stürme und Schadenereignisse zu einer Sensibilisierung geführt haben.

Ich bin mir sicher, dass das Risiko vermehrt abgesichert wird, je stärker wir aufklären und die Menschen auf die existierenden Gefahren hinweisen. Trotzdem bin ich der Meinung, dass den Menschen die Entscheidung überlassen werden sollte, ob sie eine Versicherung abschließen wollen oder auch nicht. Wir sprechen immer wieder über bezahlbare Mietpreise in Großstädten.

Wenn wir eine Elementarpflichtversicherung einführen würden, würde das bei vielen Mietern zu einer weiteren Erhöhung der Nebenkosten führen. Weil sie sich versichern müssten. Ich weiß nicht, ob jeder Bewohner in einer Großstadt es einsehen würde, mehr zu bezahlen?

Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

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