Acatis: „Wir machen die Vorgabe der Outperformance“

Dr. Hendrik Leber, Acatis
Foto: Katrin Binner 2021
Hendrik Leber: „Quant-Fonds können im Grunde nur die Grundrechenarten, (...) KI ist davon Lichtjahre entfernt.“

Künstliche Intelligenz (KI) ist nicht nur ein Investmentthema, sondern verändert auch das Fondsmanagement und die Investmentprozesse immer stärker. Ich sprach mit Dr. Hendrik Leber, Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter von Acatis Investment, über Chancen und Herausforderungen von KI und eine Abgrenzung zu Quant-Fonds.

Nach wie vor geht in der öffentlichen Diskussion viel durcheinander, wenn es um die begriffliche Abgrenzung von KI im Fondsmanagement geht. Deshalb die Frage an Sie: Was verstehen Sie unter KI und einem KI-Fonds?
Leber: Ich gehe mal ein bisschen zurück: Die Begeisterung für Künstliche Intelligenz habe ich seit den Neunzigerjahren. Bereits damals habe ich mein erstes Programm gestartet, und es hat tolle Prognosen geliefert, die aber nie stimmten. Trotzdem war es unglaublich überzeugend. Mittlerweile findet man wunderbare „Spielplätze“ mit KI-Anwendungen, wo man selbst einmal ausprobieren kann, wie KI funktioniert. KI ist für mich, vereinfacht ausgedrückt, ein Werkzeug, das nichtlineare Zusammenhänge zwischen einem Input und einem Output finden kann. Ein KI-Fonds ist für mich entsprechend ein Fonds, der solche Werkzeuge zur Titelauswahl oder Allokation einsetzt. Die Nichtlinearität ist für mich das Wesentliche. In der KI gibt es viele Schichten von Neuronen, die miteinander verbunden sind. Die Neuronen verarbeiten die Signale, und am Ende kommt ein Ergebnis heraus. Bei einem richtigen Ergebnis im Hinblick auf das Ziel dreht man an dem Stellhebel ein wenig, eine Signalverstärkung im Grunde, und nach vielen, vielen Iterationen weiß das Modell, an welchen Hebeln es hätte drehen müssen, oder es hat daran gedreht, und ich habe einen Zusammenhang hergestellt zwischen dem Input und dem Output. Das ist nicht linear. Da kommen auch schon mal krumme Dinger raus. Deswegen ist es wichtig, wie man sucht und wonach. Der Lösungsraum ist wie eine Landschaft mit Höhen und Tiefen.

Das klingt alles andere als trivial.
Leber: Wichtig ist, dem Modell nicht für alles die Prognosen zu überlassen, sondern klare Aufgabenstellungen zu definieren. Nur so kann es überhaupt etwas leisten. Andernfalls springt es wie wild hin und her, hat wirre Lösungen, bei denen sich am Ende jeder fragt, warum soll ich beispielsweise 90 Prozent Pharma in Indien machen? Wir müssen dem Modell ein bisschen Realismus mitgeben und sagen, ich habe eine einfache Aufgabe, löse mir die bitte. Das reicht mir schon aus, um gut zu sein.

Inwieweit unterscheiden sich KI-Fonds und Quant-Fonds voneinander?
Leber: Quant-Fonds können im Grunde nur die Grundrechenarten, es sind eher Sortieralgorithmen. Ich sortiere von billig nach teuer, weil das Billigste vermeintlich am besten funktioniert und das Teuerste am schlechtesten. Dann sortiere ich der Größe nach, dann nach beiden Richtungen, und das sind im Prinzip simple Sortierungen oder ganz einfache Faktormodelle. Das ist durchaus legitim, aber KI ist davon Lichtjahre entfernt.

Wie groß ist die Gefahr, dass die KI halluziniert?
Leber: Bei uns haben wir es nicht beobachtet. Wir haben auch einen ganz anderen Daten- und Modelltyp als diese generativen Modelle, wo das passieren kann. Ich habe neulich ChatGPT gefragt: Was ist bei der Firma XY im Monat YZ passiert? Da kam vollkommener Unfug heraus. Darum ist für uns eine genaue Begleitung des Modells extrem wichtig, um herauszufinden, wie und was es lernt. Bei unserem neuen Modell, das hoffentlich ans Laufen kommt, haben wir noch eine evolutionäre Optimierung. Ich brauche nicht nur die besten Unternehmen, ich brauche ein Modell, das ausgewogen ist, und dieser revolutionäre Algorithmus EvoTorch sorgt dafür, dass immer wieder Portfolios zusammengestellt werden – 1.000 Portfolios mit jeweils 1.000 Situationen. Dann sehen wir, welche Portfolios stabil sind und welche dazu neigen, abzuschmieren. Letztere nehmen wir einfach raus, dann haben wir automatisch einen gewissen Bias zu der positiven Seite.

Oftmals heißt es, KI verbessere das Asset Management, nicht aber die Performance. Teilen Sie diese Meinung?
Leber: Ich teile diese Meinung nicht. Ich vermute, das sagen Leute, die KI zur Recherche einsetzen und sich noch in die Materie reintasten. Wir dagegen machen die Vorgabe der Outperformance. Wir fordern von der KI, stets die besten Unternehmen in einer Branche zu finden. Das heißt, wenn ich immer die Besten finde, warum sollte ich dann keine Outperformance erzielen? Wir arbeiten seit ziemlich genau zehn Jahren mit KI, im Fondsmanagement seit sieben Jahren. Ich kenne sonst kaum jemanden im Asset Management, der sich so intensiv und lang damit befasst.

Wie hoch kann das Alpha durch KI ausfallen?
Leber: Ganz interessante Frage. Wir messen unsere Mensch- und Maschinenergebnisse jeden Monat, und der Bonus, den wir gestern berechnet und freigegeben haben für das letzte Jahr, hängt an der Selektionsqualität des Fondsmanagers. Ich mache keinem einen Vorwurf, wenn er alles auf IT gesetzt und schlecht performt hat. Ich mache aber einen Vorwurf, wenn er in der IT-Branche nicht die besten Aktien findet – Selektionsqualität –, weil ich sage, das kann ich von meinen Kollegen erwarten. Darauf ist die Maschine trainiert. Wir messen das, und die KI-Kollegen liegen regelmäßig vorne in der Selektionsqualität, bei etwa 51 bis 53 Prozent, während der Mensch in einer Bandbreite von 49 bis 52 Prozent liegt. Im letzten Jahr haben die KI-Leute in der Outperformance keinen großen Bonus erzielt, weil sie sektormäßig von den Magnificent Seven abgehängt wurden. Das sind Sondereffekte, ein Modetrend, bei denen eine KI auch keine Lösung hat. Wenn wir bei dem neuen Modell, das wir derzeit anlernen, 53 bis 54 Prozent erreichen, sind wir sehr gut. Alles, was darüber liegt, ist für mich himmlisch.

Lässt sich sagen, dass die KI immer gleich gut oder gleich schlecht ist, je nach Segment?
Leber: Nein, es gibt Segmente, mit denen die KI nicht gut zurechtkommt. Das haben wir ausgewertet. Es ist zum Beispiel von Kontinent zu Kontinent verschieden. Wir haben Asien versus Europa versus USA und dann nach den großen Segmenten analysiert. Im Konsumbereich funktioniert KI recht gut und interessanterweise in den USA am besten, was kontraintuitiv ist, weil man denkt, der Nachholbedarf in Europa und Asien ist viel größer. Schlechter entwickelte Märkte bieten mehr Chancen, denkt man. Aber der Grund für die gute USA-Performance ist meiner Ansicht nach, dass hier die Märkte schneller korrigieren. In Bezug auf Branchen sind Banken und Versicherungen sowie Rohstoffe und Immobilien für die KI extrem schwer.

Dann fallen doch einige Segmente heraus.
Leber: Ja, ein Achtel oder ein Siebtel fällt schon raus. Aber mit dem Rest kann ich sehr gut leben. Natürlich kann man für diese Branchen auch spezielle Modelle trainieren. Aber ich will erst einmal die Hausaufgaben in den großen Bereichen erledigen. Da ist genug zu verdienen.

Ist geplant, über die vier Fonds hinaus, die bereits KI nutzen, Ihre gesamte Fondspalette durch KI steuern zu lassen?
Leber: Langfristig wahrscheinlich ja, aber da ist meine Konfidenz einfach noch nicht hoch genug. Wenn wir drei Jahre außerordentliche Ergebnisse erzielen, kann man damit anfangen. Ich weiß noch nicht, in welcher Form, ob als Outperformance-Lösung oder für die Portfoliooptimierung. Es gibt viele Anwendungsfälle. Aber da möchte ich erst mal ein paar Jahre abwarten. Wir würden die Firma zerstören, wenn wir ein schlechtes Modell auf die Fonds losließen. Der Mensch hat dann doch noch einen intellektuellen Beitrag zu leisten.

Interview: Frank O. Milewski, Cash.

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