Der Vertrieb muss ebenfalls lesen, prüfen, Feinheiten hinterfragen. Bedrohlich ist die Rechtsprechung für ihn vor allem dann, wenn der BGH – wie im vorliegenden Fall – eine Prospektpraxis bemängelt, die bislang kein Wirtschaftsprüfer (WP) in seinem Prospektgutachten nach IDW S 4 beanstandet hat.
In diesen Fällen wähnen sich Finanzdienstleister, die eine Vermögensschadenhaftpflichtversicherung (VSHV) abgeschlossen haben, in Sicherheit. Doch sie sind es nicht.
Noch immer scheint sich nicht überall herumgesprochen zu haben, dass die VSHV-Bedingungen regelmäßig eine Deckung ausschließen, wenn der (scheinbar) Versicherte wegen Prospektfehlern in Anspruch genommen wird. Versichert sind lediglich Beratungsfehler. Auch auf das WP-Gutachten können Berater sich laut BGH nicht berufen, sondern sie sind zu einer eigenen Prüfung des Prospekts verpflichtet. Bei Prospektfehlern steht der Vertrieb demnach ohne jeden Schutz da. Er kann allenfalls auf eigenes Risiko den WP verklagen, der die Unbedenklichkeit des Prospektes bescheinigt hat – ein Unding.
Offenbar haben die Finanzdienstleister und ihre Verbände die Details der VSHV-Bedingungen lange Zeit nicht genau genug gelesen. Anders ist kaum zu erklären, dass sie nicht längst auf die Barrikaden gegangen sind, um die Versicherer zu Änderungen der Bedingungen zu bewegen.
Der erste VSHV-Versicherer übrigens, der den Ausschluss der Deckung bei Prospektfehlern streicht, dürfte ein gutes Geschäft machen. Selbst wenn die Prämie etwas höher sein muss: Die Finanzdienstleister werden ihm wohl scharenweise zulaufen, wenn die Verbände einen Wechsel mit entsprechendem Nachdruck empfehlen.
Stefan Löwer ist Chefanalyst der G.U.B., Deutschlands ältester Ratingagentur für geschlossene Fonds, und begleitet den Themenbereich geschlossene Fonds in der gesamten Cash.-Unternehmensgruppe. Als Cash.-Redakteur und G.U.B.-Analyst beobachtet Löwer die Branche und ihre Produkte insgesamt bereits seit mehr als 15 Jahren.
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