Adieu, Abriss – wieso nachhaltiges Wirtschaften nicht nur der Umwelt hilft

Eva-Maria Zurek
Foto: Gerhard Theisler
Eva-Maria Zurek, P&P Group

Die Nutzungszeit einer Immobilie ist begrenzt. Danach folgt ihre Modernisierung oder schlimmstenfalls der Abriss. Warum es aus Gründen der Nachhaltigkeit so wichtig ist, bereits bei der Planung eines Objekts an das Ende der Nutzungsdauer zu denken.

Egal ob es 20, 50 oder 100 Jahre dauert: Früher oder später ist die Nutzungszeit einer jeden Immobilie überschritten. Dann muss das Gebäude saniert oder aber abgerissen und ein neues an seiner Stelle errichtet werden. Ganz einfach – könnte man meinen. Doch viel zu oft wird vergessen, wie teuer das Entfernen der alten Bausubstanz sowohl das ausführende Unternehmen als auch die Umwelt zu stehen kommt – und dass es längst Alternativen gibt.

Ganz abgesehen davon, dass unser Planet keine unendliche Menge an Rohstoffen hergibt: Spätestens die Energiekrise, hat uns deutlich vor Augen geführt, dass wir in der Baubranche von dem bisherigen linearen Geschäftsmuster wegkommen müssen – wenn nicht zum Wohle des Planeten, dann aus reiner wirtschaftlicher Notwendigkeit. Die Branche kann es sich nicht mehr leisten, einfach so weiterzumachen wie bisher. Dieses Geschäftsmodell ist schlicht zu teuer geworden.

Ressourcen sparen

Wenn es um solche Themen geht, werden einige Begriffe unweigerlich in den Raum geworfen: „Circular Economy“, „Cradle to Cradle“ oder „Urban Mining“. Auch wenn diese Fachbegriffe unterschiedliche Konzepte beschreiben, geht es im Kern doch bei allen dreien darum, Ressourcen einzusparen, Emissionen zu verhindern und Kreisläufe zu schließen.

Möglich wird das zum einen, indem man versucht, aus bestehender Bausubstanz das Maximale herauszuholen, sprich: bereits verbaute Materialien aus alten Gebäuden wiederzugewinnen und für andere Zwecke zu verwenden – im Idealfall noch auf derselben Baustelle. Die Vorteile liegen vor allem in der aktuellen Marktsituation auf der Hand: Sind die Ressourcen für den Neubau schon längst auf der Baustelle vorhanden, braucht der Bauherr keine Angst vor einem Engpass beim Nachschub zu haben – und spart sich Geld sowie CO2-Emissionen hinsichtlich des An- und Abtransports.

Wenn möglich: Sanierung statt Neubau

Dabei muss nicht notwendigerweise gleich das ganze Gebäude abgerissen werden. Bauherren sollten mehr denn je gründlich prüfen, ob eine Sanierung nicht ebenfalls möglich und wirtschaftlich deutlich sinnvoller ist. Lange Zeit war eine Sanierung oft weniger rentabel als ein Neubau. Aber in einer Zeit, in der Material und Energie nicht nur erheblich teurer geworden sind und Unsicherheit herrscht, ob das benötigte Material überhaupt rechtzeitig auf der Baustelle ankommt, hat das Wiederverwerten alter Bausubstanz erheblich an Reiz gewonnen. Schließlich kommt der ESG-Aspekt hinzu, der in der Branche schon lange in aller Munde ist. Denn bei einer Sanierung lassen sich nicht nur Energie und Material einsparen, sondern auch Emissionen vermeiden. Sollte die sogenannte graue Energie bei künftigen Regulierungen in die CO2-Bilanz einer Immobilie einfließen, werden sich all jene Bauherren freuen, die ihre Prozesse früh umgestellt haben.

Aber auch wenn an einem Abriss kein Weg vorbeiführt, muss es zum Ziel werden, so wenig wie möglich von der alten Bausubstanz zu verschwenden. Mithilfe moderner Brechanlagen können Bau- und Abrissabfälle noch vor Ort auf der Baustelle zerkleinert und dort wiederverwendet werden – etwa zum Auffüllen von Kellergruben, wie es im Tiefbau schon lange üblich ist.

Schnellere Bürokratie als Motor für die Branche

Soll aus dem alten Material ein neues Gebäude entstehen, wird es nach deutschen Richtlinien schon etwas komplizierter. Die deutsche Bürokratie steht bei solchen Vorhaben nicht selten auf der Bremse. Den zuständigen Behörden und Ämtern muss in vielen Fällen zunächst erläutert werden, dass ein Bau unter diesen Umständen möglich und ebenso sicher wie mit neuen Materialien. Schließlich sind ist strenge Vorgaben zu erfüllen: Um ressourcenschonend Beton herzustellen, braucht es eine stringente Produktionskontrolle und es sind strenge Qualitätsanforderungen einzuhalten. Unter anderem dürfen nur maximal 45 Prozent des Primärmaterials aus recycelter Gesteinskörnung bestehen. Für mehr braucht es eine spezielle Genehmigung. Es wundert also kaum, dass solche Konzepte in Deutschland noch so gut wie gar nicht umgesetzt werden. Auch wenn es einige wenige Modellprojekte gibt, hinken wir anderen Ländern, wie etwa den Niederlanden oder der Schweiz, deutlich hinterher.

Allerdings können nicht 100 Prozent des bestehenden Materials verwendet werden, manches muss unweigerlich entsorgt werden. Schon normale Baustoffe fachgerecht zu entsorgen, ist kostspielig. Sind es spezielle energetische Baustoffe, wird es noch einmal teurer. Um das zu umgehen, kann es nur eine Lösung geben: Schon bei der Entwicklung muss der Planer an den künftigen Abriss, die Sanierung oder den Umbau denken – und den aktuell geltenden Regularien stets mindestens einen Schritt voraus sein.

Schon in der Planung an den Abriss denken

Auf keinen Fall darf beim Bau auf Stoffe gesetzt werden, die schlecht zu entsorgen sind. Zukunftsträchtig baut nur, wer die künftige Entsorgung schon in der Planungsphase im Auge hat. Die beste Dämmung nützt nichts, wenn sie beim späteren Entsorgen nicht nur die Umwelt verschmutzt, sondern das Unternehmen auch unnötig viel Geld kostet. Wer mit alter Bausubstanz etwas für seine Materialsicherheit tut, hat neben seinen Emissionen auch seine Kosten besser im Griff und kann für Projekte zuverlässiger Angebote und Kostenvoranschläge machen.

Natürlich bleibt zum Schluss auch die Frage: ESG schön und gut – aber wer soll das bezahlen? Grundsätzlich gäbe es da die KfW, um Bauherren unter die Arme zu greifen. Doch davon abgesehen, dass diese mit ihren Vergleichshäusern zwar Vorgaben für das „E“ in ESG macht, aber nicht für das „S“ und „G“, gibt es von staatlicher Seite derzeit kaum Fördersummen –. Und es besteht kein Zweifel daran, dass es deutlich teurer ist, unter strengen energetischen Bedingungen zu bauen als ohne. Das gilt insbesondere dann, wenn die ESG-Konformität einer Immobilie mit einem Zertifikat wie etwa dem der DGNB nachgewiesen werden soll. Bauträger müssen diese Kosten irgendwie ausgleichen können. Und das treibt die Preise weiter in die Höhe.

Mehr Bewegung von Politik und Branche gefordert

Es ist zu wünschen, dass seitens der Gesetzgebung größere Fortschritte erzielt werden und dass die Restriktionen, die derzeit das nachhaltige Bauwesen einschränken, gelockert werden. Erfolgreich und nachhaltig zu bauen ist zu einer immer größer werdenden Herausforderung geworden, der wir mit Innovation und neuen Wegen in der Projektentwicklung begegnen.

Die Regularien für umweltverträgliches Bauen und Entsorgen sind schon streng und werden noch strenger. Heute schon ist es kaum möglich, eine Gebäudezertifizierung etwa von der DGNB zu bekommen, wenn man die Entsorgung der Baustoffe nicht im Blick hat. Was sich in der Branche tun muss, ist eindeutig:

Es gilt bereits jetzt zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen, selbst wenn sie noch nicht zwingend notwendig sind. Indem wir proaktiv handeln und uns auf mögliche zukünftige Entwicklungen vorbereiten, können wir eine solide Grundlage für nachhaltigen Erfolg schaffen.

Autorin Eva-Maria Zurek ist CEO der P&P Group.

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