Ärzte in Deutschland dürfen Patienten künftig auch ohne vorherigen persönlichen Kontakt in der Praxis ausschließlich per Telefon, SMS, E-Mail oder Online-Chat behandeln. Voraussetzung ist, dass die Mediziner die ärztliche Sorgfalt bei Diagnostik, Beratung, Therapie und Dokumentation gewährleisten und ihre Patienten über die Online-Behandlung aufklären.
Der Deutsche Ärztetag machte nun in Erfurt den Weg frei für eine ausschließliche Fernbehandlung durch in Deutschland ansässige Mediziner über digitale Medien. Die 250 Delegierten beschlossen nach kontroverser Debatte mit großer Mehrheit eine entsprechende Änderung der Musterberufsordnung für Ärzte. Die Entscheidung, die von den Landesärztekammern regional umgesetzt werden muss, war mit Spannung erwartet worden.
Geteiltes Echo
Das Echo ist jedoch geteilt. Zustimmung kam von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Krankenkassen und Ärzteverbänden, kritisch äußerte sich die Stiftung Patientenschutz. „Das persönliche Arzt-Patienten-Verhältnis wird weiter das dominierende Element in der ärztlichen Behandlung bleiben“, versicherte der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery.
Als einen wichtigen Schritt in die digitale Zukunft der Medizin würdigt auch Barmer-Chef Prof. Dr. med. Christoph Straub die Entscheidung der deutschen Ärzteschaft, das sogenannte Fernbehandlungsverbot zu lockern. „Der Deutsche Ärztetag hat mit seinem Votum zum Fernbehandlungsverbot erste wichtige Weichen gestellt. Das eröffnet große Chancen für eine weitere Säule der Versorgung. Mit der Fernbehandlung rücken Ärzte und ihre Patienten näher zusammen. Das fördert die rasche Abklärung allgemeiner Beschwerden, aber vor allem die intensivere Betreuung immobiler Patienten. Jetzt muss eine bundesweit einheitliche Regelung die derzeitigen regionalen Ansätze harmonisieren“, forderte Straub.
Der Beschluss des Deutschen Ärztetages habe deutlich gezeigt, dass es der Ärzteschaft um einen verantwortungsvollen Umgang mit den Möglichkeiten digitaler Kommunikation gehe und sie das Heft des Handelns auch bei der digitalen Behandlung nicht aus der Hand geben wolle. Bislang war es Ärzten in Deutschland berufsrechtlich untersagt, Patienten ohne vorherigen persönlichen Kontakt zu behandeln. Lediglich in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein galten andere Regelungen.
Neue Wege zwischen Arzt und Patient
Aus Sicht der Barmer dürfe es nun nicht länger bei unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern bleiben, zumal Ärzte und Krankenkassen die technischen Systemanforderungen und die Vergütung von Videosprechstunden auf Bundesebene bereits geregelt und Rahmenbedingungen zur digitalen Versorgung von Patienten geschaffen hätten. Den Patienten wäre nicht zu vermitteln, wenn beispielsweise in Schleswig-Holstein eine ärztliche Online-Beratung möglich sei und in Brandenburg nicht. Zudem biete eine Behandlung aus der Ferne auch Großstädtern sinnvolle Erleichterungen.
Nach dem Beschluss des Ärztetages ist Medizinern nun „im Einzelfall“ eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über digitale Medien möglich, wenn dies medizinisch vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt bei Diagnostik, Beratung, Therapie und Dokumentation gewährleistet wird. Außerdem müssen die Patienten von ihrem Arzt über die Online-Behandlung aufgeklärt werden. „Beide müssen wissen, was sie tun, und sich darüber einig sein“, sagte Montgomery.
Deutsche Stiftung Patientenschutz befürchtet Nachteile
Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mahnte, nun müssten die neuen Möglichkeiten auch so genutzt werden, „dass die Patienten auch wirklich etwas davon haben“. Spahn zeigte sich überzeugt, dass mit Online-Sprechstunden Patienten unnötige Wege und Wartezeiten erspart werden. Der Deutsche Hausärzteverband warnte indes davor, dass das neue Angebot „als Kostensparprogramm für Krankenkassen missverstanden“ werden könne.
Nachteile befürchtet auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz. „Verlierer sind vor allem für pflegebedürftige und schwerstkranke Menschen, die auf ihren Mediziner daheim hoffen“, erklärte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. „Die ausländischen Call-Center-Betreiber reiben sich vor Freude über den neuen Markt die Hände.“ Diese Sorge hatten auch mehrere Mediziner in der Debatte auf dem Ärztetag geäußert. Vor allem durch das zunehmende Angebot ausländischer kommerzieller Telemedizin-Portale hatte sich die Kammer unter Druck gesehen.
Telemedizin nicht überbewerten
Bundesärztekammerpräsident Montgomery warnte vor überzogenen Erwartungen an eine ausschließliche Fernbehandlung. „Sie wird keinen chirurgischen Eingriff ersetzen und auch keine radiologische Untersuchung“, sagte er. Bei der Entlastung der Klinik-Notaufnahmen könne sie hingegen hilfreich sein. Krankschreibungen und Rezeptverordnungen per Fernbehandlungen hält die Bundesärztekammer hingegen schon aus rechtlichen Gründen für problematisch. Der Hausärzteverband hält klare Regelungen für erforderlich, in welchen Fällen eine Fernbehandlung sinnvoll und möglich ist.
Nach dem Grundsatzbeschluss des Ärztetages müssen die meisten der 17 Landesärztekammern nun die regionalen Berufordnungen entsprechend anpassen. Bis dies flächendeckend geschehen sei, könnten bis zu zwei Jahre vergehen, so Montgomery. Mit einer ausschließlichen Fernbehandlung durch digitale Medien werden bisherige Instrumente der Telemedizin ergänzt. Dazu gehören zum Beispiel Telekonsile zum Online-Austausch von Befunden oder Röntgenbildern, die elektronische Übermittlung von Patientendaten bei Hausbesuchen durch Praxisangestellte zum Arzt oder die bisher nur für einige Fachgruppen und bei bestimmten Erkrankungen erlaubten Videosprechstunden. (dpa-AFX/dr)