Aktien im Bärenmarkt: Wann ist der Boden erreicht?

Robert Halver
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Robert Halver, Baader Bank

Der Glaube an Aktien ist aktuell schwach. Kein Wunder, Unsicherheiten und Risiken wohin man schaut. Woher kommen mögliche Lichtblicke und wie sollten sich die Anleger verhalten?

Neben dem Ukraine-Krieg spucken vor allem China und Amerika in die Börsensuppe. Lange Jahre hat das Land des Lächelns die Weltwirtschaft erfreut. Doch dann schlug Pekings knallharte Null-Covid-Strategie zu. Ja, im Vergleich zu Chinas Corona-Politik ist Karl Lauterbach extrem libertär. Ca. 45 wirtschaftsbedeutende Städte und Häfen befinden sich im scharfen Corona-Lockdown. Die Folge ist, dass mittlerweile selbst staatliche Frühindikatoren Schrumpfungsaktivitäten nicht mehr leugnen können. Ökonomen sehen bereits das Risiko, dass China 2022 inoffiziell in die Rezession geht.

Damit spüren Exportnationen wie Deutschland die doppelte Knute. Einerseits fehlen ihnen die erforderlichen Vorprodukte, um sie zu tollen Endprodukten zu veredeln. Was nutzt denn der beste Sternekoch, wenn die Zutaten fehlen? Andererseits hat der Absatzmarkt, sozusagen das Restaurant geschlossen. Fundamentale Köstlichkeiten können dem Aktienmarkt also gar nicht serviert werden.     

Jahrelang war die freizügige US-Zinspolitik der Garant für gute Aktienstimmung, die sogenannte Liquiditätshausse. Doch überbieten sich derzeit die Direktoren der Fed mit martialischen Restriktionsdebatten. Tatsächlich hat sich das langfristige Renditeniveau in Amerika seit August 2021 nahezu versechsfacht. So einen dramatischen Umkehrschub in so kurzer Zeit habe ich noch nicht erlebt. Dieses neue Szenario belastet naturgemäß vor allem Technologieaktien, deren Gewinne umso stärker diskontiert werden, je stärker die Zinsen steigen.

China und Amerika kennen ihre Schmerzgrenzen

Die KP wird früher oder später erkennen müssen, dass Corona nicht auszurotten ist. Man muss damit leben und zur Bekämpfung am besten die Impfstoffe des westlichen Klassenfeinds verwenden. Doch schon aus Gründen des Erhalts von Wohlstand und sozialem Frieden im Inland muss Peking seine Türen für Import und Export wieder öffnen. Damit hellen sich dann ebenso die Perspektiven für westliche Industrie- und Exportländer auf.

Und die Fed darf nicht überreizen. Ansonsten wird aus der geplanten sanften Konjunkturlandung der schmerzhafte Bauchklatscher vom Fünfmeterbrett. Wenn sich die Zinsstrukturkurve zu sehr verflacht bzw. invertiert, bricht die Kreditvergabe der Banken ein, was die kreditdrogenabhängige Wirtschaft geradezu in die Rezession zwingt. Ohnehin würden die Aktien verliebten Amerikaner bei einer Schrumpfung ihrer Vermögensposition sicherlich keinen Anreiz verspüren, die Shopping Malls zu stürmen.

Grundsätzlich besteht Hoffnung, dass die amerikanischen Anleihemärkte durch die Verbalinterventionen der Fed – sozusagen aufgescheucht wie Hühner durch den Fuchs – den Inflationsgipfel schon ziemlich eingepreist haben. Sicher ist es für komplette Entwarnung noch zu früh. Doch immerhin senken die Inflationserwartungen in den USA und in Europa bereits zaghaft den Kopf. Bei Fortsetzung wäre bei Technologieaktien wieder Land in Sicht.  

Sowieso gibt es im Tech-Sektor eine Vielzahl von Aktien, deren Geschäfte selbst dann laufen, wenn es zu einer Rezession käme. Übrigens zählen bei der Bestimmung der Fundamentalqualitäten weniger die kurzfristige, sondern die langfristige Sicht. In einer immer digitaleren Welt ist es wahrscheinlich, dass die entsprechen IT-Protagonisten in 5 bis 10 Jahren mehr verdienen als heute. Warum sollten sie also unbegrenzt abgestraft werden?   

Die Kurstiefs zu treffen ist so schwierig wie den Jackpot zu knacken  

Ja, Hoffnungsschimmer sind an der Börse vorhanden. Allerdings haben sie sich noch wenig materialisiert. Eine Schwalbe macht eben noch keinen Sommer.

Und für viele Anleger ist die Großwetterlage noch zu riskant. Den Vogel schießt dabei die Bank of America ab. Sie geht davon aus, dass die Aktien-Baisse erst Mitte Oktober endet. Bis dahin könnte der S&P 500 bei 3.000 Punkten und der Nasdaq Composite bei 10.000 Punkten stehen. Wow!

Ohne Zweifel ist die weitere Entwicklung im Ukraine-Konflikt und seine Folgen für die Energieversorgung und -preise ein fundamental klares Aktienrisiko. Zwar hat der russische Präsident anlässlich der Militärparade am 9. Mai keine weitere Eskalationsstufe gezündet. Manche Kreml-Astrologen leiten daraus sogar eine versteckte Gesprächsbereitschaft ab. Das bisherige Verhalten Putins und sein „Sendungsbewusstsein“ sollte jedoch wenig Hoffnung auf echte Kompromissbereitschaft machen.

Dennoch ist die allgemeine Anlegerstimmung bereits sehr pessimistisch mit Tendenz zu Extremwerten. Die Börsen preisen zurzeit eine dramatische und lange Zuspitzung der ökonomischen, geld- und geopolitischen Probleme ein. Tatsächlich befindet sich die absolute Mehrheit aller US-Aktien im Crash-Modus. Und die Hälfte aller Nasdaq-Titel sind mehr als 30 Prozent im Minus. Der Fear & Greed Index hat auf „extreme Angst“ umgeschlagen.

Darin liegen aber auch kontraindikative Chancen. Schauen wir auf die finanzgeschichtlichen Extreme. Während der Finanzkrise verlor der Nasdaq vom Hoch im Jahr 2007 bis zum absoluten Panik-Tief 2009 etwas mehr als die Hälfte. Beim Corona-Crash betrug der Verlust ca. 30 Prozent. Auf dem kürzlichen Tiefpunkt lag das Minus bei 27 Prozent. Meister-Crash-Proper hat also bereits kräftig saubergemacht. Die Wahrscheinlichkeit von Erholungsrallyes wird daher immer größer.

Das heißt nicht, dass wir das finale Tief bereits gesehen haben. Der kürzliche Abverkauf des US-Technologieindex Nasdaq hat zwar neue Zwischentiefs gezeigt, doch fehlte noch das entsprechend hohe Volumen. Erst wenn auch noch die letzten Börsen-Bullen „kastriert“ sind und die letzten Optimisten weiße Fahne schwingend komplette Depot-Flurbereinigung betrieben haben, bauen sich starke und nachhaltige Bodenbildungen auf. Wir warten also noch auf das finale Blutbad.

Wenn sich dann auch noch die fundamentale bzw. geopolitische Situation entspannt, gibt es für den Aktienmarkt kein Halten mehr. Aus heutiger Sicht wird der Ukraine-Krieg zwar noch dauern. Es droht wohl ein Zermürbungskrieg. Doch muss es irgendwann zwangsläufig zu Friedensverhandlungen kommen. Dann hätten die Börsen freie Fahrt nach oben, zumal sich auch Energiepreise und Inflationssorgen entspannen.

Vor dem Morgen ist die Nacht am dunkelsten

Sicher kann niemand sagen, wann genau dieser Tag X gekommen ist oder wo der Aktienmarkt das absolute Tief findet. Aber Anleger, die zu lange auf immer noch tiefere Kurse warten, verpassen den Börsenzug. Es geht doch darum, vernünftige Wiedereinstiegskurse übrigens auch bei deutschen Konjunkturwerten zu finden, die mittlerweile zu akzeptablen Kursen zu haben sind.

So sollte man die fundamental aussichtsreichen Titel sichten und scheibchenweise ins Depot nehmen. Wenn es dann noch einmal nach unten geht, sollte man nachkaufen, um gute durchschnittliche Kaufkurse zu erhalten.

Überhaupt sollten regelmäßige Aktiensparpläne weitergeführt werden. Das Argument, die Kurse seien zu hoch kann jetzt nicht mehr vorgetragen werden.

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator. Er ist aus Funk und Fernsehen bekannt und schreibt regelmäßig für Cash.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725

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