Aktien, Inflation: Ergo-Risikoreport attestiert den Deutschen mangelnde Finanzkompetenz

Ein Sparschwein steht neben einem Taschenrechner und drei Häufchen mit Münzen
Foto: Shutterstock
Bei einer konkreten Rechenaufgabe verstehen lediglich 20 Prozent der Deutschen, dass die Tilgung höher sein muss als die zu zahlenden Zinsen, um eigene Schulden irgendwann einmal abbezahlen zu können.

Wie ist es um die Risikokompetenz und Eigenverantwortung der Deutschen bestellt? Das untersuchte die Ergo  jetzt zum dritten Mal zusammen mit Prof. Dr. Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin, und dem Harding-Zentrum an der Universität Potsdam und befragte 3.200 Teilnehmer zu den fünf Themen: Geld und Finanzen, Digitalisierung, Gesundheit, Alter und Sicherheit. 

Obwohl sich Meinungen und Ansichten der Menschen in Deutschland nur langsam ändern, gibt es im dritten Ergo-Risiko-Report insgesamt einige überraschende Entwicklungen und interessante Erkenntnisse zum Schwerpunktthema Geld und Finanzen.

Finanzkompetenz kaum entwickelt

Aktienkompetenz

Nur 38 Prozent der Bundesbürger verstehen, dass sie in den letzten zehn Jahren mit Aktien deutlich mehr Geld verdient hätten als mit Sparbuch, Tagesgeld oder auch Fonds (Frauen sogar nur zu 29 Prozent).

Leitzins

54 Prozent wissen nicht, wie hoch der aktuelle Leitzins ist (18-30-Jährige: 65 Prozent, Frauen: 67 Prozent), oder sie überschätzen diesen (18 Prozent). 24 Prozent wissen nicht einmal, was der Leitzins überhaupt ist. Das Unwissen ist auch hier am höchsten unter den Jüngeren (18-30-Jährige: 39 Prozent) und Frauen (31 Prozent).

Inflation

Bei der Inflation sind die Bundesbürger deutlich besser informiert: nur vier Prozent wissen nicht, was diese ist. Allerdings kennen sie oft die Höhe des aktuellen Inflationsniveaus nicht (37 Prozent) oder unterschätzen diese häufig (32 Prozent).

Private Schulden abbezahlen

Bei einer konkreten Rechenaufgabe verstehen lediglich 20 Prozent der Deutschen, dass die Tilgung höher sein muss als die zu zahlenden Zinsen, um eigene Schulden irgendwann einmal abbezahlen zu können (18-30-Jährige und Frauen verstehen dies sogar nur zu je 14 Prozent). Am niedrigsten ist dieses Verständnis bei Jüngeren, die sich finanziell stark einschränken müssen (lediglich 3 Prozent). Unter Promovierten verstehen aber auch nur 56 Prozent diesen einfachen Zusammenhang.

Rente

Die Durchschnitts-Rente in Deutschland wird sehr häufig unterschätzt, nur 15 Prozent liegen hier mit ihrer Schätzung richtig (bei +/– 10 Prozent Fehlertoleranz). Bei der Einschätzung der erwartbaren Höhe ihrer persönlichen Rente zeigen sich viele Bundesbürger unwissend oder unsicher (64 Prozent aller Nicht-Rentner); nicht selten auch noch die über 50-Jährigen.

Anlageroboter

Die derzeitige Leistungsfähigkeit von auf künstlicher Intelligenz (KI) basierenden Anlagerobotern (Robo-Advisor) wird deutlich überschätzt: Nur acht Prozent wissen, dass diese in Tests klar schlechter abschneiden als ein konventionelles, ausgewogenes Portfolio.

Brauchen die Deutschen also Nachhilfe in Sachen Finanzkompetenz? Die Antwort aus Sicht des Ergo-Risikoreports lautet eindeutig: Ja! Schulen, Bildungseinrichtungen für Erwachsene, Medien, Finanzdienstleister und bildungspolitisch Verantwortliche sind aufgerufen, die Kompetenz der Deutschen in Finanzfragen deutlich zu befördern. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Frauen. Traditionelle Versorgungsmodelle sind kein Garant mehr für eine lebenslang ausreichende finanzielle Grundlage. Frauen müssen dringend die Scheu davor verlieren, sich finanziell auf eigene Beine zu stellen.

Die Deutschen schätzen Risiken falsch ein

Im Vergleich zu den Vorjahren hat sich bei der Risikokompetenz und Eigenverantwortung der Deutschen eher wenig Positives getan. Das ohnehin niedrige Niveau des ,“Risikokompetenz-Index“ fällt seit 2018 leicht, aber kontinuierlich. 2022 ist dieser mit 2,4 von zehn möglichen Punkten auf seinem bisherigen Tiefstand angelangt (2018: 2,6 Punkte, 2019: 2,5 Punkte). Insgesamt neigen die Deutschen weiterhin dazu, Risiken falsch einzuschätzen oder am liebsten gleich ganz zu meiden. Dabei werden Chancen übersehen und eigene Verantwortung wird lieber an andere abgegeben, statt diese aktiv zu nutzen. Es gibt aber auch erfreuliche Entwicklungen zu berichten, beispielsweise die steigende Nutzung vorsorgerelevanter Vollmachten oder die größere Risikobereitschaft bei Geldanlagen für Altersvorsorge und Vermögensaufbau, insbesondere bei jüngeren Menschen.

Die Angst vor der Inflation greift um sich

Die Angst vor Inflation ist stark gestiegen – von 24 Prozent in 2019 auf 46 Prozent in 2022. Am meisten sorgen sich hier jüngere Menschen (18-30-Jährige: 50 Prozent). Auch die Angst vor einer neuen Finanzkrise in der Größenordnung von 2008 wächst – von 22 Prozent in 2019 auf aktuell 27 Prozent. Besonders stark ausgeprägt ist diese Sorge ebenfalls bei den Jüngeren (18-30-Jährige: 32 Prozent) sowie in höheren Einkommensgruppen (Haushaltsnettoeinkommen von 5.000 Euro und mehr: 37 Prozent).

Frauen haben Angst vor finanzieller Not

Frauen sehen sich häufig von finanzieller Not und Altersarmut bedroht Frauen haben insgesamt deutlich mehr Angst vor finanzieller Not als Männer, insbesondere junge Frauen. Jede vierte Frau (25 Prozent) hat Angst, durch den Verlust des Arbeitsplatzes oder eine zunehmend geringere staatliche Absicherung in eine finanzielle Notlage zu geraten (Männer: 18 Prozent). 34 Prozent der Frauen geben zudem an, sie müssten sich finanziell jetzt bereits stark einschränken (Männer: 23 Prozent) und 46 Prozent (!) fürchten sich vor Armut im Alter (Männer: 36 Prozent).

Die größere Angst hat Gründe: Das aktuelle Einkommen der Frauen ist deutlich niedriger als das von Männern: In der Gruppe mit dem niedrigsten Haushaltsnettoeinkommen finden sich doppelt so viele Frauen wie Männer; beim höchsten Einkommen ist es umgekehrt. Und: Lediglich ein Viertel der Frauen (25 Prozent) haben derzeit in Aktien oder Fonds investiert (Männer: 43 Prozent).

Deutliche Altersschere bei finanziellen Sorgen

Insgesamt betrachtet sagen je 29 Prozent der Befragten, dass sie sich ums Finanzielle keine Sorgen machen beziehungsweise sich in vielen Bereichen stark einschränken müssen. Dahinter verbirgt sich eine deutliche Altersschere. Sagen bei den 18- bis 30-Jährigen noch 34 Prozent, dass sie sich keine finanziellen Sorgen machen, sind es bei den über 50-Jährigen nur noch 28 Prozent. Und während nur 17 Prozent der 18- bis 30-Jährigen sich im Alltag spürbar einschränken müssen sind es bei den Älteren doppelt so viele. Ab einem Alter von 40 Jahren rechnet auch die Mehrheit (56 Prozent) damit, sich im Alter finanziell einschränken zu müssen (unter 40-Jährige: 42 Prozent). Zugleich haben drei Viertel (78 Prozent) aller Bundesbürger, die sich aktuell bereits stark einschränken müssen, keine Hoffnung, dass sich ihre Lage bis zum Ruhestand und darüber hinaus verbessern wird. Das sind keine guten Zukunftsaussichten.

Weitere Artikel
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments