Die Rolle von Anleihen im neuen System
Die hartnäckigere Inflation, die Rückführung der quantitativen Lockerung und die Rückkehr des Zinszyklus deuten darauf hin, dass die Wertentwicklung von Anleihen im Verlauf des Zyklus stärker schwanken wird.
Abbildung 3 zeigt die Wertentwicklung wichtiger Anlageklassen in den verschiedenen Phasen des Konjunkturzyklus.
(Zur Bestimmung des Zyklus dient die Produktionslücke, d. h. die Differenz zwischen der tatsächlichen und der potenziellen Produktion einer Volkswirtschaft. Expansion: Die Produktionslücke ist positiv und nimmt zu. Abschwung: Die Produktionslücke ist positiv und nimmt ab. Rezession: Die Produktionslücke ist negativ und nimmt ab. Erholung: Die Produktionslücke ist negativ und nimmt zu.)
Die Abbildung zeigt, dass Anleihen im Durchschnitt in jeder Phase eine positive Performance erzielten. Im letzten System lagen die Zinsen bei null oder sogar im negativen Bereich, weshalb vermehrt auf die quantitative Lockerung zurückgegriffen wurde. Wir gehen davon aus, dass sich im neuen System Anleihen sowohl in der Erholung als auch in der Rezession sehr gut entwickeln werden. In den Phasen Expansion und Abschwung könnte die Wertentwicklung jedoch durch steigende Zinsen unter Druck geraten.
Mit der Rückkehr des Zinszyklus und unter der Annahme, dass dieser synchron mit dem Wachstumszyklus verläuft, sollten die Zentralbanken in expansiven Phasen mit Zinserhöhungen beginnen und diese in Abschwungphasen fortsetzen (schwache Anleihenperformance), während sie in Rezessionen die Zinsen senken und ihre lockere Geldpolitik in Erholungsphasen fortsetzen (starke Anleihenperformance).
Abbildung 3: Die Wertentwicklung von Anlageklassen im Konjunkturzyklus
Wir halten eine strategische Allokation in Anleihen nach wie vor für sinnvoll. Das tatsächliche Engagement im Portfolio muss in dieser neuen Struktur jedoch aktiver verwaltet werden. Wir glauben ferner, dass sich die Wertschwankungen von Anleihen „normalisieren“ werden – also etwa den langfristigen durchschnittlichen Wertschwankungen der Jahre vor 2009 (als die quantitative Lockerung eingeführt wurde und zu wirken begann) entsprechen werden. Das bedeutet, dass Anleger eine größere Entschädigung (d. h. Rendite) verlangen werden, wie Abbildung 4 zeigt. Und wenn Anleihen nicht mehr durchweg negativ mit Aktien korrelieren, müssen Anleger ihre Rolle im Portfolio anders verstehen – nicht länger als Diversifikator, sondern als Renditebringer.
Abbildung 4: Renditen beginnen Diversifikationsvorteile zu überwiegen
Barmittel – weitere Renditequelle
Auf nominaler Basis dürften die Geldmarktsätze deutlich höher liegen als im letzten System, da die Zentralbanken kaum zu negativen oder Nullzinsen zurückkehren werden. Dies wird in Abbildung 4 deutlich. Zum 31. Dezember 2022 erwirtschafteten die liquiden Mittel 4,4 % p. a., ein Jahr zuvor waren es nur 0,1 % p. a. Wie bei den Anleihen werden Bargeldinstrumente (z. B. US-Treasuries mit einer Laufzeit von drei Monaten) weiterhin höhere Renditen erzielen als in den vergangenen Jahren, wenn die Zentralbanken die Zinsen hoch halten, um die Inflation in Richtung ihrer Zielwerte (etwa 2 % pro Jahr) zu treiben. Wenn eine anhaltend hohe Inflation erwartet wird, könnten liquide Mittel in den Portfolios eine größere Rolle spielen.
Durch die quantitative Straffung wird jedoch überschüssige Liquidität entzogen oder reduziert. Dies könnte dazu führen, dass Risiko- und Inflationsprämien in traditionelle Anlageklassen zurückkehren. Dadurch würden diese im Vergleich zu Barmitteln an Attraktivität gewinnen. Wir halten es für unwahrscheinlich, dass Barmittel Bestandteil der strategischen Vermögensaufteilung sein werden, sie könnten jedoch auf taktischer Basis effektiver eingesetzt werden als vor dem Strukturwandel.