Aktien: Technologiesektor verliert an Glanz

Foto: Union Investment
Michael Schäfer, Portfoliomanager bei Union Investment

Höher, schneller, weiter: Das schien jahrelang die Devise für Technologieaktien zu sein. Doch seit Jahresbeginn geht es bergab. Zuletzt sogar noch rasanter nach den unerwartet hohen Teuerungsraten aus den Vereinigten Staaten. Michael Schäfer, Portfoliomanager und Tech-Analyst bei Union Investment, verrät, warum es für die Technologietitel gerade so düster aussieht – und wo dennoch Chancen schlummern.

Das Jahr 2022 ist bisher kein leichtes für Aktien. In den vergangenen Wochen ging es dies- und jenseits des Atlantiks noch einmal kräftig bergab. Der breite Aktienindex der USA, der S&P 500, liegt seit Jahresbeginn mehr als 20 Prozent im Minus. Noch härter hat es die Technologieaktien getroffen. Der technologielastige Nasdaq-Index aus den USA ist seit Jahresbeginn um mehr als 30 Prozent gefallen.

Entsprechend sind die Bewertungen des Technologiesektors in den vergangenen Monaten deutlich zurückgekommen, wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), also das Verhältnis der Kurse zum Nettogewinn, zeigt. Das KGV des Nasdaq-Indizes liegt derzeit bei etwa 22 – dabei lag die Bewertung im Dezember noch bei einem KGV von über 34. Die herben Kursverluste verleiten manche Marktbeobachter schon dazu, Parallelen zum Platzen der Internetblase um die Jahrtausendwende zu ziehen.

Hiobsbotschaften aus dem Sektor

Schon Ende April schockierten die Gewinnwarnungen von Netflix, Apple und Amazon den Markt. Die Aktie von Netflix gab an einem Tag 26 Prozent ab, seit Anfang 2022 verlor sie knapp 75 Prozent. Der Streaming-Dienst hat zum ersten Mal seit zehn Jahren Abonnenten verloren und erwartet einen weiteren Schwund. Auch Amazon sieht nach einem überraschenden Quartalsverlust aufgrund steigender Kosten künftig mehr Gegenwind. Die Nachfrage der Kunden war zwar bislang robust, doch dürfte die hohe Inflation künftig belasten. Apple hingegen bekommt die Lieferengpässe infolge der Corona-Shutdowns in China zu spüren. Zudem sitzt auch bei den Apple-Kunden das Geld nicht mehr so locker. 

Ende Mai folgten die nächsten Hiobsbotschaften. Der Aktienkurs von Snap brach um 43 Prozent ein, seit Jahresanfang fiel der Wert um mehr als 80 Prozent. Die Muttergesellschaft der Foto-App Snapchat musste ihre Quartalsschätzungen zurücknehmen, da sich das wirtschaftliche Umfeld nach Aussagen der Firma stärker und schneller als erwartet verschlechtert hat. Diese Nachricht belastete auch andere Social-Media-Unternehmen, die auf Online-Werbung als Haupteinnahmequelle angewiesen sind. Denn eine sich abschwächende Konjunktur könnte auch die künftigen Werbebudgets schmälern. So mussten auch die Aktien von Pinterest, Twitter, Facebook und die Google-Muttergesellschaft Alphabet Kursverluste hinnehmen.

Zinswende belastet die Technologiewerte stark

Das Umfeld für Technologiewerte ist aktuell sehr schwierig. Der größte negative Treiber ist die Zinswende in den USA und Europa. Die hohe Inflation der vergangenen Monate, die durch den Ukraine-Krieg nochmals zusätzlich verstärkt wurde, sorgte für eine geldpolitische Kehrtwende der US-Notenbank Federal Reserve (Fed). Die US-Währungshüter haben in diesem Jahr bereits dreimal die Leitzinsen angehoben. Und ein höheres Zinsniveau belastet vor allem schnell wachsende Technologietitel.

Denn ein Großteil ihrer erwarteten Gewinne und Mittelzuflüsse liegt in der fernen Zukunft. Um den aktuellen Wert dieser Gewinne und Cash Flows zu ermitteln und somit eine Unternehmensbewertung durchführen zu können, werden diese künftigen Zahlungsströme auf das Heute abdiskontiert. Es wird also ermittelt, was ihr heutiger Wert wäre. Und da die Zinsen gestiegen sind, wird hier ein höherer Zinssatz zum Abdiskontieren angesetzt. Der Unternehmenswert der Firmen fällt somit also niedriger aus.

Daneben belasten die durch die Zinswende deutlich angestiegenen Anleiherenditen. Wenn Anleihen wieder auskömmliche Renditen abwerfen, wieso sollten Anleger dann die schwankungsanfälligen Technologietitel bevorzugen? Hier hat sich das Bild also gedreht. Denn der große Boom des wachstumsstarken Technologiesektors seit dem Ende der Finanzkrise 2009 war vor allem auf die lockere Geldpolitik der Notenbanken mit sinkenden Zinsen zurückzuführen. Anleger mussten sich durch die teils negativen Zinsen Anlagealternativen suchen.

Investitionen in Technologieaktien galten bei vielen als Anleiheersatz, auch wenn sich die beiden Anlageklassen vom Risikoprofil unterschieden haben. Durch die Renditesuche der Anleger bauten sich teilweise sehr hohe Bewertungsprämien auf, die nach der Zeitenwende an den Kapitalmärkten nicht mehr gerechtfertigt sein dürften. Dies gilt besonders für den Bereich „Non-profitable Tech“. Hier wurden bei Unternehmen, die noch keine Gewinne erwirtschaften, zeitweise Bewertungen von bis zu 60-mal Unternehmenswert zu Umsatz erreicht.

Pandemiegewinner aus Verliererseite

Hinzu kommt, dass die Menschen derzeit wirtschaftlich schlechter da stehen. Die Corona-Pandemiefolgen und der Ukraine-Krieg schwächen das Wirtschaftswachstum ab. Die hohe Inflation führt außerdem dazu, dass die Bürger weniger Geld für Konsum übrig haben. In den konsumnahen Bereichen macht sich dies in den Bereichen Gaming, Smartphones und Konsumelektronik bereits bemerkbar.

Zudem haben sich die Bürger in Lockdown-Zeiten schon ausreichend mit elektronischen Geräten ausgestattet. Das noch übrige Geld geben die Haushalte daher lieber für Dienstleistungen wie Reisen oder Konzerte aus, auf die sie jahrelang aufgrund der Pandemie verzichten mussten. Daher ist es nicht verwunderlich, dass das Wachstum der großen Pandemie-Gewinner wie Netflix, Paypal, Amazon und Shopify zuletzt enttäuschte.

„Interessant bleiben Unternehmen, die über eine starke Marktstellung verfügen und langfristig von strukturellen Wachstumstrends profitieren. Im Software-Bereich ist die Lage zum Beispiel positiver.“

Die Aussichten für die Firmen aus den Bereichen E-Commerce und Hardware bleiben erst einmal düster. Das betrifft auch die Halbleiter-Firmen, denn Halbleiter sind in nahezu allen elektronischen Geräten verbaut. Nach vielen starken Geschäftsjahren gehen die Marktteilnehmer davon aus, dass der Höhepunkt des aktuellen Halbleiterzyklus erreicht ist. Neben der sinkenden Nachfrage nach elektronischen Geräten, leidet die Branche nach wie vor noch unter den anhaltenden, pandemiebedingten Lieferengpässen.

Vor allem die chinesischen Zulieferer werden von der strikten Null-Covid-Politik ihrer Regierung belastet. Für Teile des Technologiesektors lässt sich festhalten, dass das Gewinnwachstum wohl seinen Höhepunkt überschritten hat. Neben den geänderten Konsumpräferenzen nach den Corona-Lockdowns sind darüber hinaus der steigende Wettbewerbsdruck sowie die zunehmende Regulierung dafür verantwortlich.

Wo Schatten ist, ist auch Licht…

Dennoch ist nicht alles düster am Technologiehimmel. Interessant bleiben Unternehmen, die über eine starke Marktstellung verfügen und langfristig von strukturellen Wachstumstrends profitieren. Im Softwarebereich beispielsweise ist die Lage etwas positiver. Viele Unternehmen haben in den vergangenen Jahren in Chatprogramme, Videotelefonie oder etwa Clouddienste investiert.

Hier haben sie – verglichen mit den Hardwareunternehmen – einen entscheidenden Vorteil: Wer vor Kurzem eine neue Software aufwendig ins Unternehmen implementiert hat, wird dieser erst einmal treu bleiben. Unternehmen wie Microsoft profitieren davon, das hat sich zuletzt in den Quartalszahlen des US-Riesen bestätigt.

Daneben bietet auch der Bereich Cybersecurity Chancen. Die digitale Sicherheit ist durch Corona und den Ukraine-Krieg bedroht wie nie. Firmen müssen sich im digitalen Raum besser wappnen, auch für Privatpersonen ist das ein Thema. Unternehmen wie Palo Alto oder Tenable aus den USA liefern hier Lösungen. Das Thema Cybersecurity wird uns sicherlich die nächsten Jahre beschäftigen.

Anleger müssen genauer hinschauen 

Für Anleger heißt das: Das Geld breit in den Technologiesektor investieren – so wie es in den vergangenen Jahren oftmals erfolgversprechend war – wird nicht die richtige Strategie sein. Denn das Umfeld bleibt erst einmal rau – der Technologie-Boom in der Breite ist gestoppt. Anleger müssen genauer hinschauen und die Unternehmen identifizieren, die dem aktuellen Umfeld trotzen können. Aber auch wenn die Aussichten erst einmal schwieriger sind, lässt sich die aktuelle Lage nicht mit der Dotcom-Blase vergleichen, da die Substanz und die Nachfragetrends der Unternehmen deutlich besser sind.

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