Auch wenn die veröffentlichten Einkaufsmanagerindizes (PMI) für Tschechien, Polen und die Türkei von ihren hohen Niveaus im April 2011 spürbar zurückgekommen sind und auf eine Verlangsamung der wirtschaftlichen Dynamik hindeuten, spiegeln die zuletzt für Oktober 2011 veröffentlichten Daten für diese Länder weiterhin eine expandierende Produktionsentwicklung wider. Diese Zahlen lassen als Frühindikatoren für das BIP-Wachstum eine positive Erwartungshaltung zu. Insbesondere Polen profitiert von einer steigenden Produktion, einem merklich höherem Auftragseingang und einer steigenden Beschäftigung.
Ungarns Produktionsindizes hingegen enttäuschen auf breiter Front. Sowohl Auftragseingänge als auch die Beschäftigungsentwicklung fielen spürbar negativ aus. Für das Wirtschaftswachstum in 2012 lauten die aktuellen Konsensusschätzungen für Tschechien auf plus 1,8 Prozent und für Polen, Rumänien, Bulgarien sowie Türkei sogar auf über drei Prozent. Zum Vergleich liegt der Konsens für den Euroraum bei knapp einem Prozent. Auch für 2013 sehen die Wachstumsraten im Osten günstiger aus. Das kommt nicht von ungefähr. Die Vorteile: Deutlich geringere und nach unten flexible Arbeitskosten sowie spürbar geringere Unternehmenssteuern. Die steigende Produktivität lässt Produktionsverlagerungen Richtung Osteuropa weiter voranschreiten. Sowohl Audi als auch Opel und Daimler erhöhten ihre Investitionen in Ungarn.
Gigantischer Konjunkturschub
Darüber hinaus wirken die Fördermittel seitens der EU wie ein riesiges Sonder-Konjunkturprogramm. Im Zeitraum 2007 bis 2013 stehen Osteuropa zur schnelleren wirtschaftlichen und sozialen Angleichung an Westeuropa finanzielle Mittel in Höhe von 180 Milliarden Euro zur Verfügung. Mit der Austragung der Fußball-Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine werden die Infrastrukturprojekte noch zusätzlich beschleunigt.
Neben den positiven Einflüssen auf die Realwirtschaft wird das sportliche Großereignis auch einen starken und nicht unerheblichen medialen Effekt haben. Viele Investoren werden an die Potenziale erneut erinnert. Geringe Mittelzuflüsse dürften genügen, um für steigende Aktienkurse zu sorgen. Jedoch sollte der Anleger beachten, dass sowohl der zukünftige Konjunkturverlauf als auch die Entwicklung an den nationalen Aktienmärkten sehr unterschiedlich verlaufen.
Osteuropa ist und bleibt eine heterogene Region. Die einzelnen Länder unterscheiden sich sowohl in der Größe, dem Niveau als auch in der Dynamik. So hat Polen etwa 38 Millionen Einwohner, während Estland weniger als Hamburg hat. Der polnische Kapitalmarkt hat eine Börsenkapitalisierung von rund 160 Milliarden US-Dollar, während Estland auf knapp zwei Milliarden US-Dollar kommt. Polen wies im Jahr 2009 ein Wirtschaftswachstum von plus 1,7 Prozent auf, Estland schrumpfte um minus 13,9 Prozent. Auch an den Aktienmärkten lassen sich die unterschiedlichen Wertentwicklungen belegen: Während der polnische Leitindex Wig 20 im letzten Jahr auf Euro-Basis um 23,54 Prozent zulegen konnte, sprang der Baltic-10-Index um 58,2 Prozent nach oben.
Heterogene Volkswirtschaften
Ungarns Leitindex schloss im gleichen Zeitraum in Euro umgerechnet gar mit einem Minus von 3,2 Prozent ab. Auch die letzten drei Monate zeigen ein unterschiedliches Bild. Polens Börse verlor rund 17 Prozent, das Baltikum knapp elf Prozent und Ungarn etwa 28 Prozent. Eine erfolgversprechende Investmentstrategie muss diese Unterschiede berücksichtigen und auf sich ändernde Trends reagieren zu können. Bei der Berenberg Bank setzen wir daher auf einen streng fundamental orientierten Stockpicking-Ansatz, um aussichtsreiche Unternehmen zu identifizieren, die durch ihr Wachstum in ihrem Markt dominanter werden und in der Lage sind Kapitalrenditen und Cashflows zu generieren.
In der Vergangenheit wurden Positionen im Bankensektor noch vor der Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers im Jahr 2008 komplett veräußert. Während der Erholungsphase haben Anleger verstärkt in Rohstoff-Unternehmen investiert. Derzeit ist das Portfolio unseres Berenberg East European Equity Selection defensiv aufgestellt und wird im Verlauf der erwarteten Erholung an den Kapitalmärkten in den nächsten Wochen sukzessive Positionen in Unternehmen des Rohstoffsektors und ausgewählte Bankentitel ohne Engagement in Südeuropa investieren. Hierzu zählen der Kupferproduzent Kazakhmys und der Minenbetreiber ENRC aus Kasachstan, der ukrainische Eisenerzproduzent Ferrexpo sowie auch die türkischen Banken Halk Bankasi und Garanti Bank sowie die Bank of Georgia.
Autor Peter Reichel ist Leiter Anlagestrategie bei der Hamburger Berenberg Bank.