Die jüngsten Zinsentscheidungen der großen Notenbanken waren alle wie zuvor erwartet. Inflationsraten stagnieren oder kommen zurück, alle warten, was in den nächsten Monaten passiert. Kein Währungshüter möchte die Wirtschaft komplett abwürgen. Hinzu kommt, dass die Notenbanken die Märkte nicht mehr wie früher überraschen wollen, weil die dadurch ausgelösten Kursschwankungen ihnen zusätzliche Probleme bereiten. Die Aussagen zum künftigen Zinsniveau waren daher vergleichsweise deutlich.
Merkwürdig war, wie der Markt das interpretiert hat. Die meisten Marktteilnehmer verstanden
die Europäische Zentralbank so, dass sie mit den Zinserhöhungen nun fertig sei. Klar, dass
der Markt darauf euphorisch reagierte. Aber die Fed hat Anlegern weit weniger Hoffnungen
gemacht als erwartet. Obwohl der US-Leitzins schon 1,00 Prozentpunkte höher als der Leitzins
der Eurozone ist, hat die Fed suggeriert, dass sie Zinsentscheidungen an den Daten
festmacht. Übersetzt heißt das, dass eine weiterhin unerwünscht hohe Inflationsrate auch
neue Zinserhöhungen erforderlich machen könnte. Danach hat die Börse erstmal kräftig nach
unten gedreht. Diese Korrektur setzt sich seit vergangener Woche fort.
Die große Interpretationsbandbreite mit Blick auf die Notenbanken ist schon erstaunlich. Dabei
ist es gut möglich, dass die EZB die Zinsgipfel-Euphorie irgendwann nochmal zurücknehmen
muss, wenn die Energiepreise weiter steigen und Lebensmittel noch teurer werden. Meine
These ist, dass nicht die Inflation wie lange behauptet nur vorübergehend ist, sondern nur der
Rückgang der Inflation, die sogenannte Disinflation. Dann müssten die Notenbanken die
Zinsen weiter hochhalten oder sogar weiter erhöhen.
Bleiben die Zinsen wider Erwarten hoch, dürfen die hohe Staatsverschuldung nicht vergessen.
Allein die USA haben in den vergangenen Monaten ein Billion Dollar neue Schulden
aufgenommen. Inzwischen zahlen die Vereinigten Staaten mehr für ihre Zinsbelastung als für
den Militärhaushalt. Schon wieder droht ein Shutdown, wenn die Schuldenobergrenze nicht
angehoben wird. Deswegen bieten US-Staatsleihen derzeit eine Risikoprämie gegenüber
Europa. Im Streit um die erneute Anhebung der Schuldenobergrenze könnten
Ratingagenturen zudem die Bonitätsnote der USA erneut zurückstufen. Dann dürfte der Markt
kaskadenartig noch höhere Risikoprämien auf Renten und Aktien verlangen. Die Altschulden
der Staaten werden zudem rollierend immer teurer, wenn alte Staatsanleihen auslaufen und
in höher verzinste Anleihen umgeschuldet werden muss. Das ist eine sehr schwierige Situation
für die Staaten und die Zentralbanken.
Wenn die Basiseffekte der bisherigen Zinserhöhungen ihre Wirkung verlieren, kann die
Inflationsrate wieder ansteigen, etwa weil die Ölpreise weiter klettern oder China ein
Konjunkturprogramm auflegt und seine Rohstoffnachfrage erhöht. Die Mietpreise und
Energiekosten sind weiter hoch, auch bei Lebensmitteln gibt es Anzeichen für weitere
Preiserhöhungen. Die Restaurantpreise werden spätestens mit der Mehrwertsteuererhöhung
kommendes Jahr steigen, ebenso die CO2-Preise und damit die Energiepreise. Das werden
wir also an der Zapfsäule, bei den Flugpreisen, beim Essen und vielem mehr merken. Das
wäre ein guter Grund für die Zentralbanken, länger als erwartet auf dem hohen Zinsniveau zu
beharren oder sogar noch mal die Zinsen zu erhöhen.
Das Thema Inflation ist also alles andere als bereits abgehakt. Wir werden im Durchschnitt in
diesem Jahrzehnt höhere Inflationsraten sehen, als wir es gewohnt sind. Das wird wellenartig
passieren. Es wird auch gegenläufige Effekte geben. Aber ein Großteil der Nachfrage kommt
heute aus Märkten außerhalb der Eurozone, vor allem aus China und Indien. Deshalb können
die Preise nicht so sinken, wie es in der Eurozone nötig wäre.
Anleger am Aktienmarkt, die bis in den Sommer hinein noch an ein Ende der Zinserhöhungen
geglaubt haben und bei der Aussicht auf Zinssenkungen zur Bekämpfung der Rezession ganz
euphorisch waren, dürften enttäuscht werden. Zum einen, weil sich das Bild an der Börse
durch Anleiherenditen auf Höchststand gewandelt hat. Zum anderen, weil selbst bei zeitweilig
rückläufiger Inflation Nachfragesteigerungen auf ein Rezessionsumfeld treffen. Mittlerweile
deuten die Konjunktur-Frühindikatoren an, dass nicht nur Deutschland, sondern auch
Frankreich, ja sogar die ganze Eurozone im vierten Quartal oder im ersten Quartal 2024 in
eine Rezession hineinrutschen.
Zuletzt gingen die Markteilnehmer mehrheitlich davon aus, dass wir aufgrund der
Rezessionsgefahren den Zinsgipfel – also das Ende der Zinserhöhungen durch die
Notenbank- – erreicht haben. Im Abschwung wäre die Inflationsrate nach dieser Lesart nicht
mehr so ein Problem, das zeigt die Historie. Zum Börsenhoch im August trieb die Hoffnung,
die Zinsen könnten wegen der Rezessionsgefahr sogar rasch wieder sinken und die Märkte
mit frischer Liquidität versorgen, den Aktienmarkt auf ein neues Hoch. Doch unter diesen
Umständen müssen Anleger damit rechnen, dass Zinssenkungen bei den Notenbanken
absehbar kein Thema sind. Die Zinsen bei den langen Anleihelaufzeiten dürften mit 4,50
Prozent Rendite bei zehnjährigen US-Staatsanleihen und 2,70 Prozent für Bundesanleihen
gleicher Laufzeit ihren Hochpunkt fast erreicht haben. Bei den kurzen Laufzeiten ist ohne
Zinssenkungen der Notenbanken auch kein Rückenwind für die Anleihekurse zu erwarten.
Mit dem Verpuffen der Euphorie sehen wir nun eine deutliche Korrektur an den Börsen, weil
bullische Investoren jetzt auf die Bärenseite wechseln. Jetzt profitieren Anleger, die sich
rechtzeitig defensiv positioniert und seit dem Sommer Gewinne mitgenommen haben. Auch
bei Do Investment haben wir die Aktienquote in den vergangenen Wochen um ein Drittel
gesenkt, viele Zykliker und Industriewerte verkauft und auch Japan-Investments in der
Euphorie halbiert. Selbst unsere Goldposition haben wir reduziert, da die hohen
Anleiherenditen den Goldpreis noch länger belasten dürften. Zudem werden wir nun nach und
nach von kurzlaufenden in langlaufende Anleihen umschichten.
Die Anleiherenditen der zehnjährigen US-Treasuries könnten auch noch auf 4,75 Prozent
steigen. Wenn der Markt nun aber keinen inflationären, sondern einen konjunkturellen
Bärenmarkt durchspielt, dürften die langfristigen Zinsen wieder fallen. Fraglich bleibt, ob die
Zentralbank wegen der hohen Zinsen bei den kurzen Laufzeiten nochmals an der
Zinsschraube dreht. Die Gesamtgemengelage bietet jedenfalls das Potenzial für einen starken
Dip an den Börsen.
Aus meiner Sicht wäre eine Korrektur am Aktienmarkt um zehn bis 15 Prozent nach unten
angebracht. Im S&P 500 könnte es runtergehen bis 4200 Punkte, an der Nasdaq bis auf
13.500 Punkte. Das böte Anlegern eine Chance auf neue Kaufgelegenheiten. Wir warten also
die Korrektur ab und kaufen dann wieder zu, was wir vorher reduziert hatten: Tech-Aktien,
Industrie, aber auch Japan oder Gold.
So eine Korrekturphase muss nicht sehr lange dauern, sie könnte schon bald vorbei sein. Im
Jahr vor einer US-Wahl gibt es regelmäßig eine Herbstrally, die den Markt meist ab Oktober
antreibt und bis zum Jahresende trägt, manchmal sogar bis in das erste Quartal hinein. Dann
dürften Anleger, die den Sommer für Gewinnmitnahmen genutzt haben und wieder einsteigen
können, die Nase vorn haben.