Frau vom Bruck, herzlichen Glückwunsch zu ihrer neuen Position. Wie waren denn die ersten Wochen?
vom Bruck: Spannend und aufregend: Ich lerne viel Neues, obwohl ich schon umfangreiche Erfahrung in der Produktentwicklung und in der Lebensversicherung mitbringe. Besonders faszinierend finde ich die tieferen Einblicke in Operations und den Vertrieb. Zudem waren wir in den letzten Zügen des Zusammenschlusses mit der Barmenia, der jetzt perfekt ist. Diese intensive Phase hat mir viel Spaß gemacht, da sie einen besonderen Flow erzeugt, der motivierend wirkt.
Wie lange haben Sie überlegt, den Posten anzunehmen?
vom Bruck: Ich habe tatsächlich nicht lange überlegt, da es sich von Anfang an gut anfühlte. Trotzdem nahm ich mir, als es konkreter wurde, ein paar Tage Bedenkzeit. Eine so wichtige Entscheidung sollte nicht aus dem Bauch heraus getroffen werden. Ich habe auch mit meinem Mann gesprochen, da in der Rolle auch mal Dinge am Wochenende anfallen und Urlaub nicht immer planbar ist.. Er musste einverstanden sein, damit wir gemeinsam wissen, worauf wir uns einlassen. Letztlich fiel die Entscheidung binnen eines Wochenendes.
Sie neben Katja de la Vigna die zweite CEO in der Lebensversicherung. Jung und weiblich ist in der Vorstandsebene der Lebensversicherer noch die Ausnahme. Wie definieren Sie Ihre Position in Bezug auf Ihr Selbstverständnis?
vom Bruck: Als CEO ist es meine Aufgabe, die verschiedenen Ressorts und Themen zusammenzuhalten. Ich trage die Verantwortung für Wachstum und Ertrag der Gesellschaften im Lebensbereich, wie die Gothaer Leben und die Gothaer Pensionskasse. Mein Fokus liegt darauf, alle Puzzleteile so zusammenzubringen, dass sie gut ineinandergreifen und der Gesellschaft als Ganzes dienen.
Sie sind auch Aktuarin. Was begeistert Sie an der Versicherungsmathematik?
vom Bruck: In der Mathematik ist die Welt so herrlich einfach. Es gibt richtig und es gibt falsch. Ich finde, das ist sehr schön und erfrischend, weil die richtige Welt selten so ist. In der Versicherungsmathematik ist es nicht ganz so einfach, dort arbeiten wir mit Annahmen, die Grauzonen schaffen, aber letztlich bleibt alles konsistent und plausibel. Diese Klarheit macht es einfacher Entscheidungen zu treffen und ist ein willkommener Kontrapunkt zu der komplexen, turbulenten Realität.
Wann ist bei Ihnen die Entscheidung gefallen, dass es die Versicherungsmathematik werden soll?
vom Bruck: Meine erste Station bei der Gothaer war 2010 im Risikomanagement. Das war kurz nach Einführung der Solvency 2 Rahmenrichtlinie. Zu der Zeit haben wir viel mit Modellen gearbeitet und durch diese Arbeit wurde meine Begeisterung für die Versicherungsmathematik geweckt.
Da wusste ich, dass ich eine Aktuarsausbildung machen wollte. Allerdings fehlte mir die passende Erstausbildung dafür. Denn Aktuare sind typischerweise Mathematiker, ich habe Betriebswirtschaftslehre studiert. Das hieß, dass ich für die Zulassung zwei Zugangsprüfungen absolvieren musste. Das war schon herausfordernd.
Der griechische Philosoph Heraklit sagt, nichts ist beständiger als der Wandel. Nun haben Gothaer und Barmenia fusioniert. Wo legen Sie als Vorstandsvorsitzende des neuen Lebensversicherers den Fokus?
vom Bruck: Erst einmal, ich liebe gute Zitate. Wir haben in der BarmeniaGothaer Gruppe jetzt die Gothaer Leben dazu die Gothaer Pensionskasse und Prisma Life. Die Bestände der Barmenia Leben sind direkt mit dem Zusammenschluss auf die Gothaer Leben übertragen worden und die Barmenia Leben wurde auf die Barmenia Versicherungen a. G. verschmolzen.
Zum gemeinsamen Start sind für mich zwei Dinge wichtig: das Team und das fachliche Zusammenwachsen. Das Kennenlernen der Teams ist entscheidend, da gute persönliche Beziehungen die Basis für erfolgreiche Zusammenarbeit bilden. Dank der Bestandsübertragung sind wir bereits ein großer Risikoträger und können direkt als ein Team starten. Fachlich müssen wir Prozesse und Systeme vereinheitlichen, um effizient zu arbeiten und nicht in zwei Welten zu agieren. Dabei müssen wir den Markt im Blick behalten und Stärke nach außen zeigen.
Mit der Prisma Life haben Sie auch eine ausländische Tochter und für Sie Neuland. Welche Rolle spielt dann das ausländische Geschäft künftig für den neuen Lebensversicherer?
vom Bruck: Es ist für uns kein echtes Neuland, da die Gothaer Leben bis vor Kurzem in Österreich tätig war. Allerdings müssen wir uns die Prisma Life nach der Fusion genau anschauen, um ihre Positionierung zu klären. Ein zentrales Thema bei der ersten gemeinsamen Strategie wird sein, dass alle Unternehmen sich ergänzen. Insofern braucht jedes Unternehmen hier einen klaren, strategischen Fokus.
Der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft erwartet für die Lebensversicherungssparte in diesem Jahr einen weiteren Umsatzrückgang. Wie groß ist denn der Aufwand bei der Anbahnung und bei den Beratungsgesprächen aktuell?
vom Bruck: Die aktuelle Lage ist schwierig, mit Inflation, steigenden Kosten und negativen Nachrichten wie Kriegen, die die Menschen verunsichern. Viele halten ihr Geld lieber zusammen, was Beratungen aufwendiger macht und eine hohe Beratungsqualität erfordert. Kunden müssen transparent aufgezeigt bekommen und verstehen, welchen Nutzen ein Produkt bietet, um fundierte Entscheidungen zu treffen. Ich glaube, dass wir eine gute und hochwertige Beratung haben und bieten. Das spiegelt sich im positiven Geschäftsverlauf dieses herausfordernden Jahres wider.
Wachstumsfelder sind ja laut ihrem Vorgänger Michael Kurtenbach, die bAV und die Biometrie. Wo stehen Sie hier in diesen Segmenten jetzt so sehr Jahresmitte?
vom Bruck: Genau diese beiden Wachstumsfelder haben sich sehr positiv entwickelt. In der Biometrie haben wir tatsächlich im Vergleich also zum Vorjahreshalbjahr einen Anstieg von über 220 Prozent.
220 Prozent?
vom Bruck: Allerdings kommen wir hier von einem niedrigen Level. Der Umsatz ist von 200 auf über 600 Millionen Euro gestiegen, was einem Wachstum von 220 Prozent entspricht. Wachstumstreiber Nummer eins ist die sehr erfolgreiche SBU, die wir Mitte vergangenen Jahres eingeführt haben. Zur Hälfte stammt das Wachstum auch aus der SBU in der betrieblichen Altersversorgung, wo wir ebenfalls stark positioniert sind. Die bAV wächst seit Jahren solide, dieses Jahr um 18 Prozent. Die private Altersversorgung stagniert aber auf Vorjahresniveau. Im September führen wir eine neue Fondsrente ein, um auch hier voranzukommen. Und dann, würde ich sagen, sind wir in allen drei Bereichen gut positioniert.
Woran liegt das? Haben Sie irgendwas in der Beratung verändert?
vom Bruck: Tatsächlich liegt es im Wesentlichen am Produkt und natürlich auch den Verkaufsmaterialien. Wir verkaufen Biometrie und die SBU mit einem Schwerpunkt im Maklermarkt. Da ist es dann natürlich wichtig, wie wir das Produkt vermarkten. Ein gutes Produkt muss trotzdem gesehen werden, damit es am Ende angenommen wird. Und da merken wir, dass das sehr gut funktioniert. Also über den Preis, aber auch über bestimmte Features, die andere Wettbewerber nicht mitbringen. Das heißt, das Produkt an einigen Stellen konkurrenzlos und damit natürlich auch sehr gut positioniert.
Wo sind Sie da konkurrenzlos?
vom Bruck: Ein wesentlicher Faktor ist die Teilzeit: Viele Kunden gehen in Teilzeit und benötigen eine geringere BU-Absicherung. Normalerweise würde bei einer Beitragsreduktion ein Stornoabzug fällig, aber bei nachgewiesener Teilzeit verzichten wir darauf. Das bietet den Menschen mehr Flexibilität. Teilzeit wird heute häufiger und selbstverständlicher, für beide Geschlechter. Und das ist ein entscheidender USP.
Thema Einmalbeitragsgeschäft. Das war in der Vergangenheit stets ein wichtiges Standbein. Vor dem Hintergrund der Zinsentwicklung haben sie gegenüber den Banken das Nachsehen. Welche Entwicklung erwarten Sie in dem Segment?
vom Bruck: Wir merken auch nach der ersten Zinssenkung noch, dass das Einmalbeitragsgeschäft auf jeden Fall noch schwierig ist, weil es attraktive Renditealternativen im Markt gibt. Obwohl Einmalbeitragsprodukte oft höhere Renditen bieten, sind viele Anleger mit drei bis dreieinhalb Prozent auf Tagesgeld zufrieden. Dennoch sehen wir eine wieder zunehmende Nachfrage nach unseren Einmalbeitragsprodukten, da sie besser abschneiden und Tagesgeldkonten oft nach einem halben Jahr schlechtere Konditionen bieten. Mit möglichen Zinssenkungen in der Zukunft wird ein längerfristiges Produkt attraktiver. Es gab eine leichte Wiederbelebung im Vergleich zum letzten Jahr, aber es brauchte noch mehr Zinssenkungen, damit es wirklich wieder attraktiv wird.
Stiftung Warentest hat die Indexrenten massiv kritisiert. Sie bieten ebenfalls ein Indexrentenprodukt an, teilen Sie die Kritik?
vom Bruck: Ich würde gerne zuvor das Index-Produkt der Gothaer Leben einordnen. Die Indexrente entstand, weil klassische Rentenmodelle im Niedrigzinsumfeld nicht mehr funktionierten. Versicherer mussten sich anpassen, um ihren Kunden weiterhin eine attraktive Rendite bieten zu können, und wählten den Weg zum Kapitalmarkt. Für Kunden, die Garantien bevorzugen und nicht rein in Fonds investieren möchten, ist die Indexrente eine gute Lösung.
Anstelle der klassischen Indexrenten haben wir uns jedoch für ein dynamisches Hybridprodukt entschieden, das auf zwei Töpfen basiert: einen klassischen und eine Indexbeteiligung. Diese Variante bietet aus unserer Sicht mehr Transparenz und dauerhaft gute Ablaufleistungen. Bei der Produktentwicklung haben wir beide Varianten geprüft und uns für das dynamische Hybridprodukt entschieden, da es für unsere Kunden die bessere Wahl ist. Indexrenten haben ebenfalls ihre Berechtigung, abhängig von den individuellen Wünschen des Kunden. Letztlich hängt die Wahl vom Bedarf und den Zielen des Kunden ab.
Ihrer Argumentation entnehme ich aber, dass Sie die Kritik nicht teilen?
vom Bruck: Da wir das Produkt nicht anbieten, möchte ich keine pauschale Kritik äußern. Es gibt berechtigte Kritik an manchen Produkten, da sie intransparent sind und es für Kunden schwierig ist, ihre tatsächlichen Erträge zu erkennen. Die Qualität variiert jedoch stark. Ich stehe voll hinter unserer Entscheidung, auf ein dynamisches Hybridprodukt zu setzen, da es für uns die bessere und transparentere Lösung ist.
Im kommenden Jahr wird erstmals nach drei Jahrzehnten der Garantiezins in der Lebensversicherung wieder angehoben. Welche Rolle spielen heute Sicherheit und Garantien in der Altersvorsorge?
vom Bruck: Es ist interessant, dass jüngere Kunden oft lieber Garantien wünschen, während ältere Kunden eher darauf verzichten. Das könnte mit ihrer Erfahrung in Finanzprodukten zusammenhängen: Ältere verstehen, dass Sicherheit Geld kostet und vertrauen bei längerer Laufzeit auf den Markt. Obwohl 100 Prozent Beitragsgarantie durch den angehobenen Rechnungszins möglich sind, bin ich kein Fan davon. Wir werden das in den Konstellationen, wo es Sinn macht, ins Angebot aufnehmen, also gerade in der betrieblichen Altersversorgung. Aus meiner Sicht gibt es da aber Potenzial für Enttäuschungen, weil die Sicherheit natürlich Rendite kostet. Gerade bei jüngeren Eintrittsaltern lohnt es sich, weniger oder keine Garantie zu nehmen. Wer eine gewisse Sicherheit möchte, kann ja auch mit 80 oder 90 Prozent Beitragsgarantie arbeiten, um einen gewissen Schutz zu haben. Ich glaube aber, dass bei jungen Kunden auch Produkte ohne Garantien sehr gut funktionieren, weil die Produkte durch ein Ablaufmanagement vor Kapitalmarkteinbrüchen kurz vor der Rente abgesichert sind.
Gibt es bei jüngeren Kunden eine höhere Bereitschaft für investmentbasierte Altersvorsorge mit reduzierten Garantien als bei älteren?
vom Bruck: Wir haben in einer Studie gefragt, was den Menschen bei Geldanlage am wichtigsten ist. Ist es Sicherheit, ist es Rendite oder ist es Flexibilität? Und da ist es tatsächlich so, dass die Jüngeren viel größeren Wert auf Sicherheit legen. Und wenn man sich dann anguckt, wie die ihr Geld investieren, dann legen sie es hauptsächlich in das Sparbuch. Da zeigt sich, wie wichtig Beratung ist.
Und welche Rolle spielt denn Flexibilität bei modernen Produkten?
vom Bruck: Es wird in der Tat oft gefordert, dass Produkte die Möglichkeit für Zuzahlungen oder Teilauszahlungen bieten sollen, um dem Kunden die Flexibilität zu geben, wenn sie mehr mal Geld zur Verfügung haben oder benötigen. In der Praxis merken wir aber, dass das nur selten genutzt wird. Vielleicht mal Zuzahlungen mit einem Bonus, aber gerade die Teilauszahlungsoption wird in sehr überschaubarem Umfang genutzt.
Das überrascht, denn wir hören in vielen Gesprächen zu Thema Altersvorsorge, wie wichtig den Kunden die Flexibilität ist.
vom Bruck: Das ist auch ein wesentliches Verkaufsargument. Kunden wollen die Sicherheit, dass sie im Notfall jederzeit an ihr Geld kommen. Das Bedürfnis nach Flexibilität, besonders im Hinblick auf den Zugriff auf das investierte Kapital, steht oft noch über der Option von Zuzahlungen. Viele Kunden, die gut beraten wurden, planen so, dass sie das Geld eigentlich nicht mehr antasten müssen – es sei denn, veränderte Lebensumstände machen es notwendig. In solchen Fällen ist es gut, diese Möglichkeit zu haben. Wer konservativ und umsichtig plant, kann langfristig investieren und setzt Altersvorsorge oft über kurzfristige Wünsche wie Urlaubsreisen. In unserer Studie sagte rund ein Viertel der Befragten, dass Flexibilität für sie wichtigste Aspekt sei, während 49 Prozent die Sicherheit als oberste Priorität nannten.
Stichwort Eltif 2.0. Nach Angaben von BCA nimmt die Produktkategorie deutlich Fahrt auf. Es gibt erste Lebensversicherer, die bieten ELTIFs für die Altersvorsorge an. Ist das für Sie ebenfalls eine Option?
vom Bruck: Ich finde das Konzept insgesamt sehr spannend. Allerdings denke ich, dass es etwas spät kommt, da es in einem Niedrigzinsumfeld noch attraktiver gewesen wäre. Derzeit gibt es andere Anlageoptionen, die sicherer und liquider sind und ebenfalls attraktive Renditen bieten, wie zum Beispiel Rentenfonds, die wieder gute Verzinsungen ermöglichen. Wir beschäftigen uns aktuell nicht näher damit, da ich dort auch gewisse Risiken sehe. Ein zentrales Thema ist die Illiquidität, die wir teilweise anderen Produkten beobachtet haben, insbesondere bei Immobilienfonds. Es wird problematisch, wenn viele Investoren gleichzeitig ihr Kapital abziehen möchten, sei es durch Marktunsicherheiten oder andere Faktoren. In solchen Fällen kann es dazu kommen, dass die Fonds geschlossen werden müssen, weil die Titel nicht schnell genug veräußert werden können. Daher halte ich es für wichtig, dass Privatanleger bei solchen Produkten gut informiert und beraten werden. Der Kunde muss verstehen, worauf er sich einlässt.
Seite 2: „Um 90 Prozent der Menschen bis ans Lebensende abzusichern, muss man bis etwa 95 Jahre planen. Vielen ist das nicht bewusst.“