Die europäische Zentralbank feiert 25. Geburtstag. Am 1. Juni 1998 wurde die Notenbank ins Leben gerufen, woraufhin sie die Einführung des Euros im Jahr 1999 begleitete und seither die Hauptaufgabe hat, die Geldwertstabilität der Gemeinschaftswährung zu sichern. Von Anfang an gab es Markteilnehmer, die der EZB gar nicht erst zutrauten, ein Vierteljahrhundert zu überdauern. Doch die Notenbank überstand einiges: die Dot-com-Blase, die Finanzkrise 2007 und zuletzt die Eurokrise, in der das Fortbestehen der Währung – und somit auch der EZB – Spitz auf Knopf stand.
Es waren nicht Taten, sondern hauptsächlich Worte, die als die wichtigste „Entscheidung“ in die EZB-Geschichte eingingen: Die berühmte Aussage des damaligen EZB-Präsidenten, Mario Draghi, man werde den Euro retten, „whatever it takes“, beruhigte die Kapitalmärkte am Höhepunkt der Eurokrise. Dies erleichterte die Refinanzierung einzelner hochverschuldeter Euro-Staaten und läutete das vorläufige Ende der Krise ein. Gleichzeitig übernahm die Notenbank dadurch auch politische Verantwortung und unterwanderte selbst ihre Unabhängigkeit. Die Jahre darauf sorgte die EZB erneut für Aufsehen, indem sie Staatsanleihen kaufte, den Leitzins auf null Prozent senkte und als weltweit erste Notenbank den Einlagenzins ins Negative drückte – obwohl akute Krisen längst abgewendet waren.
Wendepunkt: Politik versus Geldpolitik
Nun steht die EZB vor einem weiteren Wendepunkt. Der Einfluss der Politik auf die Währungshüter hat eklatant zugenommen, was sich z. B. daran zeigt, dass die EZB seit Kurzem auch klimapolitische Ziele verfolgt. Dass mit Christine Lagarde erstmals seit 16 Jahren wieder eine Person mit prominenter politischer Vergangenheit die EZB anführt, dürfte dies begünstigt haben. Unter Lagardes Aufsicht soll die Notenbank nun ihr Anleiheportfolio von konventionellen auf klimafreundliche Bonds umschichten. So wird die EZB indirekt zum Finanzierer grüner Schuldner. Ob dies nun unter politischem Druck oder aus Naivität geschieht, die Notenbanker sind sich der Tragweite ihrer Verantwortung offenbar nicht mehr bewusst.
Die Geldwertstabilität könnte zunehmend als wichtigstes EZB-Ziel verwässert werden. Dabei wird die Notenbank als unabhängiger Währungshüter dringend benötigt, denn die Politik ist dazu nicht fähig. Mit kurzfristigen, kostspieligen Wahlversprechen und guten Umfragewerten lässt sich diese große Verantwortung nicht vereinbaren. Im Gegenteil: Die Eurostaaten haben mit ihren massiv erhöhten Fiskalausgaben Geld in den Markt gepumpt, die Nachfrage angefeuert und so die Inflation verschlimmert. Gleichzeitig steigen die Staatsschuldenstände – z. B. in Frankreich und Italien – immer höher.
Ein Blick an den Bosporus
Was geschieht, wenn sich Politik und Geldpolitik vermischen, ließ sich zwischenzeitlich in der Türkei beobachten: Auf Wunsch der Regierung wurden dort 2021 trotz zweistelliger Inflationsraten die Zinsen gesenkt, was die Teuerung zum Leid der verarmenden Bevölkerung anheizte. In der EU ist es so weit noch nicht gekommen. Doch die Gefahr ist groß, dass die EZB langfristig mehr Verantwortung für die Staatsausgaben in der Eurozone übernimmt. Mit Anleihekäufen und einem dauerhaft negativen Realzins, der die Schuldenlast durch Inflation entwertet, könnte die EZB versuchen, Staaten und politische Vorhaben finanziell zu unterstützen. Die Kontrolle der Inflation und der Geldwertstabilität wäre schlimmstenfalls nur noch nebensächlich.
Ist der Ruf der Notenbanker erstmal ruiniert, droht der Euro zur Weichwährung zu werden. Dann wäre er dauerhaft von einer Abwertung zu Hartwährungen wie dem US-Dollar oder dem Schweizer Franken geprägt und hätte nur noch wenig internationales Vertrauen. Ähnlich wie in der Türkei, in der die jährliche Inflation die letzten Jahre zwischen 20 und über 80 Prozent lag, würde darunter die einfache Bevölkerung am meisten leiden. Ein Wohlstandsverlust in allen Euro-Ländern wäre die Folge. Während Verbraucher und auf den Heimatmarkt fokussierte Firmen unter hohen Importpreisen ächzen, wäre die Euro-Abwertung für die vielen exportorientierten deutschen Unternehmen nicht zwangsläufig von Nachteil. Anleger könnten ihr Portfolio im Ernstfall entsprechend positionieren.
Der Euroverfall wäre jedoch nur für Sachwerte positiv. So würde der Aktienmarkt eine Absicherung gegen die Euroschwäche bieten. In den letzten fünf Jahren stieg der Aktienindex der Börse Istanbul beispielsweise um rund 470 Prozent an und half den türkischen Anlegern, die hohe Inflation zu kompensieren. Auch Gold untermauerte seine vermögenserhaltende Wirkung. In türkischer Lira gerechnet legte das Edelmetall über die vergangenen fünf Jahre um fast 670 Prozent zu und lieferte so einen ausgezeichneten Schutz vor der Geldentwertung.
Tauben in Überzahl
Im Gegensatz zur türkischen Notenbank wird die EZB nicht über Nacht politisiert werden. Der schleichende Prozess hat aber längst begonnen. Auch fehlen dem EZB-Rat konservative Stimmen, die ihre Kollegen daran erinnern, dass es nicht Aufgabe der Notenbank sein darf, Staaten oder sogar Unternehmen zu finanzieren. Laut Commerzbank-Daten treffen im EZB-Rat aktuell sechs Verfechter der restriktiven Geldpolitik (sog. Falken) auf 15 Mitglieder, die als Freunde der lockeren Geldpolitik (sog. Tauben) gelten. An der Spitze sitzt Christine Lagarde, die wie ihr Vorgänger Mario Draghi und trotz ihrer derzeit restriktiven Geldpolitik dem Lager der Tauben angehört.
Im Gegensatz zum Wirtschaftswissenschaftler und Banker Draghi, kann die ehemalige IWF-Chefin zwar Ministerposten, nicht aber tiefgreifende ökonomische Erfahrung vorweisen. Im Interview mit der britischen Zeitung „The Guardian“ ließ sie sich einmal zur Aussage hinreißen, sie wisse, dass sie keine „supertolle Ökonomin“ sei, sie habe aber „genug gesunden Menschenverstand“. Ob dieser ausreicht, um zu erfassen, dass eine stabile Währung auch Grundlage des europäischen Wohlstandes ist, muss Lagarde erst noch beweisen. Richtig erwachsen scheint die EZB jedenfalls auch mit 25 noch nicht zu sein.
Tim Bröning ist seit 2009 in der Geschäftsleitung der Fonds Finanz Maklerservice GmbH und verantwortlich für den Bereich Non-Insurance, Finance & Legal.