Herr Pellis, Sie waren bereits einmal im Zuge Ihrer Karriere in Deutschland. Wie war es jetzt nach so langer Zeit die Verantwortung für Amundi Deutschland zu übernehmen?
Pellis: Es ist in der Tat sogar das dritte Mal, dass ich wieder nach Deutschland ziehe. Das erste Mal war vor dreißig Jahren, als ich für zwei Jahre in Berlin gelebt habe, um dann in den Niederlanden mein Studium zu beenden. Das zweite Mal war dann für meine Tätigkeit bei einem britisch-amerikanischen Asset Manager. Und jetzt das dritte Mal, was sich ein bisschen so anfühlt, als würde ich wieder nach Hause kommen. Die Sprache beherrsche ich, besser noch als das Französische.
An meiner aktuellen Rolle reizt mich, dass ich als CEO alle Geschäftsbereiche verantworte: die Produktion ebenso wie den Vertrieb über unsere drei Vertriebskanäle, den Client Service sowie alle dazugehörigen Backoffice Einheiten. Angenehm ist auch dass ich nicht mehr permanent unterwegs bin. In meiner vorherigen Rolle bin ich viel gereist und habe dabei viele Amundi Büros weltweit gesehen. Dabei habe ich viel gelernt, über die Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern usw.
Aber das Reisen ist jetzt natürlich Corona-bedingt kaum mehr möglich und auch nach der Pandemie wird meine alte Rolle wahrscheinlich eine ganz andere sein, als ich sie erlebt habe. Also ich denke, the timing is more or less perfect.
Timing ist ein gutes Stichwort. Lassen Sie uns auf das Geschäft des letzten Jahres blicken, auch wenn Sie dafür noch nicht die Verantwortung tragen. Wie lief das „Corona-Jahr“ für Amundi Deutschland?
Pellis: Weltweit hatten wir 2020 durchaus ein gutes Jahr, auch wenn wir zunächst die technischen Herausforderungen meistern mussten. Die ersten drei Monate liefen wirklich sehr gut. Dann begann die Corona-Zeit, in der wir zunächst die kommunikativen Schwierigkeiten überwinden mussten. Dazu gehörte zum Beispiel auch die Bereitstellung von PCs und Bildschirmen für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, um ihnen das Arbeiten von zu Hause zu ermöglichen. Aber auch das hat schlussendlich geklappt, der Mensch ist schließlich sehr anpassungsfähig. Das Arbeiten von zu Hause heraus funktionierte dann schnell sehr gut und mittlerweile haben wir uns alle daran gewöhnt.
Ich denke, auch zukünftig wird die Betreuung der Kunden viel digitaler sein und Homeoffice Tage selbstverständlicher. Wirtschaftlich gesehen hat das Team beachtliches geleistet. Allein in Deutschland hatten wir 2020 14 Milliarden Euro Mittelzuflüsse. Ein sehr guter Einstand für mich, aber damit hängt die Latte natürlich auch sehr hoch. Ich sehe es sportlich, man braucht Herausforderungen, um immer wieder auszuloten, was geht.
Mit etwas mehr als 64 Milliarden Euro Assets under Management sind wir ein sehr starker Partner für unsere Kunden in Deutschland und mit der Einbindung ins Unternehmen auch auf der Weltbühne. Verglichen mit anderen ausländischen Spielern im deutschen Markt, sind wir da schon sehr präsent.
Führen Sie es auch auf Corona zurück, dass es so gut gelaufen ist, dass die Deutschen mehr Zeit hatten, sich über die Themen Vermögensanlage und Altersvorsorge Gedanken zu machen?
Pellis: Ob die Zeit so richtig da war, weiß ich gar nicht. Einer unserer Sales-Leute sagte einmal „People are more concerned about the health than the wealth“. Gerade zu Beginn der Pandemie war das für den Einzelnen mit Sicherheit richtig. Die Gesundheit, die Familie, war viel wichtiger als die Frage, ob man einen Euro mehr oder weniger in der Tasche hat.
Die Situation hat sich jedoch im Laufe der Pandemie verändert. Speziell der kurze Markteinbruch und die sehr schnelle Recovery haben dazu beigetragen, dass sich auch Privatanleger an den Kapitalmärkten engagiert haben. Dies wurde sicherlich, unterstützt durch die wachsenden Möglichkeiten des Online-Bankings. Das sehe ich auch ganz deutlich am Zuwachs in unserem ETF-Geschäft, das insbesondere die jüngere Generation der Anleger begeistert.
Im Radio hat unlängst eine junge Studentin erklärt, warum sie 100 Euro monatlich in einen Sparplan investiert und warum sie dies über einen ETF tut. Das geschah in einer ganz normalen Radiosendung, was vor zehn Jahren wohl nicht möglich gewesen wäre, weil einfach die Beschäftigung mit dem Thema nicht da war.
Nun sind Sie seit dem 1. Januar 2021 Chef von Amundi Deutschland. Wie sehen Ihre Pläne für dieses Jahr aus?
Pellis: Wir werden versuchen, das Niveau von 2020 zu halten. Darüber hinaus machen wir dieses Jahr viel mit ESG. Das ist das Thema des Jahres. Bereits letztes Jahr haben wir in diesem Segment einen Boom gesehen – gefördert durch Corona und durch die Marktsituation – der sich in diesem Jahr fortsetzen sollte.
War es bis vor einigen Jahren ausschließlich ein Thema für institutionelle Anbieter, rückt es jetzt mit viel Verve in den Fokus der Privaten. ESG ist einer unserer Grundpfeiler seit der Gründung 2010, teilweise aber auch noch weiter zurück. Beispielsweise war bei Amundi Technology, unserer bewährten Investmentplattform, bereits alles einprogrammiert, um Portfolios ESG-konform zu managen. Das bringt uns nach vorne und verschafft uns auch einen Vorsprung gegenüber dem Wettbewerb.
Zudem ist Europa auf diesem Gebiet schneller als die USA und auch Asien. Europäischen Asset Managern liegt das Thema ESG sehr am Herzen. Das müssen wir positiv nutzen. Ein weiteres Thema ist natürlich der Shift von aktiv zu passiv, der sich nicht zuletzt wegen des Drucks auf die Margen verstärken wird, verbunden mit der Fragestellung: Wie positionieren wir uns als Amundi Deutschland in dieser neuen Situation und was ist uns dabei wichtig?
Aktives Geschäft ist für uns nach wie vor von Bedeutung, aber die Balance wird sich langsam ändern, weil sich – und das ist das Positive – mehr Kunden auf der Retail-Seite für das Investieren interessieren. Damit werden wir wachsen, aber auch der Markt insgesamt.
Stichwort Glaubwürdigkeit. Wie reagieren Vertrieb und Kunden überhaupt auf die Tatsache, dass Amundi sowohl aktiv gemanagte als auch passive Fonds anbietet?
Pellis: In den Gesprächen mit den Kunden geht es nicht darum, ein Produkt zu verkaufen, sondern ein Problem zu besprechen und Lösungen anzubieten. Was der Kunde letztlich auswählt, ist gar nicht so wichtig. Er muss sich damit wohlfühlen. Ob passiv oder aktiv, liegt am Bedürfnis des jeweiligen Kunden.
Ich glaube persönlich sehr stark an aktiv, aber das heißt nicht, dass ich keine passiven Fonds habe, denn ich bin überzeugt, dass man einen Mehrwert damit generieren kann.
Darüber hinaus gibt es unterschiedliche Zeiten, in denen aktive oder passive Fonds erfolgreicher sind. Das muss man dem Kunden natürlich vermitteln, die Entscheidung selbst, obliegt dann ihm. Als Unternehmen aber nur eine der beiden Varianten im Angebot zu haben, wäre auf jeden Fall nicht marktgerecht.
Noch einmal zurück zur Nachhaltigkeit. Brauchen wir einen Standard, was das Thema ESG angeht, damit es auch für den Vertrieb einfacher wird?
Pellis: Ja, ich würde es begrüßen, wenn wir einen Standard europaweit oder sogar weltweit hätten. Das würde es für einen globalen Asset Manager sehr viel leichter machen. Aktuell haben wir aber in Belgien einen anderen Standard als in Deutschland und wiederum einen anderen in Frankreich.
Allen kann man nur bedingt gerecht werden und es gibt leider keine große Korrelation, auch wenn wir versuchen, unsere Produkte weitestgehend darauf abzustimmen. Ich denke aber langfristig wird es einen Standard geben, der europaweit gilt. Das ist schon aus dem Grund wichtig, weil wir künftig die Frage an den Kunden richten müssen, ob und in welchem Umfang er ESG-konform investieren möchte.
Und wenn man dann Produkte hat, die nach SFDR Artikel 8 oder Artikel 9 klassifiziert sind, dann hat man auch Lösungen für den Kunden. Ich glaube, das ist ein Standard, den es aktuell gibt. Damit kann der Berater gut arbeiten. Aber es ist natürlich wieder ein Extraaufwand für den Berater, um den Kunden das zu erklären.
Das Thema ESG an sich ist alles andere als trivial. Die gesamte Angebotspalette zu durchdringen, um auch haftungssicher zu sein, ist aber für den Berater wohl nahezu unmöglich.
Pellis: Das stimmt, aber ich frage mich, ob es für den Berater wirklich notwendig ist, immer alle Fonds, die es am Markt gibt, zu seiner Verfügung zu haben, um erfolgreich zu sein. Er sollte vielmehr versuchen, sich zu fokussieren. Der Trend in Richtung einer zunehmenden Digitalisierung kann ihm auch hierbei helfen, etwa durch eine Vorauswahl, die auch der Compliance ent- spricht und durch die er nicht Gefahr läuft, falsch oder unzureichend zu beraten. Auch als Produktgeber können wir hier sicher unterstützend helfen.
Sie erwähnten eingangs schon einmal kurz Amundi Technology. Die Plattform wurde neu aufgesetzt. Was steckt dahinter und welchen Mehrwert können Kunden erwarten?
Pellis: Wir haben den großen Vorteil, dass wir unsere eigene Investmentplattform entwickelt haben, sodass sich Änderungen recht schnell umsetzen lassen. Wir haben so über die letzten Jahre eine leistungsstarke Plattform aufgebaut, die von rund 700 IT-Spezialisten, vorrangig in Paris und Dublin, aber auch in anderen europäischen Ländern, stetig weiterentwickelt wird.
Irgendwann kam die Frage auf, ob sich die Plattform auch an Dritte vermarkten lässt. Das haben wir jetzt in die Tat umgesetzt, denn jeder, der Vermögen verwaltet, benötigt eine Investmentplattform. Unsere neue Einheit Amundi Technology zielt darauf ab, Finanzinstitute bei der Bewältigung der wachsenden strukturellen Herausforderungen zu unterstützen und ihren Kunden digitale Lösungen anzubieten.
Das Angebot umfasst ALTO Investment Platform, eine modulare Plattform, die die gesamte Wertschöpfungskette der Vermögensverwaltung abdeckt, ALTO Wealth & Distribution Platform, eine modulare Core-to-Digital- Plattform für diskretionäres Portfolio-Management und Beratungslösungen sowie ALTO Employee Savings & Retirement Platform, eine konsolidierte Plattform zur Verwaltung der Altersvorsorge.
Mit all den regulatorischen Anforderungen an den Vertrieb, können reine Produktanbieter Ihrer Meinung nach in Zukunft noch überleben?
Pellis: Wir sehen schon seit Jahren eine Bewegung im Markt hin zu großen, globalen Playern und Nischenanbietern. Für beides wird es meiner Ansicht nach weiterhin Bedarf geben. Die großen Häuser zeichnet es jedoch zusehends aus, dass sie neben den Produktjhen auch ihr Service-Angebot kontinuierlich ausbauen – so wie wir dies mit Amundi Technology oder unserem neuen Geschäftsbereich Amundi Outsourced Chief Investment Officer getan haben.
Letztere ist eine Investment- und Beratungseinheit, die Anlagedienstleistungen für institutionelle Kunden und Family Offices anbietet. Solche Leistungen werden sicherlich zukünftig Differenzierungsmerkmale werden.
Was sind aus ihrer Sicht die größten Herausforderungen in diesem Jahr, das noch immer von Corona geprägt sein wird?
Pellis: Die Herausforderung für den Berater liegt in den hoch bewerteten Aktienmärkten und in der Überwindung der Angstschwelle des Kunden, damit dieser dennoch investiert. Dabei sollte der Kunden verstehen, dass er das Nachsehen hat und seine Vorsorgelücke immer größer wird, je länger er das Geld auf dem Sparbuch stehen lässt. Und wenn Inflation wirklich kommt, hat er ein noch größeres Risiko. Er muss heute anfangen zu investieren.
Ich verbinde das immer gern mit der Altersvorsorgeproblematik. Noch arbeiten wir alle, aber wenn wir in Rente gehen, bekommen wir nicht mehr das, was unsere Eltern mal bekommen haben. Und wenn unsere Kinder in Rente gehen, dann wird es für sie noch viel schwieriger sein.
Letzte Frage. Yves Perrier wird Anfang Mai abgelöst durch Valérie Baudson. Welche Veränderungen erwarten Sie?
Pellis: Valérie Baudson ist seit vier Jahren Vorsitzende des Aufsichtsrats von Amundi Deutschland. Sie kennt Amundi. Und ich kenne Valérie, seit ich 2013 zu Amundi gekommen bin. Sie sorgt auch weiterhin für Kontinuität, das hat auch Yves Perrier in seiner Ansprache betont und das ist wichtig für uns. Wir sind und bleiben auf dem richtigen Weg.
Das Gespräch führte Frank O. Milewski, Cash.