Wenn ich in München über den Viktualienmarkt laufe, dann fällt mir diese Schlange sofort auf. Sie wird von Woche zu Woche länger. Menschen warten vor einer Bäckerei, die Brot vom Vortag verkauft. In einer Stadt wie München können sich viele Menschen das Leben nicht mehr leisten. Das macht mich wütend und ist ein Skandal. Was mir in meiner Heimat auffällt, sieht man auch in vielen anderen Städten. Betroffen ist vor allem die ältere Generation. Energie, Lebensunterhalt, Freizeit – alles wird teurer.
Für die betroffenen Menschen ist es schwierig, aus dieser Situation herauszukommen. Die Folge ist eine Vereinsamung und Abgrenzung einer ganzen Generation. „Armut riechst du nicht!“ Dieser Satz ist mir im Gedächtnis geblieben. Eine ganze Generation hat jahrzehntelang in unserem Land gearbeitet und Werte geschaffen. Nun steht sie vor einem unüberwindbaren Berg, den die Nachfolgegeneration für eben diese Menschen aufgeschüttet hat. Glaube mir, wenn du vor einem Menschen in Altersarmut stehst, wirst du es selbst im ersten Augenblick nicht merken. Du musst genau hinsehen, damit es auffällt. Darüber sprechen wollen die wenigsten Menschen. Viel zu groß ist die Scham.
Wie kann ich mich vor Armut im Alter schützen? In einer Zeit, in der fast wöchentlich neue Krisen ihren Lauf nehmen und das Vertrauen in die staatliche Vorsorge schwindet? Die Politik versucht uns zu erklären, dass die Renten in irgendeiner Form das Leben tragen können. Aber eine Krankenschwester, ein Hotelangestellter oder eine Pflegekraft werden das nicht schaffen. Dafür ist einfach das Gehalt und damit der Beitrag für die Rentenkasse zu gering. Leider beschäftigen sich noch viel zu wenig Menschen damit, wie sie im Alter liquide bleiben wollen. Aus einem einfachen Grund: weil es wehtut und teilweise unmöglich erscheint.
Wie soll eine Krankenpflegerin von ihrem Netto noch Geld zur Seite legen? Der Mensch ist ein Verdränger. Man weiß, man muss etwas tun, hat aber keine Möglichkeit, weil es wirtschaftlich nicht machbar ist. Deswegen wird das Thema weggeschoben, weil es scheinbar weit in der Zukunft ist.
Das Wichtigste ist, anzufangen
Aber es ist trotzdem möglich, mit der Vorsorge für das Alter zu beginnen. Das geht zum Beispiel über die betriebliche Altersvorsorge, die viele Konzerne, aber eben auch öffentliche Träger, anbieten. Der Sparer spürt es netto kaum. Bei 25 Euro im Monat sind dann im Geldbeutel vielleicht zehn Euro weniger. Gleichzeitig tun sich kleine Firmen aber mit dem Konzept schwer, weil es zu kompliziert wirkt. Diese Aufklärung sehe ich als klare Aufgabe unserer Branche.
Das Wichtigste ist, anzufangen. Egal wie hoch die Sparrate ist. Anfangen und nicht aufhören. Sich nicht verunsichern lassen und vielleicht auf die eine oder andere finanzielle Verrücktheit verzichten, dafür aber im Alter noch in Würde leben können.
Dies gilt besonders für Frauen. Evolutionsbedingt hat die Frau einen riesigen Nachteil: Sie bekommt Kinder. Dadurch wird eine gewisse Abhängigkeit gegenüber dem Mann geschaffen, die es zu hinterfragen gilt. Allein schon deshalb, weil während der Kinderzeit meist eben nicht in die Rentensysteme eingezahlt wird.
Es spricht doch nichts dagegen, dass Frauen und Männer gleichzeitig und gleichberechtigt mit der Altersvorsorge beginnen. Wenn also 100 Euro im Monat für die Altersvorsorge abgehen, wären das 50 Euro für jeden. Aber – warum auch immer – ist dies immer noch eine männliche Domäne. Es ist zudem frustrierend, dass die Deutschen nicht durchhalten, was sie anfangen. Die Kündigungsquote bei Altersvorsorgeverträgen ist enorm hoch. In den letzten Jahren hat sich da nichts verbessert. Deshalb mein Ratschlag: Früh beginnen, dranbleiben und den Arbeitgeber in die Pflicht nehmen.
Autor Jörg Kintzel ist Vorstand der Valuniq AG.