Die Rentenpolitik spielte im letzten Bundestagswahlkampf nur eine untergeordnete Rolle – dabei geht es um eine der zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen: die langfristige Sicherung des Lebensstandards im Alter und die Vermeidung von Altersarmut. Eine aktuelle Analyse des Beratungsunternehmen WTW fordert dringend notwendige Reformen in allen drei Säulen der Altersvorsorge.
bAV: Mehr Verbreitung und höhere Renditechancen nötig
Die betriebliche Altersversorgung (bAV) steht in Deutschland seit Jahren unter Reformdruck. Zwar ist im Rahmen der Ampel-Koalition der Entwurf für ein zweites Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG 2) entstanden, doch dieser greift aus Sicht von WTW zu kurz. Der Entwurf enthalte zwar einige sinnvolle Änderungen, darunter Anpassungen beim Sozialpartnermodell, Abfindungen, Pensionskassen und der Geringverdienerförderung. Doch für eine nachhaltige Stärkung der bAV sei mehr erforderlich, fordert die Unternehmensberatung.
Vor allem die Verbreitung der bAV müsse deutlich gesteigert werden. WTW sieht hier in einer betriebliche Opting-out-Option eine sinnvolle Lösung. Im BRSG 2-Entwurf sei eine solche Option für tariflose Bereiche vorgesehen, doch sei sie nicht geeignet, um die bAV nachhaltig zu stärken, schreibt WTW. Eine wirksame Opting-out-Regelung, die auch unabhängig von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen Anwendung findet, könne ein entscheidender Schritt zur besseren Verankerung der bAV sein.
Darüber hinaus müsse die bAV renditestärker werden. Eine wesentliche Hürde sei hier die hohe Garantieanforderung, insbesondere bei der Beitragszusage mit Mindestleistung. Eine Absenkung der Garantievorgabe auf 60 bis 80 Prozent der eingezahlten Beiträge würde Spielraum für renditestärkere Anlagestrategien schaffen, ohne das Versorgungsniveau zu gefährden. Weniger Garantievorgaben bedeuten am Ende mehr Versorgungssicherheit durch höhere Kapitalerträge.
Ein weiteres Problem sieht WTW in der fehlenden Harmonisierung der Garantieanforderungen zwischen bAV und privater Altersvorsorge. Während die staatlich geförderte private Altersvorsorge zunehmend Erleichterungen bei Garantievorgaben erhält, bleibt die bAV an strikte Anforderungen gebunden. Diese Ungleichbehandlung führe zu Wettbewerbsverzerrungen und könnte langfristig zu einer Kannibalisierung der bAV führen. Eine Gleichbehandlung beider Säulen wäre daher ein logischer und notwendiger Schritt, um eine nachhaltige Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge sicherzustellen.
Die Unternehmensberatung hat in Blick in die Wahlprogramme der Parteien geworfen und der zeigt, dass das Thema bAV dort nur oberflächlich behandelt wird. Während die Union insbesondere kleine und mittlere Arbeitgeber adressiere, setze die SPD auf renditeorientierte Sozialpartnermodelle mit Tarifvertragserfordernis und Geringverdienerförderung, so WTW. Bündnis 90/Die Grünen wiederum strebten einen Bürgerfonds an, der auch für die bAV nutzbar sein soll. Welche dieser Ansätze in der künftigen Rentenpolitik umgesetzt werden, hänge maßgeblich von den Koalitionsverhandlungen ab – eindeutige Prognosen lassen sich laut WTW kaum treffen.
Gesetzliche Rentenversicherung: Beruhigen statt Reformen
In der gesetzlichen Rentenversicherung zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. WTW stellt fest, dass die Parteien in ihren Wahlprogrammen eher „beruhigend-defensiv“ agieren oder sogar massive Leistungsausweitungen in Aussicht stellen, anstatt notwendige Reformen anzugehen.
Maßnahmen wie der Erhalt des Renteneintrittsalters, eine abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren oder das Festhalten an einem Rentenniveau von mindestens 48 Prozent klingen für viele Wähler zwar attraktiv, doch bleiben zentrale Finanzierungsfragen unbeantwortet, so WTW.
„Substanzielle Reformen, die das Rentensystem auf eine generationengerechte und nachhaltige Basis stellen, sind in den Programmen der Parteien nicht erkennbar“
WTW
Die von einigen Parteien vorgeschlagene Erweiterung der Beitragsbemessungsgrundlage – etwa durch die Einbeziehung von Selbstständigen oder eine Bürgerversicherung – könnte zwar kurzfristig für eine finanzielle Entlastung sorgen. Doch langfristig wäre auch dies nur ein Tropfen auf den heißen Stein, schlussfolgert WTW. Substanzielle Reformen, die das Rentensystem auf eine generationengerechte und nachhaltige Basis stellen, seine in den Programmen der Parteien nicht erkennbar.
Die einzige erkennbare Tendenz geht in Richtung einer faktischen Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch Anreizelemente. Während die Union mit einer „Aktivrente“ steuerliche Vorteile für weiterarbeitende Rentner schaffen will, setzen SPD und Grüne auf die Rückerstattung von Sozialversicherungsbeiträgen bei späterem Renteneintritt. Doch auch diese Maßnahmen bleiben Stückwerk und greifen das strukturelle Finanzierungsproblem der gesetzlichen Rentenversicherung nicht konsequent an. Für die dauerhafte Stabilität und generationenübergreifenden Akzeptanz des gesetzlichen Rentensystems seien substantielle Reformen erforderlich, die augenscheinlich nicht angegangen werden, schreibt WTW.
Private Altersvorsorge: Kapitaldeckung als Lösungsansatz
Deutlich weiter fortgeschritten sind die Reformüberlegungen zur staatlich geförderten privaten Altersvorsorge. Bereits in der letzten Legislaturperiode lag mit dem pAV-Reformgesetz ein Entwurf auf dem Tisch, der jedoch nicht mehr umgesetzt wurde. WTW sieht hier einige wegweisende Ansätze, die auch im Sinne der Generationengerechtigkeit von Bedeutung wären.
Nahezu alle Parteien sprechen sich für ein kapitalgedecktes privates Altersvorsorgedepot mit steuerfreier Ertragsthesaurierung aus, bei dem die Besteuerung erst in der Auszahlungsphase erfolgt. Unterschiede zeigen sich jedoch bei der Umsetzung: Während die Union auf ein Obligatorium für Kinder ab sechs Jahren setzt, das als „Frühstart-Rente“ ab dem 18. Lebensjahr fortgeführt werden kann, plädieren andere Parteien für eine freiwillige Lösung, teils mit Opting-out-Modellen.
Ein bemerkenswerter Punkt ist die Diskussion um Garantieanforderungen. Während die Union bewusst auf jegliche Garantien verzichten will, setzen SPD und Grüne stärker auf Fördermodelle für kleine und mittlere Einkommensbezieher. In jedem Fall dürfte der pAV-Reformgesetzentwurf aus der letzten Legislaturperiode eine zentrale Grundlage für künftige gesetzgeberische Aktivitäten bilden.
Reformen unumgänglich – wann handelt die Politik?
Die Herausforderungen in der Rentenpolitik sind enorm, und die Notwendigkeit umfassender Reformen ist unbestritten. Doch in den Wahlprogrammen wird das Thema weitgehend defensiv behandelt. Der einzige wirklich weitreichende Vorschlag ist das Konzept der „Frühstart-Rente“ der Union – alles andere bleibt vage.
Besonders die bAV verdient laut der Analyse mehr Aufmerksamkeit. Während in der gesetzlichen Rentenversicherung kaum strukturelle Reformen zu erwarten sind, bietet die bAV erhebliche Potenziale, um ergänzende Altersversorgung für große Kollektive mit effizienten Skaleneffekten umzusetzen. Dies erfordert jedoch verlässliche Rahmenbedingungen und Reformen, die die Verbreitung und Attraktivität der bAV stärken, so WTW.
Die Unternehmensberatung fordert eine zeitnahe Verabschiedung des BRSG 2-Entwurfes und mahnt wichtige Ergänzungen an. So brauche es neben der Einführung einer betrieblichen Opting-out-Option renditestärkere Modelle in der bAV. In dem Zusammenhang fordert WTW eine Absenkung der Garantievorgaben bei der Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML) auf 60 und 80 Prozent. Notwendig sei zudem eine Gleichbehandlung von bAV und – falls eingeführt – einer garantieredzuierten staatlich geförderten privaten Altersvorsorge.
Zudem sollten die Abfindungsgrenzen für Kleinanwartschaften erhöht und alternative Anpassungsmodelle an die Inflation geschaffen werden. Auch für insolvenzbedingte Weiterführungsoptionen nicht-versicherungsförmiger Pensionsfonds bestehe dringender Regelungsbedarf.
Auch wenn es noch viele weitere Detailpunkte gibt, wären dies zentrale, wesentliche Themen, um die Verbreitung der bAV zu fördern, vorhandene praktische Hürden für die Durchführung der bAV zu beseitigen und damit die Altersversorgung in Deutschland nachhaltig zu stärken, resümiert die Unternehmensberatung.