Altersvorsorge in Deutschland: Keine wirklichen Lösungen in Sicht

Michael Heuser
Foto: DIVA
Prof. Michael Heuser ist wissenschaftlicher Leiter des DIVA

Was denkt die Bevölkerung über die finanzielle Absicherung im Alter? Das Deutsche Institut für Vermögensbildung und Alterssicherung misst mit seinem Altersvorsorge-Index die Stimmungslage hierzulande. Ukraine-Krieg, Inflation und die immer noch wenig konkreten Rentenpläne der Bundesregierung etwa zur Aktienrente verbreiten derzeit jedenfalls keinen Optimismus. Von Prof. Dr. Michael Heuser

Das Deutsche Institut für Vermögensbildung und Alterssicherung (DIVA) misst mit seinem Deutsche Altersvorsorge-Index (DIVAX-AV) das Meinungsklima der Menschen bezüglich ihrer finanziellen Absicherung im Alter. Mit aktuell minus 3,2 erreichte er in diesem Frühjahr einen neuen Tiefstand seit der Erstauflage im Jahr 2020.

Auch die neue Regierung und deren Rentenpläne haben bislang keinen Optimismus gebracht. Die negative Stimmung dürfte sich auch durch die aktuellen massiven Krisen verstärken. Schon die beiden letzten Pandemie-Jahre belasteten das Alterssicherungsklima. Kaum schien diesbezüglich das Schlimmste überstanden, dämpft der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine Hoffnungen auf Normalität. Zudem kehren im Gefolge von Corona und Ukraine Inflation und Inflationssorgen zurück.

Im letzten Herbst noch als kurzfristige Begleiterscheinung der Normalisierung nach Corona eingeschätzt, hat die Teuerung inzwischen die Gesamtwirtschaft erfasst. Hinzu kommen Inflationserwartungen, mit denen die Geldentwertung weiteren Schub erhält. Dass diese sich verfestigen, zeigen aktuelle DIVA-Befragungen: Nur noch eine Minderheit von rund zehn Prozent hält die derzeitigen Preissteigerungsraten für ein vorübergehendes Phänomen. Die Menschen gehen zunehmend von einer anhaltenden Inflation aus.

Das Vertrauen schwindet

In diesem Krisenumfeld schwindet das Vertrauen in die Zukunft der gesetzlichen Rente weiter rapide. Trotz ansehnlicher aktueller Rentensteigerungen und großzügiger Versprechungen der Regierung geht inzwischen eine große Mehrheit von über 60 Prozent der Menschen von einer Verschlechterung des Versorgungsniveaus der gesetzlichen Rentenversicherung über die nächsten beiden Jahrzehnte aus.
Analog zu diesem Vertrauensschwund in das staatliche System möchten die Bürger selbst stärker bei ihrer Altersabsicherung aktiv werden. Fast ein Drittel plant, mehr in die betriebliche Altersvorsorge zu investieren, bei der privaten Vorsorge trifft dies sogar auf 42,8 Prozent zu.

Schon vor den Einschnitten durch Pandemie, Ukrainekrieg und Inflationsschübe war das Umlageverfahren des gesetzlichen Rentensystems in seinem heutigen Niveau gefährdet. Die demografischen Entwicklungen – immer mehr Rentner, immer weniger Beitragszahler – lassen die Schere zwischen benötigten Rentenmitteln und schrumpfenden Beiträgen weiter aufgehen. Seit Jahren subventioniert der Steuerzahler die Rentenkasse, im Jahr 2021 mit Bundeszuschüssen von über 100 Milliarden Euro. Die aktuellen geopolitischen Verwerfungen und damit schwindende Wachstumsperspektiven belasten das Rentensystem zusätzlich.

Umfassende Reformen sind unvermeidlich. Umso erstaunlicher ist, dass sich die Ampelregierung nahezu jeden Reformspielraum genommen hat. Wesentliche Stellschrauben, um der demografischen Herausforderung zu begegnen, erklärt der Koalitionsvertrag für unantastbar: Das Rentenniveau soll nicht abgesenkt werden; das Renteneintrittsalter nicht über 67 Jahre steigen; der Beitragssatz 20 Prozent nicht übertreffen. Rentner und Beitragszahler sollen also nicht belastet werden, die Steuerzahler wohl die Lücken schließen.

Diese Sicht der Politik trifft auf die Zustimmung der Bevölkerung. Auch hier spricht sich eine Mehrheit gegen eine stärkere Beteiligung von Rentnern zur Stabilisierung des gesetzlichen Rentensystems aus. Lediglich 12,3 Prozent befürworten eine Absenkung des relativen Rentenniveaus; noch weniger (10,3 Prozent) würden die Anhebung des Renteneintrittsalters über 67 Jahre hinaus befürworten. Stattdessen sollen es Bundeszuschüsse in die Rentenkasse richten.

„Aktienrente“ hilft nicht aus dem Dilemma

Auch die im Koalitionsvertrag vereinbarte Aktienrente hilft nicht aus dem akuten demografischen Dilemma des gesetzlichen Rentensystems. Die Babyboomer gehen heute in Rente, und die Aktienrente braucht Jahrzehnte, um merkliche Wirkung zu entfalten. Die geplante Anschubfinanzierung von zehn Milliarden Euro aus dem Staatshaushalt mag ein Zeichen guten Willens sein, angesichts der gewaltigen Rentenlücke aber auch nicht mehr. Und was denken die Menschen über eine staatliche Aktienrente?

Unsere Befragung zeigt, dass sich eine relative Mehrheit von 46 Prozent mit einer Finanzierung eines kleineren Teils der gesetzlichen Rente aus Aktienanlagen anfreunden kann. Allerdings ist das Zutrauen in einen Staatsfonds sehr eingeschränkt. Große Mehrheiten der Befragten trauen ihm nicht die notwendige Expertise und Erfahrung zu (60,6 Prozent) und haben Sorge, dass die Mittel des Staatsfonds zweckentfremdet werden (76,8 Prozent).

Das lässt sich als scharfes Misstrauensvotum an die Politik werten. Um in der Bevölkerung das notwendige Vertrauen aufzubauen, dürfte es wichtig sein, bei der Umsetzung der Aktienrente professionelle Kompetenzen und Erfahrungen etwa der Fondsgesellschaften oder der Lebensversicherer zu berücksichtigen. Zudem sollte die Aktienrente von Beginn an dem Zugriff des Staates entzogen sein.

Neben der staatlichen Aktienrente gibt es Regierungspläne, noch einen zweiten Staatsfonds, und zwar in der privaten Altersvorsorge, zu etablieren; in ihn müssten alle Bürger einzahlen, wenn sie nicht den Nachweis einer alternativen Vorsorgemaßnahme erbringen („Opt-Out“). Dieser „One size fits all”-Ansatz steht im Widerspruch zu den Wünschen, die die Bürgerinnen und Bürger in unseren Befragungen äußern.

Für zwei Drittel (66,1 Prozent) ist die selbstgenutzte Immobilie die beliebteste Form der Altersvorsorge, gefolgt von der privaten Rentenversicherung mit Garantie (63,1 Prozent). Auch Aktien und Aktienfonds werden mit nur moderatem Abstand präferiert (54,3 Prozent). Diese breite Streuung der Absicherungswünsche ist ein Indiz, dass die Bürger ihre private Altersvorsorge an ihre individuelle Situation anpassen wollen.

Für eine Reform des Riester-Sparens

Wer etwa eine solide gesetzliche Rente zu erwarten hat, wird sich bei der ergänzenden privaten Altersvorsorge auch für Aktien oder Immobilien interessieren. Wer hingegen nur eine bescheidene gesetzliche Rente in Aussicht hat, muss zunächst sein Alterseinkommen absichern. Dafür eignet sich eine Privatrente mit Garantie am besten.

Diese Ergebnisse rücken das Riester-Sparen und seine Reform wieder ins Licht. Denn die Bürger können hier entsprechend ihren Präferenzen frei wählen: klassische Riester-Rentenversicherung, Riester-Fondssparplan oder Wohn-Riester decken ein breites Spektrum ab. Die Optionen spiegeln die Vielfalt der Wünsche in der Bevölkerung wider. Zudem profitieren Bürger mit niedrigen Einkommen und Kindern besonders – ein sozialpolitisch wünschenswerter Effekt des Riester-Sparens.

Seit Jahren plädieren Stimmen in der Finanzwirtschaft dafür, die Riester-Rente zu reformieren, indem die Bruttobeitragsgarantie abgeschwächt oder abgeschafft und das Zulagenverfahren sowie die Förderbedingungen vereinfacht werden. Die Meinungen und Vorstellungen der Bürger sollten der Politik einen erneuten Anstoß geben, diese Sparform in ihre Reformüberlegungen der Alterssicherung in Deutschland einzubeziehen.

Der Autor Prof. Michael Heuser ist wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Instituts für Vermögensbildung und Alterssicherung, Marburg

Weitere Artikel
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
5 Comments
Inline Feedbacks
View all comments