Nachhaltigkeit ist ein gutes Stichwort. Die EU-Kommission will das Thema ESG flächendeckend sowohl in Produkten als auch in der Beratung verankern. Was planen Sie, um die Vorgaben aus Brüssel umzusetzen und erwarten Sie einen zusätzlichen Schub für das Segment Altersvorsorge?
Henzler: Die Deutschen sind traditionell sehr sicherheitsorientiert bei Kapitalanlagen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass nur rund zehn Prozent der Deutschen Aktionäre sind.
Es ist sehr schwer, das hat die Vergangenheit gezeigt, den Menschen verständlich zu machen, wie Börsen funktionieren und wie wichtig es langfristig ist, in Weltportfolios investiert zu sein. Mittlerweile geht das sehr gut mit dem Schwerpunkt auf nachhaltigem Investment, das dem Kunden zeigt, dass Geld Gutes bewirken kann und gleichzeitig eine angemessene Vorsorge für das Alter schafft.
Das Interesse wird geweckt, gleichzeitig werden Vorurteile und Ängste gegenüber der Börse abgebaut. Ich sehe viele Vermittler, die die letzten Jahre ihre Geschäftsprozesse, auch ihre Geschäftsfelder verändert haben und mehr in Richtung nachhaltiger Vorsorge beraten und damit enorme Erfolge haben.
Nicht zuletzt ging der Jungmakler Award der letztjährigen DKM an einen Makler, der sein Geschäftsmodell komplett auf dieses Trendthema ausgerichtet hatte.
Darin steckt ein enormes Umsatzpotenzial für die kommenden Jahre. Wir bieten schon jetzt eine große Auswahl an nachhaltigen Fonds und Portfolios und werden diese weiter ausbauen.
Gaßner: Abgesehen von der Wertediskussion, die sich hinter dem Thema Nachhaltigkeit verbirgt, sehe ich in diesem Thema auch eine vertriebliche Chance. Mit dem Thema Nachhaltigkeit erreicht man das Wertesystem einer wachsenden Kundengruppe, deren Anteil in der Bevölkerung wächst. Beispielsweise zeigt ja gerade die „Fridays for Future“-Bewegung dass gerade die junge Generation diesen Werten sehr aufgeschlossen gegenübersteht.
Mit dem Angebot nachhaltiger Investitionsmöglichkeiten ist die Ansprache neuer Kundengruppen möglich. Das ist auch der Grund, warum wir bei unserem aktuellen Produkt-Relaunch unseres Fondsprodukts mit Garantie – WWK Intelli Protect 2.0 – gleich mehrere nachhaltige Fonds und Indexfonds aufgenommen haben.
Ein Fonds-Basket „Nachhaltigkeit“ macht es Vermittlern und Kunden einfach, nachhaltig Vorsorge zu betreiben. Inwieweit sich ein Fokus auf nachhaltige Fonds auch renditeseitig positiv auswirkt, ist meines Wissens noch nicht zweifelsfrei geklärt. Existierende Analysen kommen hier zu keinem eindeutigen Ergebnis. Ein ganz zentraler Punkt ist in diesem Zusammenhang sicherlich die EU-Verordnung 2019/2088, die im kommenden Jahr in Kraft treten wird.
Die Politik hat offenbar verstanden, welch zentrale Bedeutung für eine Entwicklung der Unternehmen hin zu nachhaltigem Wirtschaften eine Steuerung der Kapitalströme in diese Richtung hat. Das Interesse von Unternehmen, zu definierenden Nachhaltigkeitskriterien zu genügen, wird dadurch steigen. Dass dieser Aspekt zukünftig in jedem Beratungsgespräch in unserer Branche eine Rolle spielen wird, trägt sicher bei zu dieser politisch gewünschten Entwicklung.
Wichtig ist, dass jeder Kunde auch zukünftig frei die Entscheidung treffen kann, ob er seine Altersvorsorge nachhaltig betreiben möchte oder nicht. Teilweise wird das Thema Nachhaltigkeit in der Finanzbranche ja in der Presse als „Green-Washing“ abgetan.
Aus meiner Sicht ist aber gar nichts Verwerfliches dabei, das Thema Nachhaltigkeit durch die vertriebliche Brille zu betrachten. Ein erfolgreicher Vertrieb nachhaltiger Finanzprodukte trägt ja letztendlich gerade dazu bei, dass die beschriebenen politischen Ziele erreicht werden.
Kaplan: Ich muss auch an dieser Stelle nochmal auf die Geschichte der Ökoworld zurückblicken. Wir sind mit dem Projekt Ökovision Classic bereits im Jahr 1989 angetreten, den ersten wirklich ökologisch und ethischen Fonds aufzulegen. Unsere Missionsschwerpunkte, u.a. die Ökologisierung der Wirtschaft haben sich seither nicht verändert.
Unternehmen, die hierfür keinen Beitrag leisten können oder wollen, haben in unseren Portfolios nichts verloren. Sie können meinen Standpunkt daher bestimmt nachvollziehen, wenn ich den Aktionsplan der EU-Kommission als zahnlosen Papiertiger bezeichne. Ganz im Gegenteil: Die EU lädt viele börsennotierte Unternehmen und Asset Manager ein, ihre Geschäftsmodelle „grün zu waschen“.
Natürlich ist es hilfreich, Fakten transparenter zu machen, aber wenn ein Geschäftsmodell nicht nachhaltig ist, wird dieser Umstand auch durch einen Nachhaltigkeitsbericht nicht geheilt. Die Bedrohungslage durch den globalen Klimawandel, Umweltverschmutzung im Allgemeinen, das Aufflammen von übertragbaren Infektionskrankheiten in Großzuchtbetrieben sowie die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Hautfarbe sind reale Herausforderungen, denen man sich im Wirtschaftsleben entschieden stellen muss.
Unsere Berichterstattung sowohl zum Thema ESG-Produkte als auch ESG-Beratung wird sich vor dem Hintergrund unserer Missionsschwerpunkte nicht verändern. Die Vorgaben aus Brüssel liegen sehr weit unter unseren Mindeststandards, wie wir sie bereits seit Jahrzehnten in unserem Haus leben und weiterentwickeln.
Schrobback: Es gibt hierfür leider keine einheitliche Definition, was unter anderem daran liegt, dass sich die Kriterien in Bezug auf „Environmental“, „Social“ und „Governance“ von Produkt zu Produkt und von Anbieter zu Anbieter unterscheiden können. Seriöse Anbieter nachhaltiger Anlagen stellen deshalb lückenlose und aktuelle Informationen zur Verfügung.
Für uns als Projektentwickler für Denkmalobjekte sowie als Wohnungsprivatisierer von Bestandsportfolios ist daher vordergründig ein effizienter Umgang mit Energien und Rohstoffen wichtig, Investition in erneuerbare Energien und natürlich umfassende Klimawandel-Strategien. Beim Thema „Social“ achten wir auf die Einhaltung der Arbeitsrechte, hohe Standards bei Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, angemessene Entlohnung sowie Aus- und Weiterbildungschancen.
Wir verzeichnen in den letzten Jahren, besonders bei jüngeren Kunden, verstärkt eine Nachfrage nach ESG-konformen Produkten beziehungsweise ESG-konformer Umsetzung unserer Projekte.
Hier steht die Forderung unserer Kunden nach geringer Emission in Luft und Wasser sowie umweltverträglicher Produktion eindeutig über purer Renditeerwartung. Allein durch die zukünftige Umsetzung der Vorgaben aus Brüssel werden wir auch und besonders bei den jüngeren Generationen einen Schub im Altersvorsorgesegment verzeichnen.
Engel: Natürlich ist das Thema ESG in der Vermittlerwelt und auch beim Kunden gegenwärtiger denn je. Uns muss bewusst sein, dass Immobilien direkte und indirekte Auswirkungen auf die Umwelt haben. Knapp 40 Prozent der weltweiten CO2-Emmisionen sind auf die Real-Estate-Branche zurückzuführen. Seit 2009 ist beispielsweise ein
Energieausweis für alle Wohngebäude in Deutschland verpflichtend.
Dies war ein erster Schritt, um das Thema Nachhaltigkeit und Energieeffizienz transparent darzustellen. Schließlich lässt sich konstatieren, dass der Ansatz der ESG-Thematik die Immobilie nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch moderner und effizienter gestaltet. Das hat zur Folge, dass die bisherige Herangehensweise überdacht werden muss und wir uns zukunftsorientierter ausrichten müssen, wie zum Beispiel beim Thema Bausubstanz.
Muss es stets der Stahlbeton sein oder macht es künftig vielleicht mehr Sinn, auf umweltfreundlichere Materialien zu setzen? Sogenannte Green Buildings, die eine nachhaltige Wertschöpfungskette verfolgen, stehen vermehrt im Fokus und finden auch beim Kunden immer mehr Anklang.
Arndt: Insbesondere wenn alle Fonds eine grüne Variante bekommen und spätestens wenn man damit den Kapitalzufluss reguliert, und auch solche Themen wie IDD 21 vor uns liegen, dann wird das zu einer erhöhten Nachfrage dieser Fonds oder grünen Aktien führen, was sich sicherlich auch in der Wertentwicklung niederschlagen wird.
Wie nachhaltig das dann 30 Jahre lang sein wird, das muss sich schlussendlich noch zeigen. Ein großer Vorteil ist in jedem Fall, dass junge Menschen, die sich für herkömmliche Altersvorsorgethemen kaum erwärmen können, über die Nachhaltigkeit einen Zugang zu diesem Segment erhalten. Es entwickelt sich eine ganz andere Emotionalität und plötzlich ist es gar nicht mehr so „uncool“, etwas fürs Alter zurückzulegen und zu sparen.
Entsprechend werden auch wir das Thema weiter verfolgen und fassen den Begriff Nachhaltigkeit noch weiter. „Nachhaltigkeit“ bedeutet für uns auch, dass wir einem Produkt gute Chancen auf Ertrag und eine gute Ablaufleistung geben. Bei myLife erreichen wir das, indem wir die Vergütung für den Berater außerhalb des Produktes gestalten lassen und unsere Produkte sehr niedrige Kosten aufweisen.
Damit sorgen wir für mehr Geld im Sparvorgang und ein Zinseszinseffekt kann sich viel besser entfalten. Und auch wenn das jetzt nicht die ESG-Kriterien im eigentlichen Sinne trifft, ist es das, was man als Versicherer positiv beitragen kann. Nachhaltigkeit ist einer der Trends von morgen, dem sich alle Anbieter stellen müssen.
Das Gespräch führte Frank O. Milewski, Cash.