Bis zu den anstehenden Neuwahlen des Bundestags wird das Amt von Jörg Kukies (SPD) übernommen, dessen Handlungsspielräume jedoch äußerst begrenzt sein dürften. Im Folgenden wird ein Blick geworfen auf die bisherigen Ergebnisse Lindners, die Auswirkungen des Endes der Ampelkoalition auf die laufende Steuergesetzgebung und die Erwartungen der Wirtschaft.
Welche Bilanz ist aus Lindners Amtszeit zu ziehen?
Lindner brachte seit Dezember 2021 wichtige wirtschaftspolitische Impulse ein, die auf langfristige Stabilität und Zukunftsfähigkeit abzielten. Insbesondere mit dem Wachstumschancengesetz setzte er sich für die Schaffung steuerlicher Investitionsanreize ein. Auch die Digitalisierung und Internationalisierung im Steuerverfahren wurden vorangetrieben. Wegen der schwierigen Haushaltslage in Bund und Ländern und zahlreicher politischer Konflikte konnten eine Reihe von positiv zu bewertenden Vorhaben jedoch nur sehr begrenzt umgesetzt werden.
In seiner Amtszeit gelang es Christian Lindner einerseits, die Herausforderungen einer neuen Sicherheitslage in Europa durch den Ukraine-Krieg durch die Gestaltung eines Sondervermögens für die Bundeswehr und die Ermöglichung der Militär- und sonstigen Hilfen für die Ukraine finanziell zu flankieren. Andererseits hatte er aber auch das Desaster einer Umwidmung von Mitteln aus dem Corona-Hilfe-Fonds in den Klima-Transformationsfonds und deren Verwerfung durch das Bundesverfassungsgericht zu vertreten.
Bereits nach den Vorgaben des Koalitionsvertrag war eine dringend notwendige Reform der Unternehmensbesteuerung auch in dieser Legislaturperiode nicht möglich. Mit der Einsetzung unabhängiger Expertenkommissionen wurden immerhin pragmatische Möglichkeiten zu einer umfassenden Verbesserung des Steuerrechts aufgezeigt. Vor allem die Ergebnisse der Expertenkommission „Vereinfachte Unternehmenssteuer“ sollten auch für eine kommende neue Regierung wegweisend sein.
Welche Auswirkungen hat das Ampel-Aus auf die laufende Steuergesetzgebung?
Das Ende der Ampelkoalition hat weitreichende Auswirkungen auf laufende Steuergesetzgebungsverfahren, da es bei einer Neuwahl des Bundestags zu einer sogenannten Diskontinuität kommt. Demnach müssen alle noch nicht verabschiedeten Gesetze erneut in das Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden, sofern die kommende Regierung diese überhaupt wieder aufgreifen möchte.
Der Fortgang dieser Verfahren hängt letztlich vom Zeitpunkt der Neuwahlen ab und davon, ob im derzeitigen Bundestag trotz des Endes der Ampelkoalition noch Mehrheiten gefunden werden können. Weniger problematisch ist die Diskontinuität für Gesetze, die bereits im Bundestag beschlossen wurden und nur noch der Zustimmung des Bundesrates bedürfen.
Welche Entlastungsmaßnahmen sind nun in der Schwebe?
Im Entwurf eines Steuerfortentwicklungsgesetzes sind wichtige Entlastungsmaßnahmen für Unternehmen vorgesehen, darunter die Verlängerung der degressiven Abschreibung für bewegliche Wirtschaftsgüter, die Einführung einer degressiven Abschreibung für Elektrofahrzeuge und die Erhöhung der maximalen Bemessungsgrundlage für die Forschungszulage. Das Gesetz befindet sich derzeit in den Beratungen des Finanzausschusses des Bundestages, ist aber zwischen den Fraktionen der ehemaligen Ampel-Koalitionspartner immer noch umstritten. Das Gesetz ist nun in der Schwebe. Es ist zu erwarten, dass das Steuerfortentwicklungsgesetz, wenn überhaupt, nur in einer sehr abgespeckten Version verabschiedet wird, in der nur noch die auch mit FDP und CDU/CSU mehrheitsfähigen Inhalte enthalten sind. Sehr wahrscheinlich erhalten bleiben dürfte dann die Anpassung des einkommensteuerlichen Grundfreibetrags und der Kinderfreibeträge, da diese verfassungsrechtlich zwingend erforderlich ist.
Bei den geplanten Anpassungen des Einkommensteuertarifs zur Milderung der kalten Progression, die der Bundeskanzler mit Hilfe der Opposition noch vor einer Vertrauensfrage umsetzen will, sind die Aussichten jedoch weniger klar, da diese die Länderhaushalte stark belasten und eine Zustimmung im Bundesrat daher nicht sicher ist. Ob die steuerlichen Maßnahmen zur Förderung der E-Mobilität noch mit der Opposition konsensfähig sind oder bereits dem beginnenden Wahlkampf zum Opfer fallen, muss abgewartet werden. Die Unsicherheit über das Gesetz hat immerhin den positiven Nebeneffekt, dass auch die dort enthaltene Einführung einer nationalen Meldepflicht für Steuergestaltungen unwahrscheinlich geworden ist.
Etwas klarer ist die Lage hingegen beim Jahressteuergesetz 2024, das bereits im Bundestag verabschiedet wurde und nun noch den Bundesrat passieren muss (voraussichtlich am 22. November auf der Tagesordnung). Die Prognose für eine Zustimmung ist im Vergleich zum Steuerfortentwicklungsgesetz eher gut, sie kann auch ungeachtet anstehender Neuwahlen erfolgen. Die in diesem Gesetz enthaltenen Entlastungsmaßnahmen betreffen unter anderem Photovoltaikanlagen, die Möglichkeit unentgeltlicher Übertragungen zwischen Mitunternehmerschaften sowie die Aufhebung der besonderen Verlustverrechnungsbeschränkungen bei Termingeschäften und Forderungsverlusten.
Weitere positive Aspekte sind die vorgesehenen Änderungen in der Grunderwerbsteuer, die die Problematik der mehrfachen Grundstückszurechnung entschärfen und Rechtssicherheit bezüglich der Fortgeltung von Steuerbefreiungen und Nachbehaltensfristen bei Personengesellschaften schaffen. Auch bei der Grundsteuer sind Verbesserungen vorgesehen, indem ein deutlich unter dem festgestellten Wert liegender Grundstückswert nachgewiesen werden kann. Nennenswert sind auch eine Neuregelung bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer zum Verschonungsabschlag bei Insolvenzeröffnung einer Kapitalgesellschaft.
Vergleichbar mit dem Jahressteuergesetz 2024 ist die Situation bezüglich des Gesetzes zur steuerlichen Freistellung des Existenzminimums 2024. Der Bundestag hat dieses bereits beschlossen und eine Zustimmung durch den Bundesrat, derzeit geplant für den 22. November 2024, ist sehr wahrscheinlich.
Weitere Steuergesetzgebungsverfahren, die nennenswerte Entlastungsmaßnahmen vorsehen und deren Umsetzung nun durch die anstehenden Neuwahlen blockiert wird, sind das zweite Zukunftsfinanzierungsgesetz mit einer Verbesserung der Rücklagenbildung nach Paragraf 6b Einkommensteuergesetz (EStG) sowie im Investmentsteuerrecht, das Gesetz zur Modernisierung und zum Bürokratieabbau im Strom- und Energiesteuerrecht, das Mindeststeueranpassungsgesetz mit einer Reihe von Erleichterungen bei der globalen MIndestbesteuerung und das Gesetz zur steuerlichen Behandlung von lediglich mit E-Fuels betreibbaren Kraftfahrzeugen. Bei noch gar nicht in einen Gesetzentwurf eingeflossene Maßnahmen aus der Wachstumsinitiatve der scheidenden Bundesregierung wie weitere steuerliche Förderungen für E-Mobilität und Dekarbonisierung der Wirtschaft steht zu befürchten, dass diese durch das Ende der Ampel-Koalition jedenfalls in dieser Legislatur keine Umsetzung mehr erfahren werden.
Welche Erwartungen bestehen in der Wirtschaft?
Die Wirtschaft steht derzeit vor erheblichen Herausforderungen: der Ukraine-Krieg, mögliche Wirtschaftskonflikte mit den USA und China, hohe Energie- und Arbeitskosten, eine überbordende Bürokratie sowie eine hohe Steuerlast belasten die Unternehmen und bedrohen die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Die aktuelle innenpolitische Lage bringt zusätzliche Unsicherheiten über den künftigen wirtschaftspolitischen Kurs mit sich. Das kann die Investitionstätigkeit in Deutschland weiter hemmen und den Trend zur Verlagerung unternehmerischer Aktivitäten ins Ausland beschleunigen. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Politik schnell stabile Rahmenbedingungen schafft durch eine verlässliche Steuerpolitik, die auf Bürokratieabbau und Steuerentlastungen abzielt. Aus Sicht der Wirtschaft sind möglichst baldige Neuwahlen und die schnelle Bildung einer neuen, handlungsfähigen und stabilen Regierung wünschenswert. Die Priorität muss auf der Verabschiedung eines seriös durchfinanzierten Haushaltes liegen, auf dessen Basis die notwendige Maßnahmen zügig umsetzt werden können.
Diplom-Kaufmann und Steuerberater Hans Weggenmann ist geschäftsführender Partner bei Rödl & Partner.