Ein Grund für die neue Nervosität ist die Einseitigkeit, die sich im ersten Halbjahr an den Börsen verfestigt hatte. Insbesondere betraf dies die Bewertung und demzufolge hohe Gewichtung einiger weniger Unternehmen im S&P 500, aber auch die Erwartung, dass Donald Trumps Wiederwahl quasi gesichert sei. Gleichzeitig gingen die Märkte lange von einer sanften Landung der amerikanischen Wirtschaft aus. Das Ergebnis: Sehr viele Portfolios hatten in dieselbe Richtung Schlagseite.
Bewertungsangleichung ist gesund
Dass dieser Zustand nicht ewig andauern kann, lag in der Luft und offenbar sind die Märkte nicht mehr bereit, die Bewertungslücke zwischen Big Tech und den restlichen 490 Unternehmen im S&P 500 noch größer werden zu lassen. Inzwischen hat deshalb ein Trend weg von den bekannten, großen Namen eingesetzt, und diese Rotation ist noch nicht abgeschlossen – dafür ist die Hausse zu lange gelaufen. Anleger sollten sich also darauf einstellen, dass es vielleicht noch vor den nächsten Notenbanksitzungen Mitte September zu einem weiteren Rutsch kommen kann, sogar unter die jüngsten Tiefstkurse. Da die Bewertungslücke weiter schrumpft, halten wir den gleichgewichteten S&P 500 derzeit für attraktiver als den normalgewichteten Index. Das hat nicht zuletzt mit dem Fortschritt der Künstlichen Intelligenz (KI) zu tun, denn noch ist völlig offen, welche Unternehmen ihre Produkte und Preise langfristig am Markt durchsetzen werden. Ähnlich der großen Umbrüche durch den Mobilfunk oder den E-Commerce Anfang der 2000er könnten es ganz andere Namen als die derzeit hoch gehandelten sein.
Dass die Bewertungen der S&P 500-Unternehmen allmählich wieder ausgewogener werden, halten wir für eine durchaus gesunde Entwicklung. So erhält nun auch die zweite Reihe der US-Aktien, die offensichtlich unterbewertet sind, mehr Aufmerksamkeit. Das neu erwachte Interesse an amerikanischen Nebenwerten lässt sich nicht zuletzt an der jüngsten Entwicklung des Russell 2000 ablesen. Genau diese kleineren und mittelgroßen Firmen sind es auch, die typischerweise stärker von einer Zinssenkung profitieren als die großen Player. Wenn Finanzierungsbedingungen günstiger werden und Kosten sinken, können die Unternehmensgewinne in der Breite aufholen. Eine Senkung der Zinsen dürfte deshalb den meisten US-Firmen einen soliden Schub verleihen.
Zinssenkungen sollen Konjunktur stützen
Dass ein Zinsschritt auf der September-Agenda der Fed steht, ist inzwischen Konsens und wird durch die schwächer werdenden Arbeitsmarktdaten unterstützt. Auch anhand des enttäuschenden Umsatzwachstums einer ganzen Reihe von Unternehmen in der letzten Berichtssaison zeigt sich die nachlassende Dynamik der US-Konjunktur. Bisher gibt es allerdings keine Anzeichen für eine Rezession. Insgesamt erwarten unsere Analysten dieses Jahr eine Wachstumsrate von 2,3 % in den USA und 1,7 % im nächsten Jahr.
Damit liegt Amerika trotz Abkühlung immer noch deutlich vor Europa, wo die wirtschaftliche Dynamik sehr niedrig bleibt. Unsere Wachstumsprognose für Europa liegt bei lediglich 0,8 %. Immerhin: Das ist zwar nicht weit von einer Rezession entfernt, die Gefahr einer Abwärtsdynamik ist jedoch gering. Speziell in Deutschland sind die Sparquoten, ganz im Gegensatz zu den USA, nach wie vor sehr hoch, so dass die Verbraucher die europäische Konjunktur eine ganze Weile stabilisieren können. In den USA ist der Konsum hingegen sehr angespannt, wenn nicht sogar ausgereizt. Die weitere Zinssenkung der EZB, die wir im September erwarten, sollte dem europäischen Markt deshalb etwas Dynamik verleihen.
Vorsicht bei hoch bewerteten Märkten
Nicht nur US-Aktien, sondern auch andere Märkte haben sich in den letzten Monaten bedenklich nach oben geschraubt; hier sollten Anleger daher umsichtig agieren. Beispiel Japan: Die Lockerung der jahrelangen Nullzinspolitik hat zwar der Börse gutgetan, nicht aber dem Yen – auch das war ein Auslöser für den „Sommercrash“ am 5. August. Die hohe Bewertung japanischer Aktien halten wir nicht für nachhaltig. Ein Land, das wenig Wirtschaftswachstum, aber hohe Inflationsraten aufweist, wird über kurz oder lang weitere Zinserhöhungen umsetzen müssen. Aktuell sehen wir daher in Japan keine echten Einstiegschancen.
Auch indische Aktien sind derzeit relativ hoch bewertet, so dass wir zur Vorsicht raten. Mit seinem enormen Bevölkerungsreichtum ist Indien zwar zu einer politischen Macht und einem wichtigen Wirtschaftsfaktor aufgestiegen. Hinsichtlich seiner Infrastruktur hängt das Land jedoch auf allen Ebenen China um Jahrzehnte hinterher. Aus dem Bereich der Emerging Markets lohnen aus unserer Sicht eher Lateinamerika oder Osteuropa einen zweiten Blick.
Last but not least: Angesichts der derzeitigen Konjunkturschwäche sehen wir auch Hochzinsanleihen – ein beliebtes Thema aus dem ersten Halbjahr – etwas kritischer. Zur Diversifizierung der Portfolien in unruhigen Märkten eignen sich Staats- und Unternehmensanleihen hoher Bonität besser. Und auch Rohstoffe wie Gold oder Öl können in Anbetracht der vielen geopolitischen Krisen unserer Tage eine sinnvolle Rolle spielen.
Hinweis zur Quellenangabe: die im Text verwendeten Daten und Zahlenangeben stammen aus dem Amundi Outlook 2. Halbjahr