Anlagen in Schwellenländern: Chancen und Risiken

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Dr. Christian Wildmann, Union Investment

Der Krieg in der Ukraine, steigende Preise, Zinswende: Das aktuelle Umfeld hat Aktien und Anleihen aus Schwellenländern zuletzt belastet, und es bleibt herausfordernd. Trotzdem lohnt ein genauer Blick in die einzelnen Märkte – es bieten sich durchaus weiterhin Chancen für Anleger.

Aktien und Anleihen aus Schwellenländern scheinen in solch unwägbaren Zeiten wie diesen, in denen Krieg in der Ukraine herrscht, die Inflation steigt und die Notenbanken die Geldpolitik straffen, eine riskante Anlage. Entsprechend gaben die Kurse nach, vor allem in den osteuropäischen Märkten. Die geopolitische Unsicherheit traf dabei besonders Aktien und Anleihen von Unternehmen aus Russland und der Ukraine. Durch westliche Sanktionen gegen Russland und russische Gegenmaßnahmen kam es zudem zu Verwerfungen im Handel mit russischen Wertpapieren.

Aktuell ist die Situation an den globalen Kapitalmärkten sehr dynamisch und gleichzeitig von großer Unsicherheit geprägt. Darum sind verlässliche Aussagen schwierig zu treffen. Aber so düster, wie es den Anschein haben mag, ist die Lage in vielen Schwellenländern nicht. Innerhalb der Anlageregionen und -klassen gibt es deutliche Unterschiede in der Entwicklung der einzelnen Märkte. Das spiegelt sich auch in der Kursentwicklung wider. Seit Jahresanfang hat beispielsweise der Schwellenländer-Aktienindex MSCI EM umgerechnet in Euro eine bessere Kursentwicklung hingelegt als der Euro STOXX 50-Index, bis Mitte März auch besser als der US-Leitindex S&P 500. Das zeigt eine Trendumkehr – noch im Jahr 2021 haben Schwellenländer-Aktien gegenüber den Aktienmärkten der Industrieländer sich vergleichsweise unterdurchschnittlich entwickelt.

Denn Schwellenland ist nicht gleich Schwellenland. Deshalb ist eine genaue Analyse des (geld-)politischen und wirtschaftlichen Umfelds bei Schwellenländern unabdingbar. Eine aktive und selektive Auswahl der Anlagen ist hier angezeigt. Die Experten von Union Investment erwarten beispielsweise keine lang anhaltenden Ansteckungseffekte aus dem Krieg in der Ukraine auf andere Schwellenländer-Anlagen, weder realwirtschaftlich, noch in Hinsicht auf die durchschnittliche Bonität im Anlageuniversum außerhalb der direkten Kriegsparteien.

Höhere Rohstoffkosten nutzen einigen Schwellenländern

Grundsätzlich sind Schwellenländer – und dabei vor allem die Mischung aus Aktien- und Anleihen – eine interessante Anlageklasse, da sie ganz unterschiedliche Konjunkturphasen und geldpolitische Zyklen abdecken können. Damit können sie sich auch zur besseren Streuung einer Anlage und als Beimischung für risikofähige Anleger mit einem längeren Anlagehorizont eignen. Als Schwellenländer gelten jene Staaten, die sich in einem umfassenden Wandlungsprozess in Richtung eines Industriestaats befinden. Ein Merkmal der sogenannten Emerging Markets (EM) ist, dass sie per Saldo einen erheblichen Rückstand im Pro-Kopf-Einkommen auf die industrialisierte Welt haben. Dies bedeutet Aufholpotenzial beziehungsweise Wachstumschancen – und damit auch die Chance, von einem höheren Wachstumspotenzial als beispielsweise in Europa zu profitieren.

Hinzu kommt, dass der vor allem durch die wirtschaftliche Normalisierung nach dem Wegfall von Corona-Maßnahmen sowie durch die Sanktionen gegen Russland ausgelöste Höhenflug der Rohstoffpreise einigen Schwellenländern in die Karten spielt. Davon profitieren etwa Rohstoffexporteure in Lateinamerika und im Nahen Osten, andererseits werden aber auch Länder belastet, die stark auf Einfuhren von Rohstoffen wie Rohöl, Gas und Kohle, aber auch Agrarrohstoffe angewiesen sind, wie die Türkei.

Abgesehen von den genannten geopolitischen Risiken hat die Geldpolitik der führenden Notenbanken bereits einen Einfluss auf die Wertentwicklung von EM-Rentenanlagen genommen. Treiber ist die geldpolitische Wende der US-Notenbank Federal Reserve, die angesichts der stark gestiegenen Inflation und der zugleich bisher robusten Konjunkturentwicklung dieses Jahr die Zinsen erhöhen wird. Die Schwellenländer-Märkte haben die Zinswende der US-Notenbank vor allem auf der Rentenseite aber bereits weitgehend vorweggenommen.

Welche Regionen interessant sind – und welche weniger

Zudem sind die Schwellenländer selbst teils schon recht weit fortgeschritten, was Zinserhöhungen angeht: So haben im vergangenen Jahr bereits 18 größere Schwellenländer mit Blick auf die anziehende Inflation die Zinsen angehoben. Dies unterstützt die Lokalwährungen und bietet aktuell wieder attraktivere Renditeniveaus von Rentenanlagen. Auf einem anderen Blatt stehen innenpolitische Risiken – und Chancen. Bremsend für die Schwellenländer hatte sich vor allem die Entwicklung in China erwiesen. Das Land litt unter einer Regulierungskampagne der Regierung und einer bewusst herbeigeführten Abkühlung der Immobilienbranche – beides befeuerte die Wachstumssorgen im vergangenen Jahr. Am aktuellen Rand verzögert sich eine Stabilisierung im chinesischen Wachstum durch die anhaltende Zero-Covid Politik der Regierung. Andererseits hat sich in Südamerika die politische Lage etwa in Chile oder Brasilien zuletzt etwas entspannt, was die dortigen Kapitalmärkte unterstützte.

Mittelfristig sollten die Aktien von Schwellenländern von einer guten Gewinnentwicklung und einer weiterhin anhaltenden Erholung der Weltwirtschaft nach der Corona-Pandemie gestützt werden. Lichtblicke ergeben sich auch daraus, dass viele EM-Länder im Umgang mit wirtschaftlichen Risiken besser gewappnet sind als in der Vergangenheit. So steigen beispielsweise die Impfquoten und die Immunität im Rahmen der Corona-Pandemie auch bei den EM-Ländern, was die wirtschaftliche Erholung unterstützt. Der Omikron-Ausbruch in Südafrika ist ein gutes Beispiel, denn dort dauerte diese Welle aufgrund der hohen Immunisierung deutlich kürzer an als beispielsweise bei uns in Europa. Auch weisen viele Schwellenländer-Aktienmärkte verglichen mit ihren Pendants in den Industrieländern günstigere Bewertungen auf. Chancen zeigen sich aktuell in ausgewählten Märkten in Asien, wo auch der Teuerungsdruck geringer ist. Damit fällt auch die geldpolitische Straffung weniger stark aus als in anderen Regionen der Schwellenländer. Darüber hinaus zieht Asien durch den anhaltenden globalen Digitalisierungstrend viele Investitionen an und dies treibt die Exportstärke Asiens weiter an, was sich positiv auf die Märkte auswirken sollte.

Fazit

Aufgrund der bestehenden geopolitischen Unsicherheit und dem damit verbundenen möglichen Inflationsdruck bleiben Risiken für Schwellenländer-Anlagen bestehen. Die globalen Schwellenländer außerhalb der direkten Kriegsparteien dürften sich mit zunehmender Dauer des Konfliktes aber wirtschaftlich weitgehend abkoppeln können. Das Kapitalmarktumfeld bleibt damit angespannt, aber mit zunehmenden Chancen für die weitere Kursentwicklung. Grundsätzlich empfiehlt sich vor jeder Anlageentscheidung in den Schwellenländern eine genaue Prüfung der Risikotragfähigkeit und der notwendige Anlagehorizont.

Autor Dr. Christian Wildmann ist Senior Portfoliomanager und Leiter des Emerging-Market-Teams von Union Investment.

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