Wer schon immer mal alte Zöpfe in der Fondsindustrie abschneiden wollte, kann für dieses Vorhaben wohl keinen besseren Zeitpunkt finden als den augenblicklichen. Ein neues Nachdenken über den Vertrieb von Investmentfonds tut dringend Not – und das aus mehreren Gründen.
Gastbeitrag von Alexander Lehmann, Invesco
Fakt ist, die Fondsbranche ist keine Wachstumsbranche mehr. Fondsgesellschaften müssen heute nicht nur einen deutlich höheren Aufwand betreiben als früher, sie sind zudem einem Verdrängungswettbewerb ausgesetzt, bei dem einige dramatisch verlieren werden.
Für Ernüchterung dürfte außerdem sorgen, dass sich alternative Geschäftsmodelle wie etwa die Honorarberatung wohl nicht so schnell etablieren werden, um hier einen Schub auszulösen.
Fondsvertrieb hängt an Provisionsmodellen
Ursache hierfür ist zum einen die Mentalität der deutschen Anleger, die nicht bereit sind, für eine Finanzberatung zu zahlen oder finanziell dazu nicht in der Lage sind; zum anderen hängt der geschäftliche Erfolg der Fondsvertriebe in hohem Maß von – vor allem gezillmerten – Provisionsmodellen ab.
Und als ob das nicht schon belastend genug wäre, leidet Deutschland und damit auch der Fondsvertrieb unter einem finanziellen Analphabetismus gemäß der leider weit verbreiteten Haltung, dass man über sein Geld nicht spricht. Über Geld muss man aber sprechen.
Über Geld spricht man (nicht)?
Wer nicht über Geld spricht, läuft Gefahr am Ende keins zu haben. Über Geld sprechen heißt, über Anlagealternativen, Anlageregionen, Anlagestrategien zu sprechen und sich mit dem Faktor Risiko richtig auseinanderzusetzen.
Sich mit anderen zum Thema Geld auszutauschen, fördert die eigenen Fähigkeiten und schafft so die Voraussetzungen für mehr Erfolg – nicht anders als in der Berufsausbildung, im Berufsalltag oder bei Hobbys.
Wenn das Nachdenken über die Fondsindustrie zu konkreten Verbesserungen führen soll, muss das insbesondere auf eine bessere Qualifizierung aller Beteiligten abzielen. Die Kommunikation von Fondsgesellschaften muss deutlich mehr edukative Elemente beinhalten und dem Ziel verpflichtet sein, Aufklärung und Wissensvermittlung auf Seiten der Anleger zu betreiben.
Schulfach „Private Finanzen“
Ganz allgemein muss die finanzielle Ausbildung und Erziehung der Menschen fundiert und umfassend sein – und kann gar nicht früh genug anfangen. Was spricht dagegen, in der Schule ein Fach „Private Finanzen“ zu unterrichten?
Was für die Aus- und Weiterbildung der Anleger gilt, trifft in gleichem Maß für die Vertriebsmitarbeiter von Fondsgesellschaften und die – bankgebundenen oder freien – Berater zu: auch dort ist, nicht immer, aber doch signifikant, ein lückenhaftes Wissen in Finanzfragen zu erkennen.
Nicht selten waren Sales-Mitarbeiter in der Vergangenheit Quereinsteiger und haben sich nach dem Motto „learning by doing“ in ihre Rolle eingearbeitet. Eine systematische Qualifizerung würde zumindest nicht schaden.
Zugangsvoraussetzungen für den freien Vertrieb
Zudem müssen geeignete Zugangsvoraussetzungen insbesondere für den freien Vertrieb von Finanzprodukten geschaffen werden, damit die Berater ihre ureigenste Aufgabe, das Beraten der Anleger, seriös und fachmännisch wahrnehmen können und nicht zu reinen Transaktionsdienstleistern degradiert werden.
„Am Gelde hängt alles, zum Gelde drängt alles“, wusste bereits Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe. Die Finanzbranche, insbesondere der Finanzvertrieb kann einiges dafür tun, dass die Menschen selbstbewusst, aufgeklärt und ohne falsche Scheu und Bescheidenheit mit dem Thema umgehen. Davon profitieren letzten Endes beide – der Anleger und die Fondsbranche.
Autor Alexander Lehmann ist Leiter Wholesale Deutschland und Österreich bei Invesco Asset Management.
Foto: Invesco