Anleihemärkte: In der Zwickmühle zwischen Inflation und Rezession

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Stephan Ertz, Union Investment

Bis vor kurzem dominierte an den Anleihemärkten die Angst vor Inflation – nun beschäftigt die Investoren vor allem die Sorge vor einer Rezession. Doch in diesen herausfordernden Zeiten zeichnen sich erste Signale ab, die für das zweite Halbjahr interessante Anlageperspektiven öffnen könnten. Ein Beitrag von Stephan Ertz, Leiter Unternehmensanleihen bei Union Investment.

Das Wachstum der Weltwirtschaft geht zurück, der Inflationsdruck bleibt (vorerst) bestehen. Die wichtigsten Notenbanken haben klargemacht: Absolute Priorität hat die Bekämpfung der anhaltend hohen Teuerung – auch wenn sich die Notenbanken bewusst sind, dass das Wachstum darunter leiden könnte. Die Zinsen werden also weiter steigen.

Das bekräftigt die Angst am Kapitalmarkt vor einer Rezession. Sie hat die zuvor dominierenden Inflationssorgen abgelöst. Nicht zu Unrecht: Ein stark erhöhter Preisdruck über einen längeren Zeitraum, die immer noch bestehende Angebotsknappheit und die Gefahr einer möglicherweise zu starken Straffung der Geldpolitik erhöhen das Rezessionsrisiko. Eine „weiche Landung“, also die Normalisierung der Geldpolitik ohne eine zu starke Belastung der Konjunktur, erscheint in diesem Spannungsfeld immer schwieriger.

Unterm Strich sorgt dieses unsichere Umfeld seit Jahresbeginn quer über alle Anleiheklassen hinweg für hohe Volatilität und steigende Renditen beziehungsweise fallende Kurse. Für den Rentenmarkt war es einer der schwächsten Jahresauftakte seit mehreren Jahrzehnten. So verzeichneten Euro-Staatsanleihen aus den Kernländern und der Peripherie seit Jahresbeginn Kursverluste von knapp 11 Prozent, US-Staatsanleihen fielen rund neun Prozent. Bei Unternehmensanleihen gaben Investment Grade-Papiere und Hochrisiko-Anleihen (High Yield) um rund 11 beziehungsweise 14 Prozent nach.

Sichere Häfen profitieren von Rezessionsängsten

Das Blatt könnte sich jedoch bald wenden. Weil die Marktteilnehmer mit ihren nun überwiegenden Konjunktursorgen weniger Zinsschritte erwarten, sind die Kursverluste im Verlauf der vergangenen Wochen sukzessive zurückgegangen. Zuletzt profitierten etwa die „sicheren Häfen“ von der Rezessionsangst, so verzeichneten zehnjährige US-Staatspapiere (US-Treasuries) und zehnjährige deutsche Bundesanleihen deutlich fallende Renditen. Auch die Renditen von Unternehmensanleihen gaben zuletzt nach.

Doch noch ist es zu früh, um von einer Trendwende zu sprechen. Denn die Unsicherheit bleibt. Die zentrale Frage, die die Investoren am Rentenmarkt derzeit umtreibt, ist die nach der „Terminal Rate“, also dem Leitzinsniveau, auf dem die Notenbanken die Straffung beenden. Bis Jahresende dürfte die Teuerungsrate in den USA und in der Eurozone erhöht bleiben, die Notenbanken dürften deshalb weiter an der Zinsschraube drehen.

Peripherie beruhigt sich

Beruhigt hat sich auch die Situation in den Peripherieländern der Eurozone. In den vergangenen Monaten sind die Risikoprämien von Staatsanleihen von Ländern an den Rändern Europas teilweise so stark gestiegen wie seit der Finanzkrise 2008 nicht mehr.

Ein Grund dafür war das Auslaufen des EZB-Anleiheaufkaufprogramms per Ende Juni und damit höhere Refinanzierungskosten der Länder angesichts steigender Zinsen. Seit die EZB aber angekündigt hat, als Ergänzung der aktuellen Anleiheankaufprogramme ein Instrument zu schaffen, mit dem die „Fragmentierung“ der Risikoaufschläge im Euroraum bekämpft werden soll, haben sich die jüngst stark angestiegenen Risikoaufschläge bei Peripherieanleihen beruhigt.

Rezessionsangst treibt „Credit Spreads“ nach oben

Dagegen bleibt die Situation in anderen Spread-Segmenten herausfordernd. Unternehmensanleihen etwa stehen gleich aufgrund mehrerer Aspekte unter Druck. Zum einen belasten – zumindest aktuell – die sich abschwächenden konjunkturellen Frühindikatoren in den USA und Europa. Eine angenommene höhere Rezessionswahrscheinlichkeit erhöht das Risiko von Zahlungsausfällen – das schlägt sich auf die Bewertung nieder. Die Risikoaufschläge auf Unternehmensanleihen (Credit Spreads) sind zwischenzeitlich deutlich gestiegen, haben sich mittlerweile aber wieder etwas beruhigt.
In der Eurozone schlägt zudem noch das Auslaufen der EZB-Anleiheankaufprogramme zu Buche. Dadurch sinkt die Nachfrage.

Auf der anderen Seite geht das Angebot an Unternehmensanleihen zurück, da sich viele Unternehmen vor dem Auslaufen der Kaufprogramme mit ausreichender Liquidität eingedeckt haben. Allerdings war das Ankaufvolumen der durch die EZB erworbenen Investment Grade-Papiere kleiner und auch in der relativen Bedeutung für den Markt geringer als etwa das von Staatsanleihen. Deshalb spielt dieser Faktor eine kleinere Rolle.

Banken und Immobilien vielversprechend

Blickt man nach vorn, zeichnen sich angesichts der sich ändernden Zinserwartungen interessante Anlagechancen im Subsektor Unternehmensanleihen ab. Zwar ist das Risiko für einen Rückgang der Wirtschaftsleistung zuletzt gestiegen; dennoch geht Union Investment davon aus, dass den Zentralbanken die schwierige Gratwanderung zwischen Inflationsbekämpfung und zu starker Straffung der Geldpolitik gelingen wird. Der immer noch robuste US-Konsum und eine sich abzeichnende Entspannung in China sowie dort zu erwartende Konjunkturhilfen gelten als stützende Faktoren. Deshalb gehen die Analysten von Union Investment nach wie vor davon aus, dass es zu keiner tiefen Rezession kommen dürfte.

In diesem Szenario erscheint das Bild für Zahlungsausfälle, das der Markt aktuell zeichnet, immer noch zu düster, auch wenn die Risikoaufschläge zuletzt wieder gesunken sind – und das bietet günstige Einstiegschancen. Angesichts des gestiegenen Renditeniveaus und höherer Spreads erscheint beispielsweise bereits jetzt die Bankbranche interessant.

Ein weiterer Sektor, der in diesem Szenario – also keine tiefe Rezession – profitieren könnte, ist die Immobilienbranche. Der Fokus liegt hier eher auf Wohn- und weniger auf Einzelhandelsimmobilien. Der Risikoaufschlag bei Anleihen aus dem Sektor hat sich in jüngster Zeit auf ein extrem hohes Niveau ausgeweitet, es belasteten die Zinssteigerungen und das sehr hohe Neuemissionsvolumen der vergangenen Jahre. Hier braucht es aber eine engmaschige Beobachtung und eine strenge Einzeltitelauswahl, da es gerade bei Hochzinsanleihen (High Yield) mit Problemen behaftete Einzelnamen gibt.

Weniger profitieren dürften hingegen konjunktursensible Sektoren wie der zyklische Konsumgüterbereich (Bekleidung, Unterhaltung, Automobil), sollte es zu einer stärkeren Konjunkturverlangsamung oder Rezession kommen.

Mitten im Umbruch

Zieht man ein Fazit quer über alle Kreditmärkte, lässt sich festhalten: Noch befindet sich der Anleihemarkt in der Zwickmühle zwischen Inflations- und Zinsentwicklung. Vor allem die Angst vor einem Abrutschen in eine tiefe Rezession wird temporär immer wieder für aufkommende Risikoaversion unter den Anlegern sorgen. Davon profitieren eher die sicheren Häfen wie US-Staatsanleihen. Bewahrheitet sich aber die Annahme, dass es zu keiner Rezession kommt, können die stark gestiegenen Risikoprämien bei Unternehmensanleihen interessante Einstiegsgelegenheiten bieten.

Anleger, die im Unternehmensanleihe-Markt investieren möchten, sollten sich vor Augen halten, dass die Liquidität in Krisenphasen womöglich eingeschränkt ist. Daher empfiehlt sich vorab eine Strategie, wie durch solche Marktphasen gesteuert werden kann. Denn mit einer Beruhigung der Lage verbessert sich auch wieder die Liquidität, und es dürften mehr Neuemissionen mit attraktiven Prämien an den Markt kommen. Noch zeichnet sich aber keine nachhaltige Trendwende ab, die Volatilität bleibt hoch.

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