Anleiherenditen und Aktienkurse haben noch viel Luft nach oben

In den vergangenen Wochen sind die Aktienmärkte von einem Rekord zum nächsten marschiert und die Renditen haben deutlich angezogen. Mittlerweile sehen viele Analysten mit Blick voraus kaum noch Potenzial für Kurszuwächse bei Aktien bzw. einen weiteren Renditeanstieg. Der Hannoveraner Vermögensverwalter Bantleon vertritt da eine ganz andere Meinung. Eine Einschätzung der Lage von Dr. Daniel Hartmann, Chefvolkswirt bei Bantleon

Die Finanzmärkte haben 2021 in vielen Bereichen dort angeknüpft, wo sie 2020 aufgehört haben. Allen voran setzten die globalen Aktienmärkte ihren Aufwärtstrend in den ersten vier Monaten unverdrossen fort, während an den Anleihenmärkten die Risikoaufschläge weiter zusammenliefen.

Neu ist indes die steile Aufwärtsbewegung bei den Inflationserwartungen, die wiederum die Renditen von Staatsanleihen angetrieben hat. Ausgehend von 0,91% erreichte die Rendite 10-jähriger US-Treasuries in der Spitze 1,78%. Alles zusammen ergibt den Reflation Trade – die Aussicht auf eine dynamische Konjunkturerholung und steigende Inflation.

Viele Analysten halten den Optimismus jedoch inzwischen für übertrieben. Schließlich befindet sich die Weltwirtschafft immer noch im Würgegriff der Pandemie. Diese Skepsis schimmerte zuletzt auch an den Finanzmärkten durch: Die US-Renditen sind seit ihrem Hoch Ende März um über 10 Basispunkte gefallen und die Aktienmärkte treten auf der Stelle. Steht ein Regimewechsel bevor?

Nein, die jüngste Entwicklung dürfte lediglich eine Verschnaufpause sein. Viel spricht dafür, dass sich die Risk-on-Stimmung im Jahresverlauffortsetzt.Der Erfolg der Impfkampagne und die weltwirtschaftliche Erholung werden in den nächsten Monaten noch viel klarer zum Vorschein treten.

USA übernehmen Rolle als Konjunkturlokomotive

Das liegt insbesondere an den USA, die von China die Rolle als Konjunkturlokomotive der Weltwirtschaft übernehmen. Zählt man alle Fiskalprogramme der USA der vergangenen zwölf Monate zusammen, ergibt sich die schwindelerregende Summe von über 5 Billionen US-Dollar (25% des BIP). Selbst Befürworter einer expansiven Fiskalpolitik sehen darin zu viel des Guten – Schätzungen des IWF zufolge betrug die negative Outputlücke Ende 2020 gerade einmal 3%.

Die Geldpolitik steht dem in nichts nach: Die Fed hat ein so kräftiges Geldmengenwachstum initiiert wie nie zuvor. Die Geldmenge M2 wuchs seit Beginn der Pandemie um 30%. Darin spiegeln sich unter anderem die riesigen Sparüberschüsse der Konsumenten, die derzeit auf Bankkonten liegen und bald ausgegeben werden dürften.

Zu den gewaltigen Impulsen der Geld- und Fiskalpolitik werden in den nächsten Monaten Nachhol- und Zweitrundeneffekte hinzutreten. Alles zusammen wird eine positive Aufwärtsspirale in Gang setzen, bei der sich anziehende Investitionen und die Arbeitsmarktbelebung gegenseitig hochschaukeln.

Die US-Wirtschaft steht ohne Frage am Beginn eines Booms. Einen Vorgeschmack darauf lieferte bereits das 1. Quartal mit einem BIP-Anstieg von 6,4% (annualisiert und im Vergleich zum Vorquartal). Im 2. Vierteljahr dürfte das Wachstum über 10% steigen und im 2. Halbjahr dynamisch bleiben. Im Gesamtjahr ist ein Plus von 7,5% realistisch. Anfang 2022 sollte das BIP bereits 6% höher liegen als vor der Coronavirus-Krise. Die US-Wirtschaft hätte damit sogar den früheren Expansionspfad überflügelt (circa 2% Wachstum p.a.) – und diese Schätzungen sind eher konservativ.

Die markante konjunkturelle Erholung wird sich schließlich auch in der Inflation niederschlagen. Die Zielgröße der Fed, also der Kerndeflator der privaten Konsumausgaben, dürfte rasch auf die 2%-Marke zusteuern und 2022 nachhaltig überwinden.

Fed dürfte spätestens 2022 mit Rückführung der Wertpapierkäufe beginnen

In den nächsten Monaten tritt damit das ein, was die Fed als Bedingung für die Wende in der Geldpolitik formuliert hat: wesentliche Fortschritte bei der Erreichung des Vollbeschäftigungs- und Inflationsziels. Anders als noch im April werden die Währungshüter das Tapering-Thema im Juni nicht mehr umschiffen können. Die Wahrscheinlichkeit wächst, dass spätestens Anfang 2022 mit der Rückführung der Wertpapierkäufe begonnen wird. Bereits die Debatte darüber wird an den Geldterminmärkten Spuren hinterlassen. Schließlich ist mit der Reduzierung der Assetkäufe der Boden für höhere Leitzinsen bereitet.

Die erste Leitzinserhöhung preisen die Finanzmärkte aktuell für Anfang 2023 ein. Daran wird sich nicht viel ändern. Das größere Potenzial besteht aber zweifellos in den Leitzinserwartungen der folgenden Jahre. Derzeit sind für 2023 bis 2026 gerade einmal zwei Leitzinsanhebungen pro Jahr eskomptiert. Ende 2026 wäre dann ein Niveau von knapp 2,50% erreicht – historisch gesehen ein sehr moderater Straffungszyklus. Sollte sich der erwartete Wirtschaftsboom einstellen, besteht hier Luft nach oben – in Richtung drei bis vier Straffungen pro Jahr und einem Hochpunkt des erwarteten Leitzinsniveaus bei über 3,0%.

Deshalb dürften die Renditen 10-jähriger US-Treasuries bis Anfang 2022 die 2,0%-Marke überwinden und Kurs auf 2,50% nehmen – der Konsensus geht nur von 1,90% aus. Bei 2-jährigen US-Treasuries wird sich anfangs noch wenig tun. Je stärker aber das Jahr 2023 ins Blickfeld rückt, werden auch dort die Renditen anziehen und dürften Anfang 2022 über 0,50% springen (aktuell: 0,15%).

Aktienhausse setzt sich fort, aber in gedrosseltem Tempo

Für die Aktienmärkte sind steigende Renditen negativ. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Renditeanstieg abrupt erfolgt oder über längere Zeit anhält, weil in dem Fall Aktien gegenüber Anleihen an relativer Attraktivität verlieren. Solange die anziehenden Renditen aber primär konjunkturgetrieben sind und damit auch die Aussicht auf steigende Unternehmensgewinne spiegeln, sind sie unschädlich.

Die aktuellen Gewinnschätzungen für die Unternehmen im S&P500 (+45% in 2021 und +13% in 2022, nach -19% in 2020) sind zwar ambitioniert, aber angesichts des kräftigen BIP-Wachstums und des Nachholbedarfs nicht übertrieben. Sollten sich unsere Wachstumsprognosen bewahrheiten, dürften die Gewinnschätzungen sogar noch angehoben werden. Wir sehen daher beim S&P500 über die nächsten zwölf Monate noch ein Kurspotenzial von 10% auf 4.600 Punkte.

Dennoch wird der Aktienhausse im Laufe des Jahres etwas die Puste ausgehen. Der Grund dafür ist nicht der Renditeanstieg, sondern die rückläufige konjunkturelle Dynamik. Normalerweise fällt der Gipfel der Aktienhausse mit dem Hochpunkt des Wirtschaftsbooms zusammen. Letzterer dürfte in den USA bereits im laufenden Quartal erreicht sein. Danach wird das Wachstum zwar nicht einbrechen, sich aber verlangsamen. Die größte Euphorie an den Aktienmärkten dürfte dann vorbei sein. Das immer noch hohe Expansionstempo sollte aber Dividendenpapiere weiter stützen.

Fazit: Starke Kursverluste bei Anleihen und solide Kursgewinne bei Aktien

Der Reflation Trade steht also keineswegs vor dem Aus. Im Gegenteil: Wir befinden uns noch in seiner Mitte. Der sich abzeichnende Wirtschaftsboom, die steigenden Inflationsraten und die Trendwende in der Geldpolitik werden vor allem die Renditen von Staatsanleihen auf lange nicht mehr erreichte Höhen treiben. Das bedeutet hohe Kursverluste. Der Ausblick für die Aktienmärkte fällt differenzierter aus: In den nächsten Monaten dürften die positiven konjunkturellen Effekte noch eindeutig dominieren und weitere Rekordstände nach sich ziehen. Richtung 2022 wird der Aufwind aber nachlassen und die Hausse abebben.

Diese Prognose gilt nicht nur für die USA, sondern auch für die Eurozone. Die Fiskalimpulse sind hier zwar nicht so stark ausgeprägt, aber die Nachholeffekte sind stärker und die Chancen für positive Überraschungen größer. In der Eurozone besteht daher noch mehr Aufwärtspotenzial an den Aktienmärkten. Der DAX beispielsweise dürfte 17.000 Punkte ins Visier nehmen. Gleichzeitig werden die Renditen deutscher Bundesanleihen im 2. Halbjahr 2021 ein Comeback feiern und 10-jährige Laufzeiten Ende 2021 deutlich im Plus rentieren.

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