Die Lebensversicherer sind bisher robust durch die Corona-Pandemie gekommen. Die Solvenzquoten steigen deutlich, ein erhöhtes Stornovolumen blieb aus. Hoffnung gibt der Zinsanstieg, der die Anforderungen an die Zinszusatzreserve und Solvenz deutlich entlastet. Allerdings hat er auch eine Kehrseite. Die Gesellschaften häufen immer mehr stille Lasten in den Büchern an. Zudem dämpfen der Ukraine-Krieg und die hohe Inflation dämpfen die Erwartungen. Für 2022 erwartet die Kölner Rating-Agentur in der LV-Branche einen leichten Rückgang um rund ein Prozent.
Zinsanstieg führt zu einer neuen Situation
Im Zuge des langjährigen Niedrigzinsumfeldes hatten die Lebensversicherer bis Ende 2021 rund 97 Milliarden Euro an Zinszusatzreserve (ZZR) zur bilanziellen Absicherung ihrer Altgarantien gestellt. Nach Erkenntnissen der Rating-Agentur Assekurata wird die Branche im Geschäftsjahr 2022 aber bereits die ersten Rückflüsse aus der ZZR erhalten. „Die zuletzt abrupt gestiegenen Zinsen führen zu einer völlig neuen Situation, da der branchenweite Referenzzins für die ZZR-Zuführungen nicht weiter sinkt“, sagt Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung bei Assekurata. „Dies hat zur Folge, dass viele Lebensversicherer den Höchstwert an ZZR nun bereits erreicht haben.“
Unter der Annahme eines gleichbleibenden Zinsniveaus haben die Assekurata-Analysten hierzu ermittelt, dass sich der Referenzzins im Geschäftsjahr 2022 bei 1,56 Prozent einpendeln wird und damit nahezu auf der Höhe des Vorjahres liegen dürfte (1,57 Prozent). Sollten die Zinsen ihr aktuelles Niveau nicht nur halten, sondern die positive Tendenz weiter fortsetzen, bliebe der Referenzzins bis 2027 auf konstantem Niveau und würde dann erstmalig steigen, wodurch sich der ZZR-Abbau zusätzlich beschleunigen würde.
Solvency II und ZZR profitieren
Von den steigenden Zinsen profitieren viele Lebensversicherer nicht nur auf Seiten der ZZR, sondern auch mit Blick auf Solvency II. Die hohe Zinssensibilität der Kapitalanlagebestände war aus Solvenzsicht bisweilen ein Problem für Lebensversicherer, da die niedrigen Zinsen auch niedrige Solvenzquoten zur Folge hatten.
„In der jetzigen Situation tritt jedoch der gegenläufige Effekt ein: Die Solvenzquoten sind bereits 2021 deutlich angestiegen und werden ihren Positivtrend auch 2022 fortsetzen“, prognostiziert Heermann. Unter dem Strich führe der Zinsanstieg dazu, dass sich unser Rating-Augenmerk bei Lebensversicherern wieder stärker von Solvency II nach HGB verlagert, wo der Einfluss von steigenden Zinsen auch belastend wirken kann, so der Experte.
Noch 77 Prozent in Festverzinslichen – Alternative Investments im Fokus
Dies liegt daran, dass die Lebensversicherer laut Assekurata-Daten noch etwa 77 Prozent ihrer Kapitalanlagen in festverzinslichen Anlagen investiert haben. Um ihre Leistungsverpflichtungen sicherzustellen, haben viele Gesellschaften Zinstitel mit langen Laufzeiten gekauft. „Die konservative Anlagepolitik der Branche führt in Zeiten steigender Zinsen zu stillen Lasten in den Büchern der Lebensversicherer, sprich zu geringeren Marktwerten gegenüber den Buchwerten der Kapitalanlagen“, erläutert Heermann.
Stille Lasten von rund 40 Milliarden Euro
Während Ende 2021 im Gesamtmarkt die Bewertungsreserven noch bei etwa 15 Prozent der Buchwerte beziehungsweise 150 Milliarden Euro lagen, geht Assekurata aktuell davon aus, dass auf Branchenebene insgesamt bereits stille Lasten in Höhe von 40 Milliarden Euro entstanden sind. Zwar sind die Lebensversicherer in der Regel nicht verpflichtet, die zinsinduzierten stillen Lasten bilanziell abzuschreiben, jedoch mindert sich dadurch die Ertragssubstanz in ihren HGB-Bilanzen.
Die geänderte Marktsituation spiegelt sich auch in einer von Assekurata jüngst durchgeführten Befragung unter Kapitalanlegern bei Versicherern wider. Hier gaben die Teilnehmer zwar mehrheitlich an, dass sie ihre Portfolien weiter in Richtung Substanzwerte, wie Immobilen, Infrastruktur oder Private Equity umschichten wollen. Im Vergleich zum Vorjahr planen jedoch mehr Asset Manager, festverzinsliche Wertpapiere in ihrem Portfolio zu halten und nicht zu verkaufen, mutmaßlich auch, weil sich der ZZR-Finanzierungsbedarf verringert hat. Daneben reagieren die ersten Anleger auf die gestiegene Volatilität der Aktienmärkte mit einer geplanten Reduktion der Aktienquote. „Die Grundstimmung unter den Kapitalanlegern ist aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen und geopolitischen Lage eher negativ“, fasst Heermann die Befragungsergebnisse zusammen. Im Vorjahr waren die Einschätzungen noch optimistischer gewesen, wie folgende Abbildung zeigt.
Nachfrage nach LV-Produkten dürfte sinken
Auch auf Kundenseite rechnet Assekurata angesichts der negativen Konjunkturaussichten und der stark angestiegenen Inflation mit einem Nachfragerückgang nach Lebensversicherungsprodukten. „Die hohe Inflation schränkt die Sparmöglichkeiten vieler Bürger ein und zehrt an der Realverzinsung der Policen“, kommentiert Assekurata-Geschäftsführer Dr. Reiner Will. Zugleich könnten konkurrierende Bankprodukte bei weiter steigenden Zinsen wieder attraktiver werden, wobei sich dieser Effekt typischerweise erst zeitversetzt einstellt, wenn die Banken die höheren Zinsen auch tatsächlich an ihre Kunden weitergeben, so Will weiter.
Bei den Produkten erwarten Will und Herrmann, dass der Fokus künftig auf Fondspolicen ohne Garantien liegen dürfte. Auch Fondspolicen mit Garantien und die betriebliche Altersvorsorge würden deutlich stärker nachgefragt. Allerdings sei noch nicht absehbar, welche Folgen der Zinsanstieg haben wird. Eine Rückkehr der Klassik erwartet Will aber nicht.
Für das Jahr 2022 rechnet Assekurata mit einem moderaten Rückgang des Prämienbestandes in der Lebensversicherung von einem Prozent, nachdem die Branche schon 2021 ein Minus von 1,7 Prozent zu verzeichnen hatte, welches auf Rückgänge bei den Einmalbeiträgen zurückzuführen war. Demgegenüber erweist sich die Stornosituation trotz der Corona-Unwägbarkeiten bisher als stabil.