Die Schaden- und Unfallversicherer waren 2021 doppelt gebeutelt: Neben der Corona-Pandemie wurden die Versicherer insbesondere durch Sturmtief „Bernd“ schwer belastet. Allein die durch Sturmtief „Bernd“ verursachten Schäden hätten ausgereicht, um 2021 zum viertteuersten Schadenjahr seit Beginn der Statistik in den 1970er Jahren zu machen.
Weitere Unwetterereignisse, insbesondere durch Hagel, sorgten in der Wohngebäude und Kfz-Versicherung für eine Schadenbelastung auf nie dagewesenem Rekordniveau; und sie bescherten der Branche erstmals seit langem wieder einen versicherungstechnischen Verlust. Wachstumsseitig haben sich die Unternehmen hingegen sehr gut geschlagen.
Vor dem Hintergrund hoher Sturmschäden im ersten Quartal ist davon auszugehen, dass auch das Bilanzjahr 2022 wieder im Zeichen einer hohen Elementarschadenbelastung stehen wird. Zusätzlich bergen aber auch der Ukraine-Krieg und die Inflation bilanzielle Risiken und dämpfen die Wachstumsdynamik. „Es ist noch nie schwierig gewesen, eine Prognose zu wagen, wie in diesem Jahr“ lautete denn auch das Fazit der Kölner Rating-Agentur Assekurata, die ihren „Marktausblick Schaden-und Unfallversicherung“ vorgestellt hat.
Hohe Elementarschadenbelastung und versicherungstechnischer Verlust
„Nach der pandemiebedingt geringeren Schadenbelastung und den zudem vergleichsweise geringen Elementarschäden im Geschäftsjahr 2020 verhagelte es den deutschen Schaden- und Unfallversicherern 2021 sprichwörtlich die Bilanzen. Konnte die Branche im Geschäftsjahr 2020 noch einen versicherungsgeschäftlichen Gewinn von über sieben Milliarden Euro einfahren, schrieb die Branche 2021 erstmals seit langer Zeit wieder rote Zahlen.
Die hohen Elementarschäden haben die deutschen Schaden- und Unfallversicherer dabei zwar stark belastet, aber nicht überlastet“, fasst Dennis Wittkamp, Fachkoordinator Schaden- und Unfallversicherung der Assekurata Assekuranz Rating-Agentur GmbH und Autor der Untersuchung, die Ergebnisse zusammen.
Rückversicherung entlastet Erstversicherer
Dabei seien einzelne Gesellschaften unterschiedlich betroffen. Eine Auswertung der ersten veröffentlichten Geschäftsberichte zeige aber, dass ein erheblicher Teil der Elementarschäden rückversichert ist, so Wittkamp. Assekurata-Geschäftsführer Dr. Reiner Will erwartet, dass dies bei den Erstversicherern für deutliche Entlastung sorgen dürfe. „Mittelfristig dürfte die Entwicklung aber Auswirkungen auf den Preis des Rückversicherungsschutzes haben“, glaubt Will.
Beitragsseitig konnte die Branche ihren Wachstumskurs fortsetzen. Allerdings fielen die Einnahmen mit 2,2 Prozent etwas aus, als im Mittel der vergangenen zehn Jahre (2,9 %). Infolge der Schäden stiegen die Versicherungsleistungen deutlich von 51,3 auf 62,3 Milliarden Euro an. Folgerichtig erhöhte sich auch die kombinierte Schaden-Kosten-Quote (Combined Ratio) von 90,7 auf rund 102 Prozent. Und das bescherte der Branche 2021 mit rund 1,5 Milliarden Euro den ersten versicherungstechnischen Verlust seit 2013, so Wittkamp.
Elementarschäden treffen Wohngebäude- und Kfz-Versicherung
Insbesondere die Wohngebäudeversicherung hatte unter den hohen Elementarschäden zu leiden, während sich die Kraftfahrtversicherung insgesamt, trotz einer ebenfalls hohen Schadenlast, noch ertragreich zeigte. Laut Wittkamp ist in der Wohngebäudeversicherung die Spreizung im Markt mittlerweile sehr groß, sagte Wittkamp. Es gebe Versicherer, die gewännen stark, während andere dauerhaft defizitär arbeiten. Hier stelle sich die Frage, ob diese Gesellschaften überhaupt noch am Markt bestehen könnten.
„Die Kraftfahrtversicherung profitierte vor allem von der geringeren Schadenbelastung in der Kraftfahrthaftpflicht, welche vornehmlich auf die Pandemie zurückzuführen ist“, erklärt Dennis Wittkamp. In den Kaskosparten seien die Spuren der Unwetter jedoch deutlich zu erkennen.
Mit Blick auf die Kraftfahrtversicherung erwartet Wittkamp einen deutlichen Anstieg der Prämien. Die Schadenentwicklung in den Kaskosparten habe sich schon Anfang 2022 in leicht erhöhten Prämien niedergeschlagen. „Wir haben bereits einen moderaten Prämienanstieg beobachten können“, so Wittkamp. Für 2023 sehe man dann deutliche Prämienerhöhungen auf die Kfz-Kunden zukommen. Die seien aus der Inflation und auch der Schadeninflation getrieben.
Deutlich verteuern dürften sich in diesem Jahr bereits die Schäden. „Wir haben einen Ersatzteilinflation“, sagt Wittkamp. 2021 lag diese bei rund sechs Prozent, während die Standardinflation bei lediglich 3,1 Prozent lag. Wenn man davon ausgehe, dass dieses Verhältnis gleich bleibe – bei derzeitigen Inflationsraten von sechs bis sieben Prozent – sei davon auszugehen, dass die Inflation bei den bei Ersatzteilen, deutlich zunehmen werde. „Die Störung der Lieferketten treibt die Preise zusätzlich“, sagt Wittkamp. „Das wird sich 2023 zwangsläufig in den Prämien widerspiegeln müssen“, zeigt sich Wittkamp überzeugt.
Die immer noch geringe Mobilität durch Corona-Pandemie sorgt laut Wittkamp derzeit noch dafür, dass die Schadenquoten noch geringer seien. Weniger Pendelverkehr, höhere Benzinpreise und neue Arbeitszeitmodelle sorgten hier für einen dämpfenden Effekt.
Die E-Fahrzeuge seien derzeit noch in einer Nische. Und würden auch von den Versicherern mit Rabatten gefördert. „Das stimmt aber nicht mit den verursachten Schadenkosten von E-Fahrzeugen überein“, kritisiert der Experte. Die Rabatte seien Ausdruck eines sozial erwünschten Verhaltens. Die Frage sei, ob die derzeitigen Rabatte bei steigenden Schadenzahlen aktuariell künftig noch zu halten seien.
Darüber hinaus erwartet der Assekurata-Experte, dass sich die Wachstumsdynamik der vergangenen Jahre in 2022 deutlich abschwächt. „Im ersten Quartal 2022 sind die Neuzulassungen und die Besitzumschreibungen merklich zurückgegangen, die Kfz-Versicherer haben es also erstmals seit langem mit einem schrumpfenden Markt zu tun“ so Wittkamp weiter.
Wohngebäudeversicherungen: Prämien werden wohl deutlich steigen
Für die Wohngebäudeversicherung erwartet die Kölner Rating-Agentur steigende Prämien. „Hier wirkt insbesondere die Inflation im Baugewerbe über den Baupreisindex unmittelbar auf die zu zahlende Prämie. Diese ist intensiver als die allgemeine Inflation. Damit dürfte es im laufenden und wohl auch im kommenden Jahr deutlich teurer für die Kunden werden“, ist sich Will sicher. Bemerkenswert sei, dass die Zahl der Schäden sowohl bei Feuer- wie auch bei Leitungswasser eher zurückgingen. Dass die Schadenaufwendungen in der Feuer- und Leitungswasserversicherung stiegen, sei im Wesentlichen preisgetrieben.
Hinzu komme, dass bereits im Februar und im Mai 2022 eine ganz Reihe von Stürmen für vergleichsweise hohe Schäden gesorgt hätten. „Das Jahr 2022 wird ganz sicher ein Jahr sein, was auf der Schadenseite ganz sicher nicht unterdurchschnittlich sein wird“, zeigt sich Will überzeugt. Damit könnte das Gesamtjahr erneut eine hohe Schadenlast mit sich bringen. Das dürfte den Druck auf die Prämien zusätzlich erhöhen, so Will.
Letztlich erwartet Assekurata, dass die hohen Schäden für steigende Rückversicherungsprämien sorgen werden. Und diese werden sich in den kommenden Jahren auch auf die Prämien der Kunden durchschlagen. Hinzu komme die Inflation über den Baupreisindex. „Der wird jedes Jahr in den Wohngebäudetarifen aktualisert. Um die korrekten Versicherungssummen beziehungweise den Wert des Gebäudes zu taxieren“, erklärt Assekurata-Mann Wittkamp. Der Baupreisindex ist sprunghaft angestiegen. Und das geht direkt auf die Prämien durch“, erläutert Wittkamp.
Beitragswachstum erwartet
„Wir erwarten aber auch ein dynamisches Beitragswachstum. Insbesondere wird das aber getrieben durch die Anpassung der Prämien“, ergänzt Will. Verantwortlich seien hierfür in erster Linie die hohen Schäden des vergangenen Jahres.
Derzeit seien rund die Hälfte der Wohngebäude gegen Elementarschäden versichert. „Die Unwetter und das mediale Echo haben das Thema Absicherung des eigenen Wohngebäudes gegen Elementarrisiken stärker in das Bewusstsein der Menschen gebracht. Dies hat bereits unmittelbar nach der Flutkatastrophe durch das Unwetter „Bernd“ zu einer deutlichen Zunahme der Vertragsabschlüsse geführt. Das wird auch 2022 noch für ein stärkeres Vertragswachstum sorgen“, glaubt Will.
98 Prozent der Risiken hierzulande seien versicherbar. Hauptsächlich in den niedrigeren Zürs-Zonen. Es gebe also einen Versicherungsschutz, so Will. Nur rund 0,4 Prozent der Risiken befänden sich in der höchsten Gefahrenklasse. Hierfür müsse man individuelle Lösungen finden. Im Wesentlichen sei es ein Thema, wie die Menschen in den Versicherungsschutz hineinkämen. Und natürlich gebe es Regionen, die gefährdeter sein ein. „In der Fläche gesehen lassen sich Elementarrisiken in Deutschland absichern“, sagt Will.
Mit einer Versicherungspflicht wolle die Politik heraus aus der Ecke der Opferhilfe. Dieser Ansatz habe viele Probleme verursacht. Und drücke letztlich auch die Versicherungsnachfrage. Weil man bei der nächsten Katastrophe wieder verpflichtet sei, zu helfen. Einer Versicherungspflicht steht der Assekurata-Geschäftsführer eher skeptisch.
Es sei ein Stück weit unsolidarisch, dass diejenigen, die sich abgesichert hätten, nicht die gleichen Leistungen vom Staat bekämen, wie diejenigen, die Hilfe in Anspruch nehmen. „Das hilft der Prävention nicht“, sagt Will. Die Politik sei hier inzwischen darauf aufmerksam geworden. Mittlerweile gebe es drei Vorschläge, sie hier den Menschen eine bezahlbare Risikoabsicherung geboten werden könne. Dabei konkurrieren eine Versicherungspflicht mit einer freiwilligen Lösung.
Wichtig sei, eine praktische Lösung, die dafür sorge, dass am Ende so viele Immobilienbesitzer wie möglich abgesichert sein. Skeptisch sieht Will eine Pflichtversicherung, die am Ende nur Neubauten mit hohen Selbstbehalten und hohen Risikogebieten umfassen würde. „Ich glaube, dass würde dem Thema nicht gerecht werden.“ Hier werde es noch viele Diskussionen geben. Positiv sei jedoch, dass das es nun aktiv angegangen werde. „Billiger wird es für die Verbraucher aber auf keinen Fall“, zeigt sich Will überzeugt.
Aufbau von Ökosystemen: Orchestrator, Schlüsselpartner oder Teilnehmer
Treiber für das laufende Jahr ist laut Asskurata zum einen die weitere Digitalisierung. Und hier ganz besonders die zunehmenden Bedeutung von Ökosystemen. Hier gehe es darum, ob ein Versicherer die Rolle eines Orchestrators, der die Regeln festlege und sich Schlüsselpartner und Teilnehmern dazuhole, einnehmen wolle. Grundsätzlich könne eine Versicherer jedes dieser Rollen einnehmen. Die Frage sei, welche Rolle man einnehmen wolle. Weil es letztlich auch für die Versicherer um die Kontrolle des Zugangs zur Kundenschnittstelle gehe, sagt Wittkamp.
Die Rolle des Orchestrators oder Schnittstellenpartners seien Systemrelevant. Wenn der aussteigt, bricht quasi das komplette Ökosystem zusammen. Ein Teilnehmer sei hingegen deutlich einfacher zu ersetzen. „Nicht jeder Versicherer kann bei jedem Thema Orchestrator oder Schlüsselpartner sein. Da tut sich die Branche noch etwas schwer“, sagt Wittkamp.
Derzeit ganz weit oben auf der Agenda stehen dabei Ökosysteme zur Mobilität oder rund um das Thema „Haus und Zuhause“. Allerdings benötigt der Aufbau sehr viel Zeit. Derzeit gebe es verstärkt bei vielen Versichererern Bemühungen. Ein fertiges Ökosystem gibt es laut Wittkamp derzeit aber noch nicht. „Was hemmt die Branche hier? Aus unserer Sicht zum einen das Thema Zielgruppengenauigkeit. Welche Bedürfnisse hat die Zielgruppe? Und wie kann ich die befriedigen. Und welche Rolle will ich hier einnehmen. Aus unserer Sicht wollen die Versicherer noch zu oft der Gestalter sein. Anstatt sich darauf zu fokussieren, sich in bestehende Systeme einzubringen.“
Das erfordere eine andere Art zu arbeiten: und ein IT-Landschaft, die schnittstellenfähig ist. Da tue sich zwar einiges. Gleichwohl mangele es der Branche hier immer noch. „Die IT-Infrastruktur und die gelebte Kultur dahinter zu etablieren, um mit Partner in einem Ökosystem zusammenzuarbeiten, braucht Zeit“, sagt Wittkamp.
Wachstumsmarkt Cyber
Bei Cyberversicherungen sieht Assekurata eine deutliche Steigerung der Nachfrage im Markt. „Die haben wir seit geraumer Zeit.“ Bei dem Prämien erwartet Will ein Wachstum von durchschnittlich 20 Prozent. „Das erwarten auch die Makler“, sagt Will. Auf der Schadendseite sei das Bild hingegen relativ ambivalent. Einerseits nehmen die Schadenattacken zu. Auf der anderen Seite die Ransomware-Attacken ab. Zudem stehe die Frage im Raum, wer Initiator von solchen Attacke sei.
„Wenn es unter russischer Beteiligung sein sollte, hat man bei den Schadenzahlungen das Problem, dass die unter die Sanktionsliste fallen würden. Das ist ein Aspekt, den man sich nicht vorstellen kann. Aber die Diskussion wird geführt“, erläutert Will. Insgesamt sieht Assekurata einen hohen Bedarf auf der Service-Seite. „Die Kunden haben Nachholbedarf beim Informationssicherheitsaspekt“, sagt Will. Hier könnten Versicherer durchaus im Sinne eines Ökosystems tätig werden.
Kritisch sieht Will, dass einer teigenden Nachfrage nicht genügend Dienstleister gegenüber stünden. „Die Versicherer tun sich schwer, hier ein entsprechendes Netzwerk aufzubauen“, sagt Will. Das sei ein wichtiger Aspekt. Dem Kunden nicht nur im Schadenfall zur Seite zu stehen, sondern auch auf der Präventionsseite.
Was die Tarife betrifft, so würden diese bedingungsseitig immer besser. Insgesamt sieht die Ratingsagentur eine hohe Dynamik im Markt. „Das Thema IT hat einen großen Raum und die Sicherheit nimmt eine ganz wichtige Position ein. Und am Ende ist der Versicherungsschutz die letzte Sicherheitsstufe, die man benötigen sollte“, sagt Will.
Prämienwachstum von rund 1,7 Prozent erwartet
Das Jahr 2022 stellt die deutschen Schaden- und Unfallversicherer aus Sicht von Assekurata vor zahlreiche Herausforderungen. Es herrsche eine hohe Unsicherheit hinsichtlich vieler wirtschaftlicher Parameter, so Wittkamp. „Pandemie, Krieg in der Ukraine, steigende Zinsen, Inflation sind nur einige der Einflussfaktoren, welche die Branche im Geschäftsjahr 2022 beschäftigen werden. Die hohe Unsicherheit für die Unternehmen ergibt sich insbesondere daraus, dass die verschiedenen Einflussfaktoren zum Teil in Abhängigkeit zueinanderstehen, teilweise aber auch gegenläufige Auswirkungen haben“, glaubt Wittkamp.
Eskaliert der Krieg weiter? Gibt es zusätzliche Sanktionen? „Beides nimmt auch Einfluss auf die Geldpolitik und damit auf die Inflation, welche wiederum maßgeblichen Einfluss auf die Schadenaufwände hat.“ ergänzt Will. Der weitere Geschäftsverlauf wird maßgeblich auch davon abhängen, in welcher Form und wie schnell sich die gesamtwirtschaftliche Situation wieder normalisiert.
„Der anhaltende Krieg in der Ukraine und die pandemiebedingten Störungen von Lieferketten dämpfen aktuell die wirtschaftliche Erholung. Auf dieser Basis rechnen wir für 2022 mit einem marktweiten Beitragswachstum von 1,7 Prozent“, prognostiziert Wittkamp.
Aus Ertragssicht dürfte 2022 erneut ein schwieriges Jahr für die Branche werden. Das steigende Risikobewusstsein bei der Elementarschadenabdeckung sei positiv. „Das ist aus vertrieblicher Sicht eine Chance. Wenn es medial hoch auf der Agenda steht“, glaubt Wittkamp. Das steigende Zinsniveau biete zudem Chancen zur Optimierung der Kapitalerträge. Andererseits habe es bereits viele Schäden im Frühjahr gegeben. „Und der stürmische Herbst steht uns noch bevor. Das starten wir von einer hohen Basis“, sagt Wittkamp.
„Die Inflation wird die Schadenkosten unabhängig von der Schadenhäufigkeit deutlich in die Höhe treiben. Sollte diese Entwicklung auch noch auf eine hohe Elementarschadenbelastung treffen, könnte der Branche erneut ein schwieriges Jahr bevorstehen“, so Wittkamp