Asset Management: „Der menschliche Faktor ist in der KI größer als alle denken“ 

Von links: Christian Sievers, Geschäftsführer LAIC Capital & LAIC Vermögensverwaltung; Kevin Endler, Executive Partner und Head of Quantitative Portfolio Management, ACATIS; Barbara Claus, Head of Mutual Funds, Mutual Funds Analysis, Scope Fund Analysis

Spätestens seit ChatGPT ist Künstliche Intelligenz (KI) in vielen Bereichen ein zunehmend wichtiges Thema. Auch im Asset Management hält KI immer stärker Einzug. Cash. diskutiert mit zwei Investmenthäusern und einer Analyse-Gesellschaft, welche Mehrwerte KI im Fondsmanagement liefern kann und wo die größten Chancen und Herausforderungen liegen.

Die Künstliche Intelligenz boomt derzeit in vielen Bereichen. Viele tun sich jedoch nach wie vor mit der Definition schwer. Was ist für Sie KI und wodurch zeichnet sich ein KI-Fonds aus?

Endler: Für mich sind es zunächst Modelltypen, die ein Problem lösen, für das normalerweise menschliche Intelligenz notwendig wäre. Eine weitere wichtige Komponente ist, dass die Modelle selbstständig lernen, d.h. sie verbessern sich mit der Zeit anhand ihrer bisherigen Ergebnisse. Sprachlich gibt es auch Nuancen, ob es jetzt Machine Learning ist oder Künstliche Intelligenz oder starke/schwache KI, da gibt es viele Begrifflichkeiten. Aber im Endeffekt bezeichnet alles mehr oder weniger den gleichen Sachverhalt. Und ein KI-Fonds ist für mich ein Fonds, bei dem die Künstliche Intelligenz als Portfoliomanager agiert, das heißt kein Themenfonds.

Sievers: Das finde ich sehr passend zusammengefasst. Wenn man es sehr vereinfacht definiert, würde man sagen, es ist die Fähigkeit einer Maschine, den Menschen zu imitieren und wie ein Mensch zu agieren. Darüber hinaus gibt es ganz viele Teilbereiche, wenn man tiefer in diese Algorithmen eintaucht, die unterschiedliche Aufgaben haben und unterschiedliche Systematiken nutzen. Aber vereinfacht ist es die Fähigkeit, den Menschen zu imitieren und Aufgaben des Menschen zu erledigen und auch selbstlernend Entscheidungen zu treffen.

Claus: Wir hatten in der Vergangenheit bereits die Quant-Fonds, ich sehe KI hier als Weiterentwicklung. Für mich ist ein KI-Fonds quasi auch ein Fonds, der Daten quantitativ auswertet, allerdings – wie meine Vorredner auch schon gesagt haben – mit einem System, das daraus lernt, indem es sich die Ergebnisse seiner Analysen selbst anschaut und validiert. So wie traditionell Fondsmanager vorgehen, Schlüsse daraus ziehen und lernen. Ich würde daher auch zum technischen Begriff Maschinelles Lernen tendieren. Der Begriff Intelligenz ist aus meiner Sicht sehr stark und wenn es darum geht, Gedankensprünge zu vollführen, ist die menschliche Intelligenz immer noch deutlich im Vorteil. Aber KI hat natürlich eine enorme Entwicklung gemacht, von reinen Auswertungen, bis hin zu Systemen wie ChatGPT, die selbstständig lernen.  

Ist KI und Maschinelles Lernen dasselbe, oder gibt es da Nuancen?

Sievers: KI ist der Oberbegriff und maschinelles Lernen ist ein Teilbereich der Künstlichen Intelligenz. Wenn wir tiefer in diese Thematik einsteigen, ist ein Teilbereich von Machine Learning das Deep Learning. Ich würde gerne ergänzen wollen, was Sie, Frau Claus eben gesagt haben. Wie passen die Quant-Fonds eigentlich jetzt ins Bild? Der klassische Quant-Fonds hat sich eine Hypothese überlegt, hat geforscht und sie getestet und sie dann maschinell mittels Algorithmen angewendet. Der Unterschied ist einfach, wenn wir nachher tiefer in die KI einsteigen: Ich muss mir nicht mehr die Hypothesen selber überlegen, sondern ich will, dass die KI die Hypothesen selber findet.  

Auch das Asset Management wandelt sich. Was sind die Gründe für den Einsatz von KI? Inwieweit revolutioniert KI das Trading?

Endler: Revolution würde ich es nicht nennen, sondern eher einen Evolutionsschritt, denn Künstliche Intelligenz ist nicht neu. Die Gründe sind ganz klassische, beispielsweise dass aus dem Datenschatz vieler Firmen ein Muster erkannt werden soll. Bei uns war es auch so, vor zehn, zwölf Jahren, als wir mit dem Thema angefangen haben, dass wir die ganzen Unternehmensdaten und alles Mögliche von verschiedenen Datenbankanbietern zwar vorliegen hatten, aber der Mensch hat diese enorme Datenmasse nur zu einem Bruchteil verarbeiten können. Eine globale Auswertung war nicht möglich. Dafür kam der Werkzeugkasten Künstliche Intelligenz quasi genau richtig, um diesen Datenschatz zu heben und zu analysieren, ob wir interessante neue Ideen generieren oder den Investmentprozess optimieren können.  

Sievers: Ich würde mich da gerne anschließen. Wir bei LAIC sind ja im Jahr 2018 eingestiegen mit dem Thema Deep Learning. Ich glaube, das ist auch noch mal der Unterschied im Anwendungsfall. Wir sind mit der Vorgabe gestartet: Wie können wir die komplette Entscheidungsfindung, also im gesamten Investmentprozess KI-getrieben betreiben? Es sind unterschiedliche Anwendungsfälle, wie man die KI benutzen will. Wir gehen mit Deep-Learning-Ansätzen daran. Das heißt, wir versuchen mittels Informationen, Zusammenhänge zwischen Informationen, die schon immer da waren, neu zu interpretieren. Am Ende versucht man, damit natürlich Alpha zu generieren, was vielleicht mit klassischen Quant-Ansätzen oder auch klassischen aktiven Ansätzen manchmal etwas schwierig ist. Also versucht man, neue Wege zu gehen.

Frau Claus, Scope hat eine Auswertung verschiedener Fonds gemacht, die am Markt sind. Ich vermute mal, da waren nicht nur KI-Fonds dabei.

Claus: Wir haben 17 Fonds mit KI-Bezug identifiziert. Zum einen natürlich Fonds mit KI-Themenansatz. Das heißt, das sind nicht zwangsläufig Fonds, die einen KI-gestützten Investmentprozess nutzen, sondern eher Fonds, die in das Thema KI investieren. Dann gab es unter diesen Themenfonds einen, der einen Teil des Anlageprozesses KI-basiert nutzt, indem das Anlageuniversum mit Hilfe von KI-Textanalysen zusammengestellt wird. Das heißt, es werden KI-Schlagworte definiert, durch KI-Einsatz wird dann nach Unternehmen gesucht, die damit in Verbindung gebracht werden. Ohne KI wäre  der Fondsmanager selbst hergegangen und hätte nach Unternehmen mit KI-Themenbezug gesucht. Darüber hinaus gab es in der Auswertung noch KI-Fonds, die rein KI-basierte Anlageprozesse verwenden, wie LAIC und ACATIS sowie „teilintegrierte“ Fonds, die quantitative Prozesse anwenden, von denen ein Teil KI-unterstützt ist.

Kevin Endler, ACATIS: „Das KI-Modell schlägt uns für jeden Sektor seine Favoriten vor. Dabei geht es nicht um die beste Performance im Sektor, sondern um Wahrscheinlichkeiten.“

Wie integrieren Sie KI in Ihren Fonds? Wie geht die KI konkret vor?

Sievers: Wir haben einen eigenen Investmentprozess geschaffen, den LAIC ADVISOR, welcher einen Prozess von sechs Schritten umfasst. Angefangen von „Was ist das Anlageuniversum?“ zu „Wie soll die Produktgestaltung sein?“ umfasst der Prozess die komplette Portfoliobildung unter Einhaltung der Vorgaben des Kunden. Für die Prognose von Renditen und Risiken nutzen wir bayesianisch-neuronale Netze. Das ist ein Teilbereich des Deep Learning. Neuronale Netze sind wahrscheinlich vielen ein Begriff. Deep heißt einfach nur, dass sie sehr tief sind und sehr viele Schichten haben, also sehr viele Daten verwenden, und dann arbeiten wir sehr konkret über Wahrscheinlichkeitsfunktionen. Ich gebe mal ein Beispiel: Wir haben den MSCI USA als Anlageuniversum. Als Nebenregion oder Zielfunktion haben wir definiert, dass wir mit einem vorgegebenen Tracking Error den Index schlagen wollen. Zeitgleich soll der CO2-Ausstoß stark reduziert werden, das heißt, wir haben eine Artikel-9-Strategie. Das sind sozusagen die Rahmenbedingungen. Unser Investmentprozess bewertet jeden Tag das Universum und erstellt Prognosen für Renditen und Risiken Insbesondere interessiert einen dann die relative Betrachtung einzelner Aktien zueinander. Dann kommt die Portfoliooptimierung. Sie berücksichtigt die Nebenbedingungen und die Prognosen. Schlussendlich erhalten wir daraus dann eine Soll-Allokation.

Endler: Bei uns liegt der Fokus sehr stark auf der Unternehmensanalyse. Wir benutzen nur unternehmensspezifische Informationen, also alles, was in Jahresberichten, Quartalsberichten an Zahlenwerk zu finden ist. Und seit einigen Jahren ist noch die Auswertung von Managementgesprächen mit Investoren dazugekommen. Wir bewegen uns auch nur in entwickelten Märkten. Finanz- und Immobilienwerte betrachten wir nicht. Das hat damit zu tun, dass sich eine Bankbilanz doch sehr von einem Industrieunternehmen unterscheidet. Damit hat sich unser Modell in den ersten Jahren sehr schwer getan. Wenn wir die Daten zur Verfügung haben, gehen wir sehr ähnlich vor wie bei einem diskretionären Fonds. Auch ein menschlicher Fondsmanager ist nicht allwissend, sondern jeder hat sein Spezialgebiet. Ähnlich haben wir unser Modell aufgesetzt. Wir betrachten jede Branche separat. Das Modell lernt immer in jeder Branche, spezifische Muster zu finden. Anschließend legen wir immer zwei Firmen nebeneinander. Beispielsweise lassen wir im IT-Sektor eine Intel gegen eine Nvidia antreten, und dann schaut sich das Modell die Zeitreihen an und muss uns Fragen für 6 bis 12 Monate beantworten wie: In welche Firma willst du lieber investieren? Das KI-Modell schlägt uns für jeden Sektor seine Favoriten vor. Dabei geht es nicht um die beste Performance in dem Sektor, sondern um Wahrscheinlichkeiten. Wir wollen, dass die Firma, die ganz oben steht, mit einer möglichst hohen Wahrscheinlichkeit überhaupt eine Outperformance generiert. Am Ende haben wir laut KI pro Branche eine Liste mit den aussichtsreichen Kandidaten. Anschließend folgt eine klassische Optimierung, bei der wir einen Best-in-Class-Ansatz gegen unsere Benchmark fahren. 

Wann und in welchen Bereichen kann die KI ihre Stärken voll ausspielen?

Sievers: Je mehr qualitätsgesicherte Daten wir haben, desto umfangreicher können wir auch Berechnungen und gute Prognosen durchführen, und desto umfangreicher sind die genannten Wahrscheinlichkeitsfunktionen. Wir sind in Primärmärkten unterwegs, beispielsweise USA Large Caps. Dort ist es für den aktiven Fondsmanager ganz schwer, langfristig überhaupt noch Outperformance zu erzielen.  

Endler: Ich würde es vielleicht ein bisschen allgemeiner beantworten. Wenn unsere KI-Modelle Schach spielen müssten, dann wäre es für sie bei einem Brett mit 8×8 Feldern sehr leicht, weil für jede Figur die möglichen Züge bekannt sind. Übertragen auf den Finanzbereich ist das nicht der Fall. Wir wissen nie: Soll ich jetzt nur Fundamental- oder auch noch Sentimentdaten benutzen? Oder setze ich weitere Informationen ein wie beispielsweise Satellitenbilder? Im Finanzbereich haben wir nie ein vollständiges Datenset, wenn wir eine Entscheidung treffen. Der zweite Punkt ist, dass ein Schachspiel unendlich oft wiederholt werden kann. Das Lernmaterial geht also nicht aus. Im Finanzbereich haben wir nur das eine Anlageuniversum mit einer Historie. Von Big Data kann man in diesem Zusammenhang nicht sprechen. Der dritte auch sehr entscheidende Punkt ist, dass beim Schachspiel das Regelwerk immer gleich ist. Das ist bei uns im Finanzbereich nicht gegeben. Wir haben über längere Zeiträume kein stabiles Signal, auf das ich immer setzen und das ich einfach ständig wiederholen kann, sondern wir müssen immer wieder adaptieren, besonders auch für unseren Bereich bei ACATIS. Wenn ich überlege, vor zehn, 15 Jahren war der Buchwert die Kennzahl, auf der vieles aufgesetzt wurde, und mittlerweile ist bei den Firmen alles Asset Light, wie es heutzutage so schön bezeichnet wird. Der Buchwert spielt eine immer geringere Rolle im Accounting. Das heißt, die Modelle müssen immer wieder erneuert und an die sich ändernden Rahmenbedingungen angepasst werden. Das macht es so schwierig, und darum können wir auch keine übermenschlichen Fähigkeiten bei diesen KI-Modellen im Fondsmanagement erwarten. 

Claus: Es müssen natürlich viele und gut auswertbare Daten zur Verfügung stehen, beispielsweise für Screenings, da denke ich auch, dass die großen Märkte sehr gut geeignet sind, Nischen eher weniger. Wenn es wenig Daten gibt, kann man auch wenig auswerten. Vielleicht auch hat man einen Vorteil bei sehr großen Universen mit sehr vielen Aktien, wo Analysten, wenn sie es händisch auswerten würden, einfach zu langsam wären. Die KI ist da wahnsinnig effizient. Sie kann auf Knopfdruck Auswertungen erzeugen, für die Analysten ein Vielfaches der Zeit bräuchten. 

Welchen Mehrwert bringt sie im Vergleich zum traditionellen Portfoliomanagement?

Sievers: Erstens ist es natürlich unser Anspruch, mittels neuer Modelle Alpha für den Kunden zu finden. Zweitens geht es um das Thema Effizienz und vor allen Dingen darum, individuelle Portfolios für den Kunden darzustellen, und zwar in jeglicher Couleur, was mit einem diskretionären Ansatz auf Dauer unmöglich erscheint. Wenn ich 100 verschiedene Kunden mit 100 verschiedenen Einstellungen habe, dann wird es etwas schwierig für den Menschen. KI-Modelle sind perfekt geeignet, genau das darstellen zu können.

Endler: Eine Künstliche Intelligenz trifft Entscheidungen objektiver und ohne Emotionen. Der Mensch hingegen wird auch immer mal wieder von seinem Ansatz abweichen. Für Investoren ist es zudem ein echter Diversifikationseffekt, zumindest bezogen auf die Anlagestrategien. Die KI-Modelle haben aus den Daten vielleicht etwas gelernt, was uns Menschen vorher möglicherweise ganz verborgen geblieben ist. Dadurch kann die KI dann durchaus Anlageideen entdecken, die der Mensch vielleicht erst mal nicht finden würde. Wichtig ist hier der Begriff der Nichtlinearität. Künstliche Intelligenz ist in der Lage, nichtlineare Muster zu entdecken.

Claus: Ja, dem kann ich nur zustimmen, die höhere Effizienz spart enorm viel Zeit und Ressourcen und fördert zudem das emotionslose Investieren, denn auch bei professionellen Anlegern sieht man oft, dass auch sie Behavioural Biases unterliegen. Das hat man mit einem rein quantitativen System nicht.

Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

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