Stichwort Alpha-Generierung. In Gesprächen wird mir immer wieder gesagt, dass Märkte effizient seien und es deshalb langfristig niemals gelingen könne, mit einem Computermodell ein Alpha zu generieren, das im Laufe der Zeit wieder kassiert wird. Was würden Sie da entgegnen?
Sievers: Ich bin erstaunt über diese Aussage.
Endler: Es lässt sich in der Tat trefflich darüber streiten. Wir sehen das bei Acatis natürlich anders. Es gibt immer wieder Sondersituationen, in denen die Marktteilnehmer ganz und gar nicht rational entscheiden, und was die Alphagenerierung angeht, da haben wir sowohl schon gute als auch schlechte Erfahrungen gemacht. Als wir 2017 den globalen KI-Fonds aufgelegt haben, haben wir zwei Jahre zwar kein Geld verloren, aber auch keine Outperformance erzielt gegenüber dem MSCI Welt oder dem MSCI World Small Cap, weil unsere KI eher in globale Nebenwerte investiert hat. Wir haben dann geschaut: Was hat gut funktioniert mit der KI? Wo hat sie sich schwergetan? Wo müssen wir Umstellungen machen? Nachdem die Umstellungen 2019 erfolgt sind, haben wir über die letzten fünf Jahre in diesem Nebenwertesegment eine Outperformance erzeugt, mit der wir zumindest jetzt für uns schon sehr, sehr zufrieden sind. Es gibt keinen Fonds, der exakt dasselbe macht, denn keine KI gleicht einer anderen.
Claus: Märkte sind in der Tat meist relativ effizient, aber eben nicht zu 100 Prozent. Wenn man eine KI einsetzt, die genau diese Effizienzlücken sucht, lässt sie sich unter Umständen auch zur Alpha-Generierung nutzen. Allerdings, wenn KIs in den Märkten laufend nach Ineffizienzen suchen würden, würden die Effizienz-Gaps kleiner und weniger. Das ist sicherlich ein Punkt, über den man nachdenken kann. Aber ich denke, dass Alpha-Erzielung im Markt prinzipiell möglich ist. Ich als Analystin schaue mir gerne erst einmal einen vollen Marktzyklus an, danach kann man besser einschätzen, wie ein Modell performt hat. Bei einer KI könnten die Ergebnisse der Vergangenheit jedoch weniger aussagekräftig sein, weil das Modell auch selbst lernt. Ich weiß nicht, wie Sie das handeln, aber wenn das System sich weiterentwickelt: Kommt man da als Mensch überhaupt noch mit, warum gewisse Titel ausgewählt werden?
Sievers: Bei einem Deep-Learning-Ansatz haben Sie Input- und Output-Parameter, und Sie haben innerhalb des Neuronalen Netzes verschiedene Schichten zur Analyse der Zusammenhänge. Diese Schichten sind nicht direkt messbar. Sie können den Output, also die Rendite- und Risiken Schätzungen natürlich mit diversen Methoden bewerten, auch statistisch gesehen. Was Sie nicht bewerten können, warum genau jetzt so dieser Output rauskommt. Das ist ja aber auch das Besondere an diesen Modellen. Das positive ist ja, der Portfoliomanager würde nie aussterben, auch in so einem KI-Modell nicht, weil Sie brauchen ihn, um das Modell zu erklären und um wieder den Output zu kontrollieren und den Investoren näherzubringen. Das heißt, die Rolle ist vielleicht eine leicht andere, weil er nicht die aktive Entscheidung trifft, aber der Grundsatz bleibt natürlich schon ähnlich in der ganzen Funktion. Zum Thema Effizienz: Alpha ist ein sich bewegendes Ziel. Genau hier liegt auch die Schwierigkeit. Dies hat auch zur Folge, dass deswegen einige Marktteilnehmer sagen, es ist einfacher anzunehmen, die Märkte seien effizient. Aber es gibt so viele Beispiele, die ganz klar zeigen, dass es Alpha im Markt gibt. Renaissance Technologies ist ein extremes Beispiel, dass Alpha natürlich existiert. Wie man es kriegt, ist die andere Frage.
Wie profitieren denn Berater und Anleger von KI-Fonds aus Ihrer Sicht, außer, dass man möglicherweise Alpha generiert?
Sievers: Für den Anleger geht es um neue Produkte. Und das müssen ja auch nicht alles Alpha-Produkte sein. Natürlich ist es unser Anspruch, wenn wir an den Markt gehen, dass wir Alpha generieren wollen. Aber wenn es für Investoren und Anleger Sinn macht, neue Beta-Produkte mit ins Portfolio zu nehmen, ist es für den Anleger doch auch ein Mehrwert, neue Diversifikationsquellen in seinem Portfolio zu haben.
Claus: Ja, zum einen geht es um Effizienzgewinne. Zum anderen ist es doch auch eine schöne Story, die man verkaufen kann. Es gibt sehr viele technologieaffine Menschen. Man hat es auch bei den Themenfonds gesehen. Viele Leute haben schon mit ChatGPT rumexperimentiert, sind beeindruckt. Und wenn dann noch die Ergebnisse der Fonds stimmen, dann verselbstständigt es sich sowieso. Wenn die Fonds dazu einen vollen Marktzyklus an Historie haben, dann geraten sie auch ins Blickfeld von Investoren. Wobei ich persönlich bei den bisherigen Ergebnissen noch nicht hundertprozentig überzeugt bin. Sicherlich gibt es auch KI-Anwendungen, die gut programmiert sind und welche, die nicht gut programmiert sind. Da muss man dann schauen, welche sich durchsetzen können.
Wo stößt der Einsatz von KI an seine Grenzen?
Sievers: Immer dann, wenn die Datenqualität oder die Quantität nicht ausreichend vorhanden ist, stößt KI dann an die Grenzen. Beispielsweise im Emerging-Markets-Bereich oder in gewissen Small- und Mid-Cap-Bereichen.
Endler: Ich kann es anhand eines Fallbeispiels aus unserer Firma ergänzen. Dr. Leber, der Gründer von Acatis, kann bei einem Börsengang eines Unternehmens mit ganz wenig Daten, aber aufgrund seiner langjährigen Erfahrung und Expertise besser über ein Investment entscheiden als eine Künstliche Intelligenz. Bei unserem KI-Modell ist das schwieriger, weil wir schon drei, vier, fünf Jahre Zeitreihen für die Firmen voraussetzen.
Der Erfolg einer KI steht und fällt mit der Qualität der Daten und wie sie genutzt werden. Dabei hilft wie im Sport Training. Wie oft trainieren Sie Ihre KI?
Sievers: Wir trainieren unsere Modelle einmal im Monat neu. Während dieser Zeit, erhält das Modell trotzdem jeden Tag neue Daten und wendet sein bisher gelerntes Wissen an. Einmal im Monat kann das Modell dann auch diese neuen Zeitreihen verarbeiten für sein gelerntes Wissen und dies gegebenenfalls selbstständig anpassen. Unser Training ist sehr rechenintensiv und dauert drei Tage an. Je öfter man trainiert, desto höher ist der Mehrwert, den die KI generiert.
Endler: Bei uns ist es ein bisschen weniger, weil wir die unternehmensspezifischen Daten als Hauptbasis haben, und wir erhalten nur alle drei Monate neue Daten. Dann hängt es natürlich davon ab, welche Region man sozusagen bespielen will. In den USA können wir sehr sicher sein, dass die meisten Firmen quartalsweise berichten. Global betrachtet gibt es immer wieder auch Länder, bei denen durchaus nur das halbjährliche Berichten üblich ist.
Wenn man über KI-Fonds spricht, denken nach wie vor Viele, dass wirklich alles automatisiert abläuft. Dem ist jedoch gar nicht so. Wie groß ist der menschliche Faktor noch?
Endler: Der menschliche Faktor ist sehr groß. Wenn ich Vorträge halte, habe ich eine eigene Seite mit ca. 25 Stichpunkten, wo der Mensch noch eine Entscheidung treffen muss, wo der Mensch sagt, welche Daten berücksichtigt werden und wie sie aufbereitet werden sollen, damit das Modell überhaupt damit arbeiten kann. Ganz wichtig ist zudem der Lernansatz. Es sind sehr viele Fragen in diesem Investmentprozess, die der Mensch beantworten muss. Deshalb sage ich, dass der Portfoliomanager noch sehr lange gebraucht werden wird. Es ist nicht so, dass die Künstliche Intelligenz sich plötzlich selbst programmiert, sich selbst die Daten raussucht und alles selbstständig macht. Das ist tatsächlich nicht so.
Die Kauf- oder Verkaufsentscheidung wird immer noch vom Fondsmanager getroffen?
Sievers: Genau, wir erhalten die fertige Soll-Allokation, aber am Ende schaut der Portfoliomanager noch einmal darüber und tätigt auch die Käufe und Verkäufe. An ganz vielen Stellen spielt der Mensch eine große Rolle. Übrigens, auch bei ChatGPT ist es so, dass Menschen diese Daten eingeben und auch Menschen darin coden, um ChatGPT zu zeigen, wie man codet. Das ganze Training beruht tatsächlich ganz stark auf dem Menschen. Die KI soll die Investitionsentscheidung treffen. Aber sie braucht natürlich ganz viel Unterstützung. Sie ist ein sehr mächtiges Werkzeug: Trotzdem braucht es die Menschen, die es auch bedienen können.
Glauben Sie, dass KI die Portfoliomanager in Zukunft vollständig ersetzen wird?
Claus: Ich würde sagen, wir beschränken das auf das Thema Anlageentscheidung, weil man dazu immer noch einen Menschen braucht, um die Ergebnisse der KI zu überprüfen. Ich glaube nicht, dass aktive, im klassischen Fondsmanagement gemanagte Fonds aussterben werden. Sicherlich werden KI-basierte Ansätze in Zukunft eine größere Rolle spielen, weil es ein Thema ist, das alle beschäftigt. Die KI-Integration in Anlageprozesse wird auf jeden Fall deutlich zunehmen, weil man damit einfach eine sehr große Anzahl von Daten sehr effizient auswerten kann. Ich denke aber, es wird auch weiterhin Teams geben, die dann auch qualitative Analysen vornehmen, daraus ihre eigenen Schlüsse ziehen und quasi dann auch als klassischer Fondsmanager agieren. Man hat es auch in der Vergangenheit gesehen, reine Quant-Ansätze haben koexistiert, haben sich aber in der Breite auch nicht durchgesetzt, sondern waren und sind nach wie vor ein Teil des aktiven Investierens. KI ist jetzt die nächste vielversprechende Stufe. Aber nicht jeder KI-Prozess ist erfolgsversprechend, man wird sehen, welche sich durchsetzen werden und welche nicht. Die menschliche Intelligenz ist nach wie vor ein entscheidender Faktor, wie man am Beispiel Wirecard gesehen hat, wo die Zahlen gefälscht waren. Es gab tatsächlich Fondsmanager, die die Aktie nicht gekauft haben, weil sie ein schlechtes Bauchgefühl hatten und gedacht haben, da stimmt irgendwas nicht, ohne es quantifizieren zu können. Beides wird weiterhin eine Berechtigung haben, und ich bin wirklich gespannt, wie das Rennen Mensch versus Maschine auf dem nächsten Level weitergehen wird.
Sievers: Es wird ein Teilbereich werden, der in Zukunft stark wachsen wird. Dann wird sich die Spreu vom Weizen trennen. Im Moment gibt es ganz viele Modelle und Ansätze – ich will nicht von KI-Greenwashing reden. Aber es gibt viele Anbieter, die auf ihr Produkt KI draufschreiben, aber wo gar keine drin ist. Die werden vermutlich genauso schnell wieder verschwinden, wie sie entstanden sind. Es wird noch etwas Zeit brauchen, bis das Thema sich am Markt vollständig etabliert hat und von Investoren adaptiert ist.
Im Fall Wirecard war auch der Einfluss von Social Media nicht unerheblich bei der Beeinflussung der Märkte. Inwieweit bekommt die KI das verstoffwechselt?
Sievers: Sprachmodelle oder NLP-Modelle sind in der Lage, diese Dinge einzufangen, zu bewerten und daraus wieder quantifizierbare Daten zu machen. Das heißt, Sie füttern eigentlich KI mit KI, mal ganz bildlich gesprochen. Das sorgt auch dafür, dass, wenn Sie KI-Modelle nutzen, die heutzutage ja nicht mehr zehn Jahre Historie bräuchten wie ein klassischer Ansatz, um das zu analysieren. Sie können auch mit kurzfristigeren Zeitintervallen agieren, was es sehr spannend macht. Aber wie sich diese Daten auswirken, positiv oder negativ, das ist auch sehr unterschiedlich. Es gibt da nicht die eine Regel die sagt: Ja, diese Daten sind immer richtig. Ganz im Gegenteil, manchmal sind es tatsächlich auch Kontraindikatoren.
Endler: Unsere Erfahrung mit Social-Media-Daten war auch durchwachsen. Wir haben einen Fonds, der im nordamerikanischen Raum investiert und den wir ebenfalls mit Künstlicher Intelligenz managen. Am Anfang wurden wir hier von einer kanadischen Firma unterstützt, die sich mit Social Media beschäftigt hat. Sie haben nur Social-Media-Daten ausgewertet, also Twitter, StockTwits, etc. Sie haben es aber nicht geschafft, den Einfluss von Social Media für jede einzelne Aktie herauszufiltern. Deshalb haben wir das Thema vor knapp zwei Jahren mit einem eher fundamentalen Ansatz wieder zu uns ins Haus zurückgeholt. Wir würden auch in Zukunft eher die Finger davon lassen.
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