Brüssel ist die sauberste Stadt der Welt. Dort wäscht eine Hand die andere. Es wird so gekungelt, dass der „Kölsche Klüngel“ im Vergleich ein Waisenkind ist. So muss Berlin für die Besetzung des höchsten EU-Amts mit einer Deutschen einen hohen (Stabilitäts-)Preis zahlen. Als Gegenleistung wird die Französin Christine Lagarde Nachfolgerin von Mario Draghi im Amt des EZB-Präsidenten. Die Halver-Kolumne.
Wir erinnern uns: Als Chefin des Internationalen Währungsfonds stand Lagarde für die großzügige Streichung der griechischen Schulden. Damals konnte nur Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble – der letzte Stabilitäts-Mohikaner Europas – das Schlimmste verhindern.
Euroland = Minuszinsland
Tatsächlich kommt mit der EZB-Präsidentin Madame Lagarde einiges auf uns zu. Denn beim IWF wurden geldpolitisch revolutionäre Ideen geboren, denen sie nie widersprochen hat.
Da schon 10 Jahre beispiellose Zinssenkungen und Gelddruckerei die (offizielle) Inflation entgegen der gängigen Theorie nicht haben ansteigen lassen, hat man beim Währungsfonds auch große Angst, dass die Weltwirtschaft in die Rezession geraten könnte.
Im Extremfall würden sich Arbeitslosigkeit, Firmenpleiten und Börsencrashs gegenseitig weiter hochschaukeln und zu einer irreparablen Depression führen. Dann wäre der Zins- und Tilgungsdienst auf die weltweit mittlerweile ca. 250 Billionen US-Dollar Schulden nicht mehr zu leisten.
Geklotzt statt gekleckert
Und dabei brauchen Länder wie Italien Neuschulden wie Drogenabhängige den nächsten Schuss, damit die soziale Lage nicht kippt.
Finanzhistorisch sind die Zinsen in konjunkturellen Notsituationen zwischen drei bis sechs Prozent gesenkt worden. Insofern müssten die aktuell bereits sehr tiefen Zinsen und Renditen noch massiver in den negativen Bereich gedrückt werden.
Es soll nicht gekleckert, sondern geklotzt werden. Tatsächlich fordert der IWF Negativzinsen in Höhe von bis zu sechs Prozent als geldpolitischen Normalzustand.
Die banale Logik des IWF dabei: Wird Zinssparen derart bestraft, werden Bürger und Unternehmen ihr Geld ausgeben und investieren. Und wird Kreditaufnahme belohnt, werden sich Staaten hemmungslos verschulden.
Mario Draghi macht für Christine Lagarde den Weg frei
Damit Madame Lagarde nicht schon zu Beginn ihrer Amtszeit stabilitätspolitisch verbrannt ist, wird Mario Draghi ihr die Drecksarbeit abnehmen. Mit der Feststellung einer wirtschaftlichen Eintrübung bereitet er den Weg für die Wiederauflage von Anleihekäufen und erneuten Zinssenkungen.
Als stabilitätspolitischer Weichspüler gilt auch Philip Lane als neuer Chefvolkswirt der EZB. Bisher ist der für Zinspolitik zuständige EZB-Rat den Konjunktureinschätzungen und konkreten geldpolitischen Empfehlungen des jeweiligen Chefökonomen immer gerne gefolgt.
Warum sollte sich an dieser Praxis zukünftig etwas ändern, wenn sich Madame Lagarde schon beim IWF immer gerne auf ihre Experten verlassen hat? Und da sie über keine Erfahrung als Geldpolitikerin verfügt, ist sie ohnehin auf fremde Hilfe angewiesen.
Seite 2: Unter Lagarde werden Finanz- und Geldpolitik nicht mehr getrennt, sondern zu Blutsbrüdern