„Aus unserer Sicht ist Nachhaltigkeit alternativlos“

Foto: Thomas Bernhardt
Volker Bohn, Sie Stuttgarter

Für die Stuttgarter Lebensversicherung ist Nachhaltigkeit zentraler Bestandteil des Geschäftsbetriebs sowie der Produktgestaltung. Cash. sprach über die Chancen und Herausforderungen des Themas für Versicherer und Vertriebe mit Volker Bohn, Nachhaltigkeits-Beauftragter der Stuttgarter.

Anfänglich hat sich die Versicherungsbranche beim Thema Nachhaltigkeit schwer getan. Mittlerweile ist das Thema aber auch hier in Fahrt. Welche Rolle spielt die Versicherungsbranche bei der Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft?

Bohn: Die Versicherungsbranche kann hierzu einen sehr bedeutsamen Beitrag leisten. Zunehmend konsequent werden deshalb nachhaltige Strategien umgesetzt. Dies gilt sowohl bei der Absicherung von Risiken als auch bei der Anlage von Kundengeldern. Die Lebensversicherer sind volkswirtschaftlich gesehen Kapitalsammelbecken, d.h. wir bündeln die Sparbeiträge der Kunden und investieren diese. Entweder im Rahmen der Kapitalanlage des Sicherungsvermögens oder bei kapitalmarktorientierten Produkten durch die Anlage in die vom Kunden ausgewählten Fonds.

Hier setzt auch die neue EU-Taxonomie an, die privatwirtschaftliche Investitionen gezielt in nachhaltige Verwendungszwecke lenken soll. Dieses Prinzip setzen wir bereits seit Jahren mit den Sparbeiträgen unserer GrüneRente um: Wir sichern zu, dass wir in der gleichen Höhe, in der Kunden Kapital bei uns bilden, auch “grüne“ Investments vornehmen.

An welchem Punkt steht die Branche dabei derzeit und was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen?

Bohn: Die Kapitalanlage der Lebensversicherer ist auf Langfristigkeit ausgerichtet, um allen Kunden ein möglichst ausgewogenes Chancen-Risiko-Verhältnis zu bieten und die dauerhafte Erfüllbarkeit der Verträge sicherzustellen. Die Transformation zu mehr Nachhaltigkeit ist hier in vollem Gange – der Weg der gesamten Versicherungsbranche ist allerdings noch weit . Eine der größten Herausforderungen ist die Beschaffung und Verwaltung der vom Regulator eingeforderten Daten zur Nachhaltigkeit der Kapitalanlagen. Langfristig wird damit eine systematische Bewertung der Nachhaltigkeit wirtschaftlicher Aktivitäten möglich. Auf dieser Basis können dann Investitionsentscheidungen unter Berücksichtigung konkreter Nachhaltigkeitsaspekte getroffen werden.

Allerdings ist auch kritisch anzumerken, dass es eine Fülle von zum Teil sehr kleinteiligen Vorgaben gibt, die zudem noch zu unterschiedlichen Zeitpunkten umgesetzt werden müssen. Dies erhöht die Komplexität zusätzlich und erschwert vielen Kunden und Beratern den fachlichen Einstieg. Letztendlich werden wir erst in ein paar Jahren sehen, wie hilfreich die zahlreichen gesetzlichen Vorgaben beim Erreichen der Transformationsziele sind und wie sich das Zusammenspiel von Kunden, Vermittlern und Versicherern dadurch verändern wird. Wir sind aber überzeugt: Nachhaltigkeit wird das neue „Normal“.

Wie definiert Die Stuttgarter das Thema Nachhaltigkeit und wie setzt sie es im Unternehmen und in den Produkten um?

Bohn: Einer unserer Unternehmenswerte ist Verlässlichkeit. In Bezug auf Nachhaltigkeit bedeutet dies, dass wir authentisch nachhaltig und damit glaubwürdig sein möchten. Unser Geschäftsmodell als Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit ist gelebte Nachhaltigkeit. Und das seit 1908. Wenn Sie so wollen, gehört die Nachhaltigkeit zu unserer DNA. Sehr gerne möchte ich das an einem konkreten Beispiel erläutern. Die Vermeidung von Armut ist eines der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung der vereinten Nationen. Unsere Mission als Stuttgarter lautet „Wir schützen Menschen“.

Mit unseren flexiblen und leistungsstarken Produkten bieten wir den Kunden diesen Schutz unmittelbar. Auf einer weiteren Ebene ist es uns dann aber wichtig im Sinne der Nachhaltigkeit Gutes zu bewirken und Negatives zu verringern bzw. zu vermeiden. Genau diese Ziele verfolgen wir in besonderer Weise seit 2013 mit dem Angebot der GrüneRente und seit Juli diesen Jahres mit unserem Konzept „nachhaltig vorsorgen“ in der Biometrie.

Für uns als Unternehmen ist wirtschaftliche Aktivität unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten nicht nur das Abarbeiten einer ToDo-Liste. Es geht hier vielmehr um eine Haltung, die es in Entscheidungsprozesse und in das Handeln zu integrieren gilt. Aktuell erarbeiten wir auf Basis der Ergebnisse einer Nullmessung unseres CO2-Fußabdrucks mögliche Ansätze zur weiteren Reduktion. Darüber hinaus umfasst Nachhaltigkeit aber auch Maßnahmen, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Förderung, Gleichstellung und Diversität unserer Beschäftigten sowie deren angemessene Entlohnung sicherzustellen.

Die GrüneRente ist bereits seit 2013 in verschiedenen Ausprägungen am Markt. Wie hat es sich bis dato entwickelt, wie ist das Echo aus dem Vertrieb? Sie bieten das Produkt in mehreren Schichten an. Wo ist es besonders erfolgreich?

Bohn: Die GrüneRente hat sich seit ihrer Markteinführung zu einem echten Treiber im Neugeschäft entwickelt und erzielte im letzten Jahr einen Anteil von über 26 Prozent. Ein Großteil der GrüneRente wird als fondsgebundene Variante abgeschlossen – unsere Konzepte performance+ und comfort+ kommen im Vertrieb sehr gut an.

Im Ringen um die Gunst der Fachkräfte setzen viele Unternehmen ganz bewusst auf die betriebliche Altersversorgung. Damit leisten sie einen wertvollen sozialen Beitrag. In Kombination mit unserer GrüneRente lassen sich zudem im Bereich der Ökologie positive Akzente setzen. Dies liefert dem Vertrieb hervorragende Argumente in der Beratung.

Seit August ist der Vertrieb verpflichtet, die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden abzufragen. Welches Feedback bekommen Sie dazu aus dem Vertrieb?

Bohn: Die Abfrage der Nachhaltigkeitspräferenzen stellt alle Beteiligten vor nicht unerhebliche Herausforderungen. Der Wunsch nach Informationen und geeigneten Produkten ist deutlich spürbar. Hier wirkt der 2.8. als zusätzlicher Verstärker. Wir erleben einen heterogenen Umgang mit diesen bedeutsamen Veränderungen für den Beratungsprozess. Auch deshalb, weil es Gestaltungsspielräume bei der Ausgestaltung der Abfrage gibt. Dies führt mit Blick auf die aktuell verfügbaren Beratungs-Tools zu Vielfalt. Dies fordert insbesondere ungebundene Vermittlerbetriebe. Es verwundert deshalb sicherlich nicht, dass auch kritisches Feedback zu den regulatorischen Vorgaben gegeben wird. Bemerkenswert ist aber auch, dass sehr positive Erfahrungen aus den Kundengesprächen geschildert werden. Wenn Kunden erkennen, dass sie mit ihren Altersvorsorgebeiträgen auch einen positiven Beitrag zu einer nachhaltigeren Welt leisten können, dann stärkt das häufig die Kundenbindung. Und darauf kommt es schlussendlich für den Vertrieb an.

Grundsätzlich wird immer wieder kolportiert, die Kunden seien in Sachen Nachhaltigkeit deutlich weiter als Makler und Berater. Teilen Sie diese Sicht? Was sind die größten Herausforderungen des Vertriebs bei der Beschäftigung mit dem Thema?

Bohn: Nach unserer Erfahrung gibt es eine Reihe von Maklern und Beratern, die sich seit langer Zeit mit Nachhaltigkeit beschäftigen. Nachhaltigkeit aus Kundensicht ist allerdings sehr individuell. Aktuelle Umfragen zeigen, dass Kunden Beratung wünschen und brauchen, da schlicht und ergreifend Wissen fehlt. Zudem gewinnt Nachhaltigkeit als Kaufkriterium auch bei Finanzdienstleistungen an Bedeutung. Es gilt also zusammen mit dem Kunden sein Verständnis von nachhaltiger Kapitalanlage zu klären und auf dieser Basis eine passende Lösung zu erarbeiten. Die Entscheidung, ob und wie nachhaltig eine Lösung schlussendlich gestaltet wird, trifft dann der Kunde.

Die Herausforderung liegt weniger in der Ansprache des Kunden als vielmehr in der Erklärung der sehr spezifischen Fachbegriffe des Regulators in Kombination mit den derzeit noch nicht verfügbaren Daten. Dies schafft Unsicherheiten auf Seiten des Vertriebs.

In welcher Form unterstützt Die Stuttgarter ihre Vermittler, um sie für das Thema fit zu machen?

Bohn: Die gezielte Qualifizierung und die Unterstützung unserer Geschäftspartner stehen bei uns im Mittelpunkt. Mit zielgerichteten Weiterbildungsangeboten und einer schlüssigen Integration in die technische Beratungsstrecke ermöglichen wir eine erfolgreiche Umsetzung im Beratungsalltag. Zudem haben wir im Herbst mit sehr großem Erfolg eine vierte Reihe unserer Weiterbildung zum zertifizierten Nachhaltigkeits-Berater durchgeführt. Mittlerweile haben sich rund 3.000 Vermittler auf diesem Weg ein fachliches Fundament erarbeitet. Und natürlich stehen unsere regionalen persönlichen Ansprechpartner mit Rat und Tat zur Seite. Wer rasche Unterstützung beim Thema Nachhaltigkeit sucht, dem sei unsere Infoseite grün(er)leben (gruenerleben.stuttgarter.de/) empfohlen. Dort erhalten Interessierte Tipps für die Kundenberatung sowie wertvolle Informationen zu unseren Angeboten.

Welche Produkte oder Projekte in Bezug auf Nachhaltigkeit sind bei der Stuttgarter in der Pipeline? Worauf kann sich der Vertrieb zukünftig freuen?

Bohn: Aktuell bereiten wir die Unterzeichnung der UN-PRI vor. Neben den stetig wachsenden Anforderungen aus der Regulatorik werden wir uns weiterhin intensiv mit unserem Weg zur Klimaneutralität der Kapitalanlagen und des eigenen Geschäftsbetriebs befassen. Letzteres streben wir spätestens im Jahr 2029 an. Um eine möglichst große Wirkung zu erzielen, diskutieren wir zuerst über das Vermeiden, dann über das Verringern und zuletzt über das Kompensieren des CO2-Ausstoßes.
Der Vertrieb kann sich auf die konsequente Weiterentwicklung unseres Unterstützungs- und Produktangebots freuen. Mit der zunehmenden Verfügbarkeit der nachhaltigkeitsbezogenen Daten werden wir die Beratungsstrecke sinnvoll überarbeiten.

Auf Produktebene werden wir in den fondsgebundenen Tarifen weiterhin auf eine leistungsstarke und umfangreiche Auswahl an nachhaltig ausgerichteten Fonds achten. Es gilt aber auch weitere Produkte nachhaltiger zu gestalten. Deshalb haben wir gerade neue Leistungsinhalte in unsere Unfallversicherung aufgenommen. Diese honorieren nachhaltiges Kundenverhalten, sei es z.B. bei der Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs oder bei der Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit.

Interview: Frank O. Milewski, Cash.

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