Ausblick 2024: Entschlossen beraten in stürmischen Zeiten

EU-Kommission
Foto: Picture Alliance
Neue Vorgaben aus Brüssel warfen bereits in den letzten Monaten lange Schatten.

Was bringt das neue Jahr für Vermittler? Herausforderungen gibt es viele, ob neue Regulierung, die Digitalisierung, volatile Märkte oder verunsicherte Kunden. Cash. befragte Verbände, Pools und relevante Player im deutschen Vertriebsmarkt.

Die letzten Jahre waren alles andere als arm an unerwarteten Ereignissen mit negativen Folgen: Die Pandemie, der russische Angriffskrieg in der Ukraine, eine strauchelnde Energiewende nebst explodierender Inflation, dazu extrem volatile Märkte – Vermittler und Berater hatten alle Hände zu tun, ihren Kunden die Auswirkungen auf deren Kapitalanlagen oder die Altersvorsorge zu erklären. Welche Themen werden die Branche in den kommenden zwölf Monaten auf Trab halten?

Ganz oben auf der Agenda stehen die regulatorischen Rahmenbedingungen. Neue Vorgaben aus Berlin und Brüssel für die Vermittlung warfen bereits in diesem Jahr lange Schatten. Auf nationaler Ebene steht 2024 die Reform der privaten Altersvorsorge an. „Es geht darum, ob die sehr zu begrüßenden Vorschläge der Fokusgruppe Altersvorsorge tatsächlich umgesetzt werden. Immerhin besteht die Hoffnung auf die dringend notwendige Riester-Reform“, sagt Norman Wirth. Der AfW-Vorstand hofft dabei, dass bei den Vorschlägen nicht alle guten Ideen auf dem Altar der politischen Kompromisse geopfert werden.

Ein weiteres Thema ist die betriebliche Altersvorsorge, denn sechs Jahre nach Start des Betriebsrentenstärkungsgesetzes (BRSG) ist eine flächendeckende Verbreitung der bAV weiterhin Illusion, das Sozialpartnermodell hat in der Praxis zudem kaum Akzeptanz gefunden. „Beim BRSG sind wir gespannt, ob und wie die kürzlich von Rolf Schmachtenberg, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, angekündigte Überarbeitung durch die Bundesregierung erfolgen wird“, betont Frank Ulbricht, Vorstand der BCA AG. Der Maklerpool plädiert dafür, das Thema bAV mit neuen Vorteilen zu versehen, um eine Verbesserung der Marktdurchdringung zu erreichen.

Auch Martin Steinmeyer, Vorstand der Netfonds AG, erwartet, dass die Branche regulatorische Themen wesentlich stärker als produktbezogene Themen beschäftigen werden. „Dazu zählen die Geldwäscheprävention und neue Geeignetheits- und Nachhaltigkeitspräferenzen. Darüber hinaus werden digitale Anforderungen an die Prozess- und Datensicherheit weiter in den Fokus rücken“, nennt Steinmeyer die zu erfüllenden Regularien, die dazu führen, dass „das Jahr 2024 mit all seinen Herausforderungen sicher nicht langweilig wird“.

Das große europäische Branchenthema ist die Umsetzung der EU-Kleinanlegerstrategie und ein mögliches Provisionsverbot für Makler von Versicherungsanlageprodukten. Laut Votum-Verband gehen die negativen Auswirkungen dieses am Ziel vorbeigehenden Regulierungsansatzes weit über die Frage hinaus, ob ein Versicherungsmakler, sofern er Provisionen entgegennimmt, seine Tätigkeit noch als unabhängig bewerben darf. „Wir müssen achtsam sein, dass es auf europäischer Ebene im Trilog zwischen Kommission, Parlament und Rat nicht zu einem faulen Kompromiss kommt, der den Verbrauchern und der Weiterentwicklung der Branche insgesamt schadet“, unterstreicht Martin Klein, geschäftsführender Vorstand des Votum Verband.

Noch keine neuen Regulierungshürden

Der BVK sieht zumindest im nächsten Jahr noch keine neuen Regulierungshürden wirken. „Sie können aber – siehe EU-Kleinanlegerstrategie – beschlossen werden. Neue Regulierungen würden dann wahrscheinlich erst 2026 in Kraft treten“, sagt Michael H. Heinz, Präsident des BVK. „Was neue Nachhaltigkeitspflichten angeht, so versteht dies die EU als einen fortlaufenden Prozess. Hier könnte also im nächsten Jahr der Kanon der Abfragepflichten erweitert werden“, so Heinz weiter. Der BVK werde die politischen Entscheidungsträger nah begleiten und die eigene Expertise sowie die Sicht der Vermittlerschaft in die Prozesse einbringen.

Denn nach den Europawahlen im Juni 2024 könnte es in der Tat zu Änderungen an der Offenlegungsverordnung kommen und damit an der Art und Weise, wie die Nachhaltigkeitspräferenz der Kunden ermittelt werden. In der Vertriebspraxis funktioniert die Präferenz-Abfrage mehr schlecht als recht. Laut einer aktuellen Erhebung unter den 6.000 Vermittlern von Fondsnet spielen nur in 21,3 Prozent der Beratungen die ESG-Präferenzen eine Rolle, die Mehrheit der Kunden will ihren Beratern über ihre Nachhaltigkeitspräferenzen keine Auskunft geben. „Hier werden wir uns einbringen und aufzeigen, was aktuell in der Beratungspraxis hinderlich ist, um Kunden das Thema Nachhaltigkeit nahezubringen oder ihre vorhandenen Wünsche für eine nachhaltige Kapitalanlage ohne Hindernisse und Frustration umzusetzen“, so Votum-Vorstand Klein.

Was erwartet der Vertrieb von 2024? In der Versicherungswirtschaft kommen die Auswirkungen der Krisen immer mit etwas Zeitverzögerung an, da sich Umsatzeinbrüche erst bei der nächsten Jahresmeldung bei den Policen auswirken. „Bei unserem Geschäftsmodell erleben wir noch keinen Einbruch, da es durch die Inflation und die damit verbundenen steigenden Schadenquoten zu erheblichen Beitragssteigerungen gekommen ist und vermutlich auch weiterkommen wird“, sagt Thomas Billerbeck, Präsident des Bundesverband Deutscher Versicherungsmakler (BDVM). Er sieht jedoch durchaus dunkle Wolken am Horizont, da diese Beitragssteigerungen zunehmend kein Verständnis mehr bei den Mandanten fänden.

Die schwierigen Rahmenbedingungen liefern aber auch gute Beratungsansätze. Laut Sebastian Grabmaier, Vorstandschef der JDC Group AG, wollen derzeit die meisten Menschen ihr Geld zusammenhalten. „Es bleibt daher eine Herausforderung für Berater und Vermittler, ihre Kunden von sinnvollen Absicherungen und rentablen Kapitalanlagen – Stichwort Kaufkrafterhalt – zu überzeugen, statt ihr Geld auf gering verzinsten Bankkonten zu lagern“, so Grabmaier. „Wirtschaftliche Faktoren wie die Auswirkungen der Inflation, die Zinsentwicklung und auch Lohnsteigerungen sehen wir eher als Anlass für viele Menschen, die eigene Zukunft durch eine umfassende Beratung zu sichern“, betont auch Matthias Wald, Leiter Vertrieb bei Swiss Life Deutschland. Wald verweist zudem auf die sinkende Zahl von Finanzberatern in Deutschland und ist zuversichtlich, dass die Nachfrage nach individueller und qualitativ hochwertiger Finanzberatung auch im Jahr 2024 weiterhin hoch sein wird.

„Natürlich spielen auch die Auswirkungen geopolitischer Krisen oder in Bezug auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Haushaltsdefizit eine wichtige Rolle. So sorgen gerade die aktuellen Nachrichten bei den Kunden eher für Verunsicherung als für Euphorie“, nennt BCA-Vorstand Ulbricht einen aktuellen Aspekt. Auch er sieht für Vermittler viel Beratungsarbeit rund um die richtige Altersvorsorge und den sinnvollen Vermögensaufbau zukommen.

Transformation in der Kundenkommunikation

Kein Zweifel, im Finanz- und Versicherungsvertrieb sind der digitale Wandel und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz der Motor für eine entscheidende Transformation. Viele manuelle Aufgaben werden durch maschinelles Lernen automatisiert. „Dadurch werden bei den Maklern viele Ressourcen frei, die sie in die Beratung ihrer Kunden investieren und so gleichzeitig zur Intensivierung der Kundenbindung sowie zur Geschäftsmaximierung nutzen können“, sagt Norbert Porazik. Der Geschäftsführer der Fonds Finanz betont zudem, dass die KI sich auch im After-Sales, so etwa bei Kundenzufriedenheit und Cross-Selling positiv auswirkt. „KI sorgt in Zukunft für ein ganz neues Kundenerlebnis, da der Vermittler viel schneller und individueller auf die Kundenwünsche reagieren und abzudeckende Versorgungslücken identifizieren kann.

Denn auch die Art und Weise, wie Berater mit Kunden kommunizieren, erlebt eine Transformation. „Während die Automatisierung die Akquisition, Kampagnen und die Bestandspflege erleichtert und unterstützt, werden Kundenwünsche basierend auf umfangreichen Datenanalysen besser adressiert werden können“, sagt Harald Wild, COO der OVB Vermögensberatung AG. Bei einer Lücke in der Altersvorsorge werde das System automatisch hierzu Angebote präsentieren, entweder direkt an die Kunden oder an die Vermittler, um Beratung und Angebotserstellung zu vereinfachen.

Laut Sebastian Grabmaier, JDC Group, müssen Berater den Mehrwert ihrer Leistung neu definieren. JDC etwa bietet mit dem Maklerverwaltungsprogramm iCRM und der WebApp allesmeins den Kunden seiner Vertriebspartner einen Rundum-Blick auf sämtliche Fonds- und Versicherungsprodukte, verknüpft mit allen gängigen Vergleichs- und Beratungstools. „Auf dieses ‚financial home‘ – Stichwort Open Finance – setzt dann die persönliche Beratungsleistung unserer Vertriebspartner auf“, so Grabmaier.

Auch Netfonds sieht die europäische Digitalisierung der Finanzindustrie im Rahmen der EU-weiten Open-Finance-Initiative als Leitbild, auf das es sich auszurichten gilt. „Wir setzen bereits künstliche Intelligenz ein und erkennen die daraus resultierenden Möglichkeiten und die Geschwindigkeit der Weiterentwicklung. Es ist absolut notwendig, sich hiermit auseinanderzusetzen und zu erörtern, welche Chancen sich für die eigenen Prozesse ergeben“, so Netfonds-Vorstand Steinmeyer. Der Maklerpool nutzt KI in der Entwicklung, im Marketing, in der Compliance und bei der Datenerkennung in Dokumenten und entwickelt seine Modelle stetig weiter.

Letztlich wird der wirkliche Mehrwert der KI erst durch die Kombination aus der persönlichen Betreuung und den erweiterten technischen Möglichkeiten entfaltet. Denn, das ist Konsens in der Branche: die digitale Transformation hat immer einen sozialen und einen technischen Aspekt, bei dem der Mensch immer noch im Mittelpunkt steht.

Autor Oliver Lepold ist freier Journalist.

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