Das Rennen scheint am Aktienmarkt gelaufen zu sein: Gemessen an der Börsenkapitalisierung ist der US-Elektroautobauer Tesla am Markt ungefähr doppelt so hoch bewertet wie die deutschen Fahrzeughersteller BMW, Daimler und Volkswagen zusammen. Dabei setzt Tesla trotz möglichem Rekordumsatz wohl nur rund 26 Milliarden Euro im laufenden Jahr um. Die drei größten deutschen Anbieter dürften zusammen aber auf mehr als 460 Milliarden Euro kommen. Für Anleger stellt sich da die entscheidende Frage: Sind die Aktien der traditionellen Autobauer an der Börse endgültig abgehängt? Oder besteht die Aussicht, dass ihre Bewertungen wieder Fahrt aufnehmen?
Die kurze Antwort: Es eröffnen sich durchaus Chancen. Denn Europa setzt auf nachhaltige Mobilität und will die Emissionsziele verschärfen. Dazu gehört beispielsweise auch der Ausbau eines Netzes mit Ladestationen. Den heimischen Autobauern spielt dies in die Karten. Sie stehen kurz vor einer Modelloffensive im Segment für Elektroautos. In der Börsenbewertung wird dies bislang noch kaum honoriert.
Klar ist, dass die traditionellen Hersteller den Umbau zu einer ganz auf Elektromobilität ausgerichteten Produktpalette erst noch schaffen müssen. Die großen Automobilkonzerne sind schwerfällige Tanker, die nur langsam ihre Richtung ändern können. Der Umbau zur Elektromobilität kann nur gelingen, wenn er mit deutlichen Kosteneinsparungen und Effizienzsteigerungen seitens der Autohersteller verbunden ist. Die Umsetzung solcher Maßnahmen braucht Zeit. Anleger müssen also viel Geduld mitbringen.
Mehr E-Autos als Tesla
2021 dürfte zum Schlüsseljahr für die Branche werden. Dann kommen so viele neue
Elektroautomodelle wie nie von deutschen Herstellern auf den Markt. Allein Daimler, lange als Nachzügler gesehen, bringt vier reine E-Modelle auf den Markt. Es geht also nicht nur um Plugin-Hybride, wo ein prozentual zweistelliges Wachstum in Europa realistisch erscheint, sondern auch um Komplettversionen. Von der Stückzahl her dürfte Volkswagen Tesla als weltgrößten Hersteller von Elektroautos ablösen.
Mit Blick auf die Profitabilität im E-Auto-Segment ist aber viel Geduld gefragt. Toyota etwa erwartet das Erreichen der Gewinnschwelle erst mit der zweiten Generation E-Autos bis Ende 2021. Erst die dritte Generation dürfte dann laut Aussagen des Managements ab 2025 bis 2026 eine positive Marge liefern. Ähnliches dürfte auch für die deutschen Autobauer gelten.
Das längerfristig größte Risiko für die traditionellen Autoaktien liegt darin, wie die Hersteller den Wechsel zur Elektromobilität schaffen. Der Einstieg in die Massenproduktion entscheidet über den ökonomischen Erfolg. Erst mit hohen Stückzahlen lässt sich Kostendegression und mittelfristig ein profitables Geschäft erreichen. Den Aufbau einer schlagkräftigen und lieferfähigen Massenproduktion für E-Autos sollten die traditionellen Autohersteller eigentlich beherrschen. Sie könnten rasch Nutzen aus Größenvorteilen ziehen – wenn der Absatz entsprechend anzieht.
Um diesen Umbau zu stemmen, sind aber genügend finanzielle und organisatorische Ressourcen unabdingbar. Die deutschen und japanischen Hersteller, die bereits stark im E-Automarkt vertreten sind, haben hier gute Karten. Sie verfügen nun alle über eine Elektromobilitätsstrategie, die auf Plattformen und Größenvorteile ausgerichtet ist. Auch sollten sie genügend bilanzielle Solidität und damit Spielraum für Investitionen in den Auf- und Ausbau von Fachkompetenzen und Innovationen haben. Denn es gibt noch viele Fragezeichen auf dem Weg zum Elektroautokonzern: So ist nicht endgültig ausgemacht, welche Art von Batterie den Massenmarkt erobern kann – oder ob am Ende gar die Brennstoffzelle das Rennen machen wird.
Automarkt trotzt Corona
Rückenwind erhalten die Autoaktien derzeit von steigenden Absatzzahlen in den wichtigsten Märkten USA und China. Aufgrund der Coronakrise im Frühjahr haben viele Hersteller ihre Produktion drastisch reduziert und fahren sie erst schrittweise wieder hoch. Daher gibt es kaum ein Überangebot an neuen Autos. In Europa hat sich nach dem Einbruch im Frühjahr ebenfalls eine Erholung eingestellt, wenn auch weniger dynamisch. Gerade in Deutschland haben zum Beispiel die noch bis Ende 2021 laufenden Kaufprämien für Elektrofahrzeuge zu einem Mini-Boom im lukrativen Plugin-Hybrid-Segment geführt.
Die V-förmige Erholung in China spricht dafür, dass auch aus dem Reich der Mitte anhaltend positive Nachfrageimpulse kommen, insbesondere im margenstärkeren Premium-Geschäft. Was die USA betrifft, dürfte der Wahlsieg Joe Bidens einer weiteren Markterholung nicht im Wege stehen. So ist davon auszugehen, dass durch weitere Fiskalstimuli die Konsumnachfrage gestärkt wird, was indirekt auch den Automarkt unterstützt. Fahrt aufnehmen dürfte unter Biden auch der Ausbau der Elektromobilität, etwa durch mehr Ladestationen.
Attraktive Dividendenbringer
Die Vorzeichen für den Sektor sind im operativen Geschäft damit recht gut – trotz – oder teils gar wegen – der Unsicherheit, die mit der zweiten Coronawelle verbunden ist. Die Sorge vor einer möglichen Ansteckung mit Covid19 führt nämlich auch zu einer höheren Nachfrage nach Individualverkehrslösungen wie etwa Autos. Das gilt insbesondere für Länder, in denen Bahn und Bus verbreitete Verkehrsmittel zum Pendeln sind, wie etwa China, aber auch viele europäische Staaten. Solange es nicht zu breitangelegten Lockdowns kommt, dürfte die Erholung auf dem Automobilmarkt weitergehen. Ermutigend sind in diesem Zusammenhang auch die Nachrichten aus der Corona-Impfstoffentwicklung.
Als Aktienanlage sollten traditionelle Automobilhersteller also nicht abgeschrieben werden. Gleichzeitig bieten sie nämlich attraktive und ziemlich sichere Dividenden, die aus einer Erholung im Kerngeschäft gespeist werden. Finanzielle Sicherheit schaffen darüber hinaus hohe Nettobarmittelpositionen und solide Bilanzen.