Dr. Bierbaum, Frau Pekarek? Wie strategisch sind die betriebliche Altersvorsorge und die betriebliche Krankenversicherung für die ALH Gruppe?
Bierbaum: Wir haben vor einigen Jahren ganz bewusst die strategische Ausrichtung auf die betriebliche Altersversorgung und die betriebliche Krankenversicherung forciert. Auch bei unserem Schaden- und Unfallversicherer, der Alte Leipziger Versicherung AG, haben wir Gewerbekunden im Fokus. Wir sehen großes Wachstumspotenzial und investieren in Produkte, Prozesse und digitale Services. Der Erfolg gibt uns recht.
Pekarek: Die betriebliche Krankenversicherung ist für die Hallesche neben der Vollversicherung und der Ausrichtung zum Gesundheitspartner das zentrale Element in unserer Geschäftsstrategie. Wir wollen mit Innovationen überzeugen und uns damit an die Spitze des Marktes setzen.
Einige Anbieter setzen auf Bausteintarife, andere auf Budgettarife, andere kombinieren. Wie sieht ihr bKV-Konzept aus? Worin unterscheidet sich ihr Ansatz von den anderen Anbietern im Markt?
Pekarek: Die Hallesche hat eigene Bausteintarife (Höchststufensystematik) und die bKV-Budgettarife erfunden. Insofern unterscheiden wir uns von anderen Anbietern, weil wir die längste Erfahrung mit diesen Produktlösungen und der Kalkulation haben. Im Übrigen schließen sich Budget und Bausteine nicht aus; der jeweilige Bedarf des Arbeitgebers entscheidet. Aber auch Vertriebsunterstützung und Serviceprozesse machen den Unterschied zwischen Durchschnitt und Top-Anbieter. Wir haben ein Kompetenzcenter Firmenkunden eingerichtet. Unsere Experten kümmern sich um die Makler- und Firmenanfragen. Wir bieten unsere bKV übrigens auch als White-Label-Produkt für Kooperationspartner an. Außerdem ermöglicht ein Firmenportal die unkomplizierte Vertragsverwaltung. Auch solche Dinge müssen gut funktionieren, wenn man die Kunden überzeugen und langfristige Geschäftsbeziehungen gestalten möchte.
Sie haben Ende April den Budgettarif überarbeitet. Warum? Und was sind die wichtigsten Neuerungen?
Pekarek: Wir rechnen mit dem größten Erfolg, wenn wir uns durch Innovationen, die genau zum Bedarf der Arbeitgeber passen, von unseren Wettbewerbern unterscheiden. Insofern fragen wir uns ständig: Was brauchen unsere Kunden von uns? Neben dem Budgettarif FEELfree, der weiterhin besteht, bieten wir nun auch den FEELfree:up. Es gibt Mitbewerber, die belohnen den Arbeitgeber, wenn die Mitarbeiter leistungsfrei bleiben. Wir gehen genau den anderen Weg: Wer mehr braucht, soll auch mehr bekommen. Damit geben wir gezielt den Mitarbeitern im Folgejahr mehr Budget, bei denen es genutzt wird und letztlich nicht gereicht hat. Wir belohnen somit die Nutzung, denn es geht ja genau darum, die Mitarbeiter dazu zu bewegen, etwas für ihre Gesundheit zu tun. Das ist neben diversen Leistungserweiterungen die wichtigste Neuerung.
Ich würde gerne zur betrieblichen Altersvorsorge wechseln. Wie entwickelt sich ihr bAV-Geschäft?
Bierbaum: Unser bAV-Geschäft ist ein entscheidender Wachstums- treiber für die gesamte ALH Gruppe. Das bAV-Geschäft hat im letzten Geschäftsjahr ein Plus von 34 Prozent im laufenden Beitrag erzielt. Das ist besonders vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie erfreulich: Während es 2020 wegen der unsicheren Lage noch mehr Zurückhaltung in der bAV gab, hat sich diese 2021 aufgelöst. So konnten wir im vergangenen Jahr zahlreiche Neuabschlüsse registrieren. Insgesamt hat das Neugeschäft in unserer Lebensversicherung 2021 ein neues Rekordhoch erreicht. In den letzten 16 Jahren hat sich unser Bestand in der bAV im laufenden Beitrag um 66 Prozent gesteigert. Zu Ende 2021 lag unser bAV-Anteil in der Lebensversicherung bei 33 Prozent und damit weit über dem GDV-Durchschnitt. Wir gehen davon aus, dass dieser Wachstumstrend auch zukünftig anhalten wird.
Die bAV gilt als reformbedürftig. Stichworte wären hier eine Verbesserung der Portabilität, die Staatsfonds-Lösung als Alternative, die Niedrigzinsphase, die Kritik am Versicherungsmantel. Wie dringend ist der Handlungsbedarf aus Ihrer Sicht, Dr. Bierbaum?
Bierbaum: Was die Portabilität angeht, sehen wir lediglich im Bereich der Unterstützungskasse Handlungsbedarf. Eine Übertragung des Kassenvermögens in eine andere U-Kasse ist hier beim Arbeitgeberwechsel steuerlich nicht rentabel. Mit Blick auf die Niedrigzinsphase sehen wir, dass in der bAV schon jetzt ein Umdenken weg von 100-Prozent-Garantien stattfindet. Allerdings würden wir es begrüßen, wenn es von Seiten der Politik einen Anhaltspunkt hinsichtlich der Mindestgarantie in der bAV gäbe. Das würde auch bei niedrigeren Garantien wichtige Rechtssicherheit schaffen. Hinsichtlich des Prinzips Versicherungsmantel ist zu bedenken, dass nur Versicherer eine lebenslange Rente – also den Kern der Altersvorsorge – garantieren können – anders als Kapitalanlagegesellschaften. Gleiches gilt für weitere biometrische Risiken wie Invalidität oder Tod.
Mit der Garantiezinssenkung ist die Direktversicherung mit Beitragszusage mit Mindestleistung, die eine 100-prozentige Beitragsgarantie voraussetzt, vom Markt verschwunden. Wie sehr wirbelt die Garantiezinssenkung den Markt durcheinander? Und wie groß ist die Bereitschaft der Arbeitnehmer sich auf reduzierte Beitragsgarantien in Kombination mit chancenorientierter Anlage an den Kapitalmärkten einzulassen?
Bierbaum: Wir nehmen nicht wahr, dass die Garantiezinssenkung den Markt durcheinanderwirbelt. Das Thema wird von Versicherern und Maklern angenommen, und ein Großteil der Branche hat sich bereits gut darauf eingestellt. Auch bei den Arbeitnehmern sehen wir Bereitschaft, Produkte mit Beitragsgarantien unter 100 Prozent zu wählen. Mittlerweile ist auch wissenschaftlich belegt, dass eine Absenkung der Garantie bei Altersvorsorgeprodukten die Renditechancen deutlich verbessern kann, ohne das Risiko signifikant zu erhöhen. Damit Vermittler von Produkten mit niedrigeren Garantien Haftungsrisiken vermeiden, ist die sorgfältige Dokumentation das A und O.
Das Sozialpartnermodell ist der jüngste „Durchführungsweg“ der bAV. Die Nahles-Rente gilt als das Herzstück des Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG), das ja seit Anfang 2018 in Kraft ist. Doch um das Sozialpartnermodell ist es sehr ruhig geworden. Warum läuft es nicht?
Bierbaum: Arbeitgeber, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften zeigen grundsätzlich Interesse am Sozialpartnermodell. Allerdings wollte die Mehrheit bisher die politischen Weichenstellungen der neuen Koalition abwarten sowie das Ergebnis der aktuellen Diskussionen mit der BaFin. Wir führen kontinuierlich Gespräche zur Umsetzung eines Sozialpartnermodells und haben mit der Initiative Vorsorge dabei einen verlässlichen Partner. Damit Sozialpartnermodelle schneller und einfacher in Betrieb kommen, wären eine klare politische Linie sowie eine Vereinfachung der regulatorischen Rahmenbedingungen wichtig.
In der bAV wird oft reduziert auf die Direktversicherung. Über die anderen Durchführungswege – Pensionsfonds, Pensionskasse, Unterstützungskasse und Direktzusage – wird seltener gesprochen. Wie sind sie dort aufgestellt? Und wie entwickelt sich das Geschäft dort?
Bierbaum: Bei unserem Pensionsfonds haben wir von 2020 auf 2021 ein Umsatzplus von rund zwölf Prozent verzeichnet. Wir sehen hier großes Potenzial. Die Pensionskasse behält weiterhin ihre Daseinsberechtigung: Im vergangenen Geschäftsjahr lag unser Umsatz hier nahezu auf dem Vorjahresniveau. Auch der Durchführungsweg Unterstützungskasse dürfte in der nächsten Zeit an Bedeutung gewinnen. Sie eignet sich besonders für hohe Dotierungen, die beispielsweise Gesellschafter-Geschäftsführer gerne nutzen. Im Herbst 2021 konnte die Alte Leipziger eine Wende einläuten und eine steuerliche Klarstellung für die fondsgebundene Rückdeckung der Leistungen aus U-Kassen erreichen. Das dürfte diesen Durchführungsweg in Zukunft noch attraktiver machen.
Die Berufsunfähigkeitsversicherung als DV bieten sie bereits an. Nun haben Sie gerade erst eine Grundfähigkeitsversicherung für die bAV gelauncht. Was ist das Besondere an der Kombination GF im Rahmen der DV? Braucht es ein derartiges Produkt?
Bierbaum: Die Grundfähigkeitsversicherung im Rahmen der bAV ist eine wichtige Ergänzung zur Berufsunfähigkeitsversicherung. Ihr entscheidendes Merkmal ist, dass sie individuell auf die geforderten privaten und beruflichen Fähigkeiten zugeschnitten werden kann. Mit Hilfe von Zielgruppenkonzepten hat die Alte Leipziger Modelle entwickelt, mit denen die jeweiligen Fähigkeiten passgenau abgesichert werden könnten. Darunter fallen zum Beispiel Handwerker. Gerade für eine solche Zielgruppe kann sich der Grundfähigkeitsschutz gegenüber einer klassischen BU-Versicherung finanziell rentieren.
Herr Kettnaker, hinter den Begriffen bAV und bKV verbergen sich komplexere Produkte und oft auch umfassendere Absicherungsstrategien. Wo liegen für den Vertrieb die Hürden und Herausforderungen bei der Beratung und der Implementierung?
Kettnaker: Der bAV-Markt ist ein sehr gefestigter Markt, der seit 40 Jahren besteht und von Spezialisten betreut wird. Im Vertrieb benötigt man fundiertes Wissen in den fünf Durchführungswegen. Das erfordert professionelle Fertigkeiten eines Versicherers. Die Alte Leipziger hat diese über viele Jahre auf- und ausgebaut. In der bKV sind die Produkte weniger komplex und es handelt sich um einen sehr jungen Markt. Natürlich ist auch dort viel Know-how in verschiedensten unternehmerischen Fragen erforderlich. Aber der bKV-Markt ist weniger entwickelt. Es können neue Akzente gesetzt werden. Neben Produkten sind Services und Prozesse entscheidend. Wir haben zum Beispiel einen digitalen Showroom entwickelt, um im Verkaufsprozess einen höheren Erlebniswert zu schaffen. Wir stecken außerdem viel Arbeit in unsere Firmenkundenportale.
Die bAV ist etwas für Spezialisten. Auch die bKV ist derzeit eher das Geschäft des qualifizierten, spezialisierten Vertriebs. Viele Vermittler scheuen das Segment, auch weil es um arbeits- oder steuerrechtliche Fragen geht, um Datenschutz und Human Ressources-Trends. Wie groß ist die Herausforderung den bKV-Vertrieb in der Breite zu etablieren?
Kettnaker: Wir sehen verschiedene Möglichkeiten, mit der bKV weiter in die Breite zu kommen. Sie ist beispielsweise für kleine und mittelständische Sach-Makler sehr interessant. In der bAV haben sie kaum eine Chance, gegen die großen Platzhirsche anzukommen. In der bKV hingegen bieten sich viele interessante Möglichkeiten für Gewerbe-Makler.
Lag der Fokus bislang eher darauf, vertrieblich getrennt die bAV oder die bKV zu beraten, gibt es bei einigen Anbietern im Markt Tendenzen, beides in einer Einheit zusammenzufassen und einen ganzheitlichen Beratungsansatz zu wählen: Ein Weg, den Sie auch gehen werden?
Kettnaker: Aus unserer Sicht ist es nicht erstrebenswert, aus einem bAV-Berater einen bKV-Berater zu machen. Wir erleben eine Professionalisierung im Markt und eine Weiterentwicklung zu Firmenberatern, welche die Unternehmensbedürfnisse verstehen und lösen. Maklerhäuser können zu Altersvorsorge, Benefits und Krankenversicherung aus dem Feld gewerbliche Sach- und Haftpflichtversicherung Angebote machen. Wir als ALH Gruppe nutzen die Firmenexpertise aus allen Sparten, um dem Firmenvermittler auf Augenhöhe zu begegnen. Dabei lernt die bKV der Hallesche von der bAV der Alte Leipziger, worauf es im Kontakt mit Firmenkunden ankommt. Im Gegenzug gehen wir in der bKV neue, innovative Wege, die als Impuls zur Vermarktung der bAV dienen.
Wenn ein Arbeitgeber überlegt, die bAV oder die bKV im Betrieb zu implementieren. Was raten Sie ihm? Wo liegt der größere Benefit?
Kettnaker: Selbstverständlich beides (lacht).
Die Hallesche hat das Thema Pflege mittlerweile in die bKV integriert. Was sind ihre Erfahrungen mit dem Lösungsansatz?
Pekarek: Wir treffen mit unserer betrieblichen Pflegeversicherung FEELcare den Bedarf des Arbeitgebers. Denn wir sorgen im Gegensatz zu anderen Angeboten nicht ausschließlich für die Pflegebedürftigkeit der Mitarbeiter in ferner Zukunft vor, sondern unterstützen sie, solange sie berufstätig sind. Es geht im Kern um die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Indem wir Mitarbeiter bei der Pflege von Angehörigen individuell unterstützen, werden sie gezielt entlastet und bleiben leistungsfähiger. Deshalb ist nicht nur die Mitarbeiterbindung und -gewinnung ein Argument für den Abschluss der betrieblichen Pflegeversicherung. Vielmehr überzeugt der direkte Mehrwert für den Arbeitgeber in Form von leistungsfähigeren Mitarbeitern. Abgerundet wird unsere Pflegelösung optional durch einen Einmalbeitrag für den Mitarbeiter, sollte er tatsächlich selbst pflegebedürftig werden.
Wäre die betriebliche Pflegeabsicherung nicht eine gute Möglichkeit, die Menschen beim Thema Pflegeabsicherung zu erreichen? Denn über die private Pflegeversicherung funktioniert es ja seit Jahren nicht?
Kettnaker: Die drei Säulen der gesetzlichen, privaten und betrieblichen Vorsorge sollten auch im Pflege-Kontext etabliert werden. Der Staat kann die demografische Entwicklung in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung unmöglich allein abfangen. Es wird nicht ohne deutlich mehr private Vorsorge gehen. Diese funktioniert erfahrungsgemäß besonders gut, wenn sie betrieblich organisiert wird. Es ist aus meiner Sicht ein Fehler, dass den Menschen durch Leistungsausweitungen in der Pflege vermittelt wird, sie könnten sich auf den Staat verlassen. Dafür sind weder ausreichend Beitragszahler noch genügend Steuermittel verfügbar.
Wo müsste der Gesetzgeber beim Thema bKV Ihrer Meinung nach nachschärfen? Und wo beim Thema bAV?
Bierbaum: Im Hinblick auf die bAV ist ein zentrales Bedürfnis der Branche, die Regulierungsanforderungen zu reduzieren. In den letzten Jahren wurden viele neue Vorschriften für die Altersvorsorge beschlossen, die nur einen geringen Nutzen für die Kunden haben, aber die Kosten der Verwaltung spürbar erhöhen. Darüber hinaus hätten wir uns gewünscht, dass die Bundesregierung mit der Rechnungszinssenkung 2022 auch die Bruttobeitragsgarantie der Riester-Rente gesenkt hätte. Das ist in unseren Augen eine vertane Chance.
Pekarek: In der bKV wäre eine eigenständige Befreiung von Lohnsteuer und Sozialversicherung für Arbeitgeber wünschenswert.