Das ist doch ein hoffnungsvolles Zeichen – mehr als 60 Prozent aller Bundesbürger/-innen sehen die kommende Europa-Wahl als so wichtig an, dass sie tatsächlich wählen gehen möchten. Vor fünf Jahren waren das gerade einmal 40 Prozent. Dies ist ein klares Indiz dafür, dass die Mobilisierungsquote bei dieser Wahl wesentlich höher sein wird. Ein Gastbeitrag von Michael Beck, Bankhaus Ellwanger & Geiger.
Immer wieder wird von einer „Schicksalswahl“ für Europa gesprochen, da laut bisherigen Umfragen euro- und europakritische populistische Parteien mit starken Zuwächsen rechnen können. Der unglaubliche „Ibiza-Video-Skandal“, der in Windeseile eine Regierungskrise mit Neuwahlen in Österreich herbeiführte, könnte die Position dieser rechtspopulistischen Akteure schwächen.
Viele sehen sich in der Wahlpflicht
Und dies wahrscheinlich nicht nur, weil weniger Menschen ihre Stimmen aus Protest diesen Parteien geben werden, sondern vor allem deshalb, weil viele enttäuschte und lethargische Stammwähler arrivierter Parteien und Nichtwähler die Zeichen der Zeit erkennen und ihrer staatsbürgerlichen Pflicht, ihre Stimme bei der Europa-Wahl abzugeben, nachkommen werden.
Denn Protest- und Extremwähler sind in der Regel besser motivierbar, an die Wahlurnen zu treten. Je weniger Anhänger der gemäßigten Parteien zur Wahl gehen, desto gestärkter und mit höheren Gewichten gehen die (i. d. R. populistischen) Randparteien aus der Wahl heraus.
Im Umkehrschluss bedeutet dies: Je höher die Wahlbeteiligung sein wird, desto höher wird auch die Wahrscheinlichkeit sein, dass es stabile Mehrheitsverhältnisse im (pro)europäischen Parlament geben wird.
Argwohn auf den Finanzmärkten
Die Finanzmärkte zumindest beäugen den Wahlsonntag mit Argwohn, denn ein Erstarken der rechtspopulistischen Allianz in Europa könnte sowohl den Euro- als auch den EU-Prozess empfindlich beinträchtigen. Hinzu kommen die Kriegstiraden eines in diplomatischer Sicht außer Rand und Band geratenen US-Präsidenten, der weder im Nordkorea-Konflikt mit seinem Freund Kim Jong-un auch nur kleinste Fortschritte erzielten kann noch im Nahen Osten bemerkt, wie er permanent Öl ins Feuer gießt und die Lunte zur (Kriegs-)Explosion immer kürzer brennen lässt.
Da er regelmäßig mindestens einen Tag vor neuen Gesprächen mit einer chinesischen Delegation per Twitter neue Zollankündigungen oder Ausschlussverfügungen chinesischer Technologieunternehmen verkündet, darf man sich nicht wundern, wenn die Gespräche nicht nur stocken, sondern eher auf Eis gelegt zu sein scheinen.
Gegenmaßnahmen aus China
Gegenmaßnahmen der chinesischen Regierung sind die unmittelbare Folge – das Augenmerk richtet sich zum Beispiel auf die Versorgung der Weltwirtschaft mit seltenen Erden, bei denen China einen Marktanteil von über 80 % besitzt. Die Dinge liegen nicht so einfach, wie der US-Präsident sich das denkt. Beim G20-Treffen Ende Juni in Japan dürfte sich eine der letzten Chancen ergeben, zumindest einen Anfangsdeal zwischen den USA und China zu schnüren.
Die Probleme sind inzwischen so komplex, dass der Großteil der Streitpunkte in kleine Teildeals aufgespalten werden dürfte. Da dies sehr lange Zeit in Anspruch nehmen dürfte, ist dies kein gutes Zeichen für die Marktstimmung der nächsten Wochen und Monate.
Zumal die österreichische Staatskrise, der nach wie ungelöste Brexit-Konflikt, der Streit um das italienische Haushaltsdefizit und die Sorge um den Zustand der Weltkonjunktur die Marktteilnehmer über den Sommer beschäftigen. Ein positiver Ausgang der Europa-Wahl mit stabilen Mehrheitsverhältnissen, der den Weg in eine Reform-EU bereiten würde, könnte die Stimmung der Marktteilnehmer zumindest kurzfristig deutlich aufhellen.
Autor Michael Beck ist Leiter Asset Management beim Bankhaus Ellwanger & Geiger.
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