Wie steht es mit dem digitalen Reifegrad des Münchener Vereins? Und was haben Sie von den so genannten „jungen Wilden“, den Insurtechs, lernen können?
Reitzler: Der Münchener Verein verfolgt eine konsequente und zunehmende Prozessdigitalisierung. Evolution steht vor Revolution – deshalb entwickeln wir den digitalen Reifegrad step by step. Als aktives Mitglied des InsurTech Hub Munich verfolgen und begleiten wird die Entwicklung der „jungen Wilden“ dort. Sie liefern uns in gemeinsamen Pilotprojekten und Partnerschaften wichtige Impulse. Wir verstehen uns als erfahrener Partner, keinesfalls als Konkurrent.
Früher waren „boots on the ground“ das entscheidende Kriterium für vertrieblichen Erfolg. Die Digitalisierung sorgt auch hierbei für neue Spielregeln. Wie muss aus ihrer Sicht der Vertrieb der Zukunft gestaltet sein, um langfristig Erfolg zu haben und wie groß ist die Bereitschaft der Vermittler, sich auf neuen digitalen Möglichkeiten einzulassen?
Reitzler: Die Devise lautet „hybrider Vertrieb“ mit einer individuellen Kundenansprache- und betreuung: on- und offline. Je komplexer die Anforderung ist, zum Beispiel in der BU, bei KV-Voll oder der Altersvorsorge, umso wichtiger wird die persönliche Beratung. Genauso agieren auch moderne und erfolgreiche Vertriebspartner. Sie bevorzugen den intelligenten und anlassbezogenen Mix mit digitalen und persönlichen Elementen. In der Pandemie war das der Schlüssel zum Erfolg.
Einfachere Produkte, dazu zählen Krankenzusatzversicherungen, werden oft auch digital verkauft. Für uns nichts Neues, sondern ein Teilaspekt der strategischen Ausrichtung. Trends und Zielgruppenverhalten werden sehr früh kanalisiert, um regelmäßig digitale Top-Produkte anzubieten. Als Innovationsvorreiter beherrschen wir den Sprint, aber auch die Langstrecke, um es sportlich zu sehen.
Es gibt nicht den einen Vermittler, der dies oder das bevorzugt, sondern der intelligente Vermittler „mischt“, wie es für den Anlass passend ist. Er verbindet eine persönliche Beratung mit digitalen Elementen, beispielsweise unseren Onlineabschlussstrecken.
Trotz Investitionen in die Digitalisierung bieten nach einer Studie von 67rockwell nur wenige Versicherer eine vollständig rechtskonforme Antragsstrecke. Ein großer Teil der Versicherer hat offenbar immer noch Probleme die Standards umzusetzen? Wie ist der Münchener Verein hier aufgestellt?
Reitzler: Unsere Abschlussprozesse berücksichtigen selbstverständlich die Vorgaben des Datenschutzes sowie die IT-Sicherheitsanforderungen. Die eSignatur steht nur dort zur Verfügung, wo sie rechtlich erlaubt ist. Sämtliche Anforderungen der Insurance Distribution Directive werden von uns umgesetzt und technisch durch den MV-Kundennavigator unterstützt. Das Programm hilft bei der Vermittlung von Versicherungsanlage-produkten, ein Beratungsprotokoll nach IDD zu erstellen.
Viele Kundenservices sind letztlich auch Dank der Digitalisierung erst möglich geworden. Stichwort E-Health. Wie hat sich die Nachfrage nach digitalen Gesundheitsangeboten in den vergangenen 16 Monaten entwickelt? Und welche Rolle werden digitale Produkte und Services künftig spielen?
Reitzler: Neue Produkte mit digitalen Mehrwertdiensten zu verknüpfen, ist für uns Standard und keine Kür. Deshalb werden Produkte sukzessive mit sinnvollen Services und Apps ergänzt. Aktuell mit der MV ServiceApp, damit Leistungsfälle bequem von zuhause aus vollständig digital abgewickelt werden können. Ein weiterer Pluspunkt ist unsere Kooperation mit dem digitalen Herzzentrum iATROS. Hier helfen wir unseren Patienten mit Vorhofflimmern mit einer App, ihre Risikofaktoren zu senken.
Digitale Gesundheitsanwendungen, also DiGAs, werden derzeit noch verhalten nachgefragt. Doch das wird sich ändern, denn DiGAs werden medizinische Behandlungen ergänzen und den Patienten dabei helfen, ihren Lebensstil zu verändern oder Behandlungsempfehlungen umzusetzen. Auch hier: Wir agieren frühzeitig und regeln als eines der ersten PKV-Unternehmen die Erstattung auch für Bestandskunden in den Versicherungsbedingungen.