Herr Heinz, Sie sind nun seit knapp zwei Jahren Geschäftsführer der Bellevue Asset Management (Deutschland) GmbH. Was hat sich seitdem verändert, was waren für Sie persönlich die Highlights in dieser Zeit?
Heinz: Für mich ist es eine tolle Erfahrung, den Neuanfang in einer Firma mitgestalten zu dürfen. Wir haben die Bellevue Asset Management (Deutschland) GmbH in der heutigen Form im Juli 2022 gegründet. Zu diesem Zeitpunkt bin ich an Bord gekommen, und wir haben alle Aktivitäten der deutschen Tochtergesellschaften der Bellevue-Gruppe unter einem Dach vereint. Im Vertrieb und im Portfoliomanagement wurden neue Leute an Bord geholt. Die Produktpalette wurde gestrafft und wir haben neue Prozesse eingeführt, gerade im Portfoliomanagement. Damit haben wir dann auch Erfolge erzielt. Eines der Highlights: Unser Rentenfonds „Star Capital Dynamic Bond“ hat letztes Jahr einen Preis gewonnen, den €uro Fund Award, Kategorie Rentenfonds international, zweiter Platz. Bei unserem Multi-Asset-Fonds „StarCapital Multi Income“ haben wir beispielsweise im letzten Jahr Prozessveränderungen durchgeführt. Das hat entscheidend dazu beigetragen, dass der Fonds aktuell in der Spitzengruppe seiner Mitbewerber rangiert.
Neben der Geschäftsführung obliegt Ihnen zudem die Leitung des Portfoliomanagements. Wie herausfordernd war diese Tätigkeit in der Post-Corona-Zeit und mit Beginn des Kriegs in der Ukraine und all seinen Folgen?
Heinz: Ich würde das Jahr 2022 in zwei unterschiedliche Halbjahre einteilen. Die ersten sechs Monate waren durch Rückgange an den Renten- und Aktienmärkten aufgrund des extremen Zinsanstiegs gekennzeichnet – eigentlich das schlechteste erste Kapitalmarkthalbjahr seit rund 50 Jahren. Die zweite Jahreshälfte war dann deutlich besser, wenngleich nach wie vor herausfordernd. Mein Starttermin bei Bellevue war der 1. Juli 2022. Insofern waren wir dann schon in einer Phase, in der die Märkte vieles bereits verdaut hatten. Sowohl für das Jahr 2022, aber natürlich auch für vorherige Krisen wie im Jahr 2020 gilt: Man muss diese extremen Risiken überstehen. Das sind genau die Phasen an den Kapitalmärkten, bei denen es drauf ankommt, dass man gut aufgestellt ist und auch die Rückgänge gut meistern kann.
Wie sind Sie aktuell positioniert?
Heinz: Bezogen auf den Anlageschwerpunkt haben wir in Deutschland einen Rentenfonds und einen Multi-Asset-Fonds sowie einen Fonds, der die Anlageklasse Volatilität erschließt. Insofern sind wir global ausgerichtet. In unserem Multi Asset Fonds haben wir in den letzten zwölf Monaten die Aktienquote sehr stark fluktuieren lassen und sind mit einem hohen Aktienanteil in das Jahr gestartet.
Hoch heißt?
Heinz: Hoch heißt in dem Fall bis 32 Prozent – es ist ein defensiver Mischfonds. Bis zum April hatten wir Aktien dann wieder sehr deutlich reduziert. Und jetzt im Mai wurde die Quote gerade wieder erhöht. Wir sind also in dieser Hinsicht sehr agil und aktiv. Im letzten Jahr lag die Aktienquote auch einmal nahe 15 Prozent. Diese Agilität ist ein wesentlicher Vorteil kleiner, aktiver Manager. Seit geraumer Zeit haben wir auch eine vergleichsweise kurze Duration. Unseres Erachtens waren die Zinssenkungshoffnungen des Marktes übertrieben. Die Zinskurve ist immer noch invers; man bekommt auskömmliche Renditen auch am kurzen Ende. Wir sind zudem der Meinung, dass die Inflationsentwicklung deutlich zäher und langlebiger ist, als es viele erwarten. So wurde im vierten Quartal 2023 mit deutlichen Zinssenkungsfantasien gespielt. Die Rendite der zehnjährigen US-Staatsanleihe lag am Jahresende bei 3,8 Prozent. Das war unseres Erachtens übertrieben. Insgesamt bleibt das Chance-Risiko-Verhältnis auch bei den aktuellen Rendite-Ständen aus unserer Sicht bei kurzlaufenden Anleihen gegenüber ihren langlaufenden Pendants superior. Was die Krisen angeht, über die wir eben gesprochen haben: Schlussendlich ist doch immer irgendwo eine Krise. Neu ist allenfalls, dass die Krisen heute multipler sind und dass wir deutlich vielfältigere Krisen haben – insbesondere vor dem Hintergrund des sich verändernden geopolitischen Gefüges.
Bellevue Asset Management ist traditionell stark im Bereich Healthcare. Wo liegen dort derzeit die Herausforderungen?
Heinz: Der Zinsanstieg der letzten zwei bis drei Jahre ist auch am Gesundheitssektor nicht spurlos vorbeigegangen, zumal ein großer Teil der Unternehmen Wachstumswerte sind. Die Zentralbanken dürften nun langsam wieder die Zinsen senken. Zudem ist relativ klar, dass die langfristigen Treiber im Gesundheitsbereich absolut intakt sind. Die Menschen werden immer älter und leben immer ungesünder, das Thema Übergewicht nimmt zu. Es gibt Schätzungen, dass bis 2035 der Anteil der Übergewichtigen von aktuell 40 auf 50 Prozent steigen könnte. Der Anteil der Fettleibigen hat sich seit 1975 weltweit etwa verdreifacht. Daraus resultieren Folgeerkrankungen multipler Art: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Skeletterkrankungen, kardiovaskuläre Themen und vieles mehr. Mit dem Obesity Fonds investieren wir in Unternehmen, die sich speziell diesem Thema widmen. Da gab es zuletzt mit dem Thema „Abnehmspritze“ wichtige Innovationen. Der Fonds investiert auch in Unternehmen, die helfen, gesund zu leben. Denn das hat nicht nur mit Ernährung und Lebensstil zu tun, sondern auch mit Bewegung und mentaler Gesundheit. Insofern kann man mit dem Bellevue Obesity Solutions Fonds spezifisch auf dieses Thema setzen, das natürlich grundsätzlich für unsere gesamte Healthcare-Produktpalette einer der wesentlichen langfristigen Treiber ist.
Anderes Thema. Bereits im letzten Jahr wurde mit dem Zinserhöhungszyklus sowohl das Comeback der Anleihen als auch von Multi Asset gefeiert. Ist jetzt die Zeit für Multi-Asset-Fonds, um die es in den vergangenen Jahren recht still geworden war?
Heinz: Meines Erachtens steht Multi Asset vor einer Renaissance. Anleihen haben lange Zeit keine große Rolle gespielt, sind aber ein bedeutender Anteil eines jeden Multi-Asset-Portfolios und ermöglichen wieder auskömmliche Renditen. Das ist ein wichtiger Aspekt für Multi-Asset-Produkte. Diese haben viel Spielraum in Bezug auf Assetklassen und gerade in Krisenphasen finden oft sehr schnelle Richtungswechsel statt. Zudem kann man bei Multi-Asset gleichzeitig viele Themen besetzen und auch die Quoten in den Anlageklassen sehr aktiv nutzen. Nach vielen Jahren, in denen Multi-Asset-Produkte sicherlich weniger eine Rolle gespielt haben, weil man von den niedrigen Zinsen getrieben im Prinzip nur Aktien brauchte, ist die Welt jetzt wieder deutlich anspruchsvoller geworden. Multi-Asset-Produkte können eine Allroundlösung für viele Anleger bieten, weil Sie eben nicht nur auf eine Anlageklasse wie z. B. Aktien festgelegt sind. Die größte Position unseres Multi-Asset-Fonds ist derzeit Gold, was uns in diesem Jahr durchaus gut tut. Multi Asset-Strategien können eine wichtige Lösung für viele Marktphasen darstellen.
Stichwort KI. Das Thema ist spätestens mit Einführung von ChatGPT in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Welche Rolle spielen diese beiden Themen für Bellevue Asset Management?
Heinz: Wir stehen natürlich noch am Anfang. Aber grundsätzlich kann man KI unter anderem dafür nutzen, um große Datenmengen auszuwerten und Research-Material zu analysieren. Auf dieser Basis können dann schneller und präziser aktuelle Kurstreiber identifiziert werden. Im Anlageprozess kann KI also Hilfestellung bei Entscheidungen bieten. Das gilt aber auch für den Gesundheitssektor allgemein beispielsweise bei der Entwicklung von Medikamenten, der Verbesserung der Behandlungsqualität oder auch der Auswertung der über Jahrzehnte ausgebauten Big Data Pools. Die Entwicklung wird in den nächsten Jahren sehr dynamisch sein.
Letzte Frage: Welche Produkte sind derzeit in Deutschland nachgefragt?
Heinz: Wir registrieren wieder etwas mehr Nachfrage im Bereich Healthcare insgesamt. Hier ist natürlich unser Fonds Bellevue Medtech & Services zu nennen, der seit Jahresanfang deutlich vor seiner Benchmark liegt. Und im Bereich unserer Entrepreneur-Produktfamilie ragt in der Performance unser Bellevue Entrepreneur Europe Small heraus – ein europäischer Nebenwerte-Fonds, der bei den Auswahlkriterien im Schwerpunkt familien- bzw. inhabergeführte Unternehmen bevorzugt. Auch unser Multi-Asset-Produkt ist wie erwähnt gut in der Wertentwicklung und wir nehmen wieder verstärktes Interesse wahr.
Interview: Frank O. Milewski, Cash.