Die Rally aus dem letzten Jahr verliert allmählich an Schwung. Viele Marktteilnehmer erwarten jetzt die Staffelübergabe an die Nebenwerte. Sie auch?
Born: Ja, absolut. Wir haben viel mit dem Mittelstand zu tun, mit vielen kleinen Unternehmen, die wir betreuen und auch an die Börse bringen. Im Assetmanagement bieten wir einerseits pure Micro-Cap-Fonds, aber auch Small-Cap-Fonds, und hier auch mit Schwerpunkt Deutschland, an. Insofern ist es eines unserer Kernsegmente. Deshalb haben wir ein gewisses Bias in Richtung Nebenwerte, haben aber auch einen realistischen Blick auf das, was in dem Segment passiert oder passiert ist und wo Potenzial steckt. Ich glaube, das Potenzial kann ordentlich sein, hängt aber natürlich an gewissen makroökonomischen Gegebenheiten. In der Vergangenheit hatten wir zwei Herausforderungen, die das Segment belastet haben. Die eine war vor allem die Rezession in Europa im Industriebereich und auch Deutschland stand in den letzten ein, zwei Jahren nicht gut da. Zum anderen hat das dazu geführt, dass Europa bei den Investoren weniger beliebt war und es viele Abflüsse aus europäischen Aktienfonds und speziell eben auch aus dem Small-Cap-Segment gab. Das dreht sich, wenn der Zyklus dreht. Das heißt, wenn wir jetzt aus dieser Phase in den nächsten Monaten herauskommen, die Einkaufsmanagerindices vor allem für die Industrie nach oben laufen und damit die Konjunktur auch langsam wieder ins Laufen kommt, dann hat das positive Effekte auf das Segment. Die Zuflüsse kommen wieder nach Europa zurück. Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Gewinnentwicklung, die natürlich entscheidend ist, und da hatten die Small Caps durchaus auch ein Problem, relativ zu vielen Large Caps, dass die absolute Gewinnentwicklung nicht ausgereicht hat. Deswegen hat sich der Markt in den letzten 18 Monaten sehr stark auf viele Large-Cap-Segmente gestürzt, erst in den USA mit den Magnificent 7, dann aber auch in Europa. Auch dort gibt es eine kleine Gruppe an großen Aktien, die ein sehr positives Gewinnmomentum aufweisen, wie zum Beispiel Banken, aber auch große Indexgewichte wie Novo Nordisk. Man sollte die Large Caps nicht links liegen lassen, da gibt es auch immer spannende Entwicklungen und Unternehmen, die sehr gut wachsen. Aber speziell die Nebenwerte haben noch ein schönes Aufholpotenzial.
Blicken wir einmal auf Amerika. Wie bewerten Sie es, dass es in den USA vergleichsweise hohe Zinsen gibt, während fiskalisch die Schleusen weit offenstehen?
Born: Das ist auch der Grund, warum wir glauben, dass die langfristigen Inflationsraten auch in den USA hoch bleiben. Denn durch einerseits Demografie, andererseits die fiskalischen Impulse, die in den USA sehr stark sind, ist das natürlich inflationsfördernd. Das wird bleiben. Die Inflation kommt jetzt gerade zurück. Wir haben noch keine Deglobalisierung, aber zumindest die Globalisierung hat sich verlangsamt. Das führt dazu, dass die Kosten steigen. Auf der anderen Seite wird auch in den USA die Industrie wahrscheinlich aus der schwierigen Lage wieder herauskommen. Auch dort ist der Lagerzyklus ein Problem gewesen. Was in den USA lange Zeit von Vorteil war, war der Konsument – in gewisser Weise gestützt, auch natürlich andererseits unterstützt durch die hohen Sparraten, die Konsumenten während der Covid-Zeit hatten. Das Angesparte ist dann nach Ende der Pandemie besonders stark in den Konsum geflossen. Diese Entwicklung geht jetzt langsam zu Ende. Das heißt, auch der Konsum in den USA wird sich auf eine normale Wachstumsrate zurückentwickeln. Fiskalische Impulse helfen der Industrie, sich besser zu entwickeln. Deswegen wird einerseits der Konsum vermutlich einen kleinen Dämpfer erhalten, auf der anderen Seite der Rest in den USA wahrscheinlich ganz gut laufen.
Nach wie vor wird Schwellenländern eine gute Perspektive zugeschrieben. Wo sehen Sie Potenziale und was ist von China noch zu erwarten?
Born: Die Frage ist, warum performt China eigentlich als Aktienmarkt derzeit ganz gut? Anfang des Jahres war die Stimmung sehr schlecht, sehr viele haben gesagt, dass China nicht mehr investierbar ist. Aber es gibt durchaus Firmen, in die man investieren könnte und die auch attraktiv erscheinen. Die Stimmung dreht sich gerade, ohne dass es bereits realwirtschaftlich oder von den Gewinnentwicklungen her zu erkennen ist. Es ist eher eine Stabilisierung und weniger eine Erholung. Die kommt vielleicht, wenn die Impulse, die die Regierung dort setzt, irgendwann wirken oder sich der Immobilienmarkt stabilisiert. Wenn das alles funktioniert, dann wird China irgendwann auch wieder mehr wachsen als zuvor. Aber das ist aktuell zumindest aus unserer Sicht noch nicht zu sehen. Generell sehen wir langfristig Chancen eher in anderen Märkten, sei es Indonesien, Thailand, Vietnam oder Technologieunternehmen in Südkorea und Taiwan. Unser Emerging-Asia-Fonds ist etwa breit aufgestellt. Indien spielt hier natürlich auch eine Rolle. Wir sehen in den ganzen sich entwickelnden Ländern Asien gutes Chancenpotenzial, nicht nur in China.
Ist Indien überhaupt noch investierbar?
Born: Ja, Indien ist etwas teurer geworden, da waren vielleicht Ende letzten Jahres viele Experten ein bisschen zu positiv. Deswegen wird der indische Markt in Zukunft ein Alpha-Markt sein. Gute Titelselektion sollte sich auszahlen. Trotz knapper Wiederwahl Modis sehen die langfristigen Chancen dort weiterhin positiv aus. Die Wirtschaft dort kann sehr stark wachsen und, entsprechend die Unternehmen, überdurchschnittliche Gewinne erzielen. Es gibt sehr viele gute Unternehmen, in die man investieren kann. Wir bevorzugen Firmen aus den Bereichen Infrastruktur, Banken und Konsum. Insofern bleibt Indien meiner Meinung nach als Markt weiterhin interessant. Kurzfristig war die Stimmung wahrscheinlich zu positiv und die Bewertung zu hoch.
Letztes Jahr wurde aufgrund der Zinserhöhungen von vielen das Jahr 2023 zum Anleihenjahr ausgerufen und am Ende des Jahres, frohlockten genauso viele, dass das Multi-Asset-Segment in diesem Jahr ein Comeback feiern könnte. Teilen Sie diese Euphorie?
Born: Industriemetalle, hier vor allem Kupfer sowie Gold und Silber sind seit Jahresbeginn gut gelaufen. Das sind die Segmente in einem Multi-Asset-Portfolio, die recht gut beigetragen haben, auch bei uns. Diese Assets haben eine höhere Gewichtung in unseren Portfolios, weil sie neben Bonds und Aktien eine sinnvolle Ergänzung für ein Multi-Asset-Portfolio darstellen, und es zudem, wie zum Beispiel bei Kupfer, langfristig strukturell wachsende Nachfrage gibt bei gleichzeitig knappem Angebot. Auch der Bondbereich ist je nach Segment gar nicht so schlecht gelaufen. Im Credit-Bereich war aufgrund der Spread-Einengung die Performance recht passabel, hier sind wir übergewichtet. Hier sind durchaus auch gute Renditen zu erwirtschaften. Zudem sind Nischensegmente wie Katastrophenbonds und Pfandbriefe spannend, die auch positiv beigetragen haben. Wenn sich jetzt auf der Aktienseite die Nebenwerte wieder durch mögliche Marktentwicklungen erholen, sollte sich das sehr positiv für uns auswirken. Dafür gibt es erste Anzeichen.
Kommen wir einmal zum Thema ESG: Welche Rolle spielt das Thema in den Berenberg-Fonds?
Born: ESG ist durchaus komplex und muss von drei Seiten betrachtet werden: Welche Rolle soll es im Investmentprozess spielen, welche Relevanz hat das Thema beim Kunden und wie sind die Vorgaben des Regulators. Das sind die drei Einflussfaktoren auf ESG, wie Sie damit umgehen müssen und wie Sie Ihre Produkte dementsprechend positionieren. Es hat sich in unserer täglichen Arbeit einfach gezeigt, dass Unternehmen, die das Thema Corporate Governance als nicht so relevant ansehen oder auch bestimmte soziale Faktoren als nicht so wichtig erachten, langfristig schlechter performen. Insofern ist es sehr sinnvoll ESG in den Investmentprozessen zu implementieren.
Wie organisieren Sie das Research zu ESG? Machen Sie das inhouse, oder kaufen Sie zu?
Born: Beides. Wir haben ein Inhouse Team von vier Personen, die unser ESG-Office bilden und sich um Strukturen, Prozesse, und Engagement-Themen kümmern. Auf der anderen Seite müssen sich auch die Portfoliomanager selbst mit ESG auseinandersetzen und die Unternehmen entsprechend analysieren. Für jedes Unternehmen haben wir eine ESG-Analyse, die wir auf Basis von MSCI-ESG-Daten selbst erstellen, soweit sie verfügbar sind. Wenn sie nicht verfügbar oder nicht ausreichend sind, wie bei vielen Nebenwerten, kommt noch mehr eigene Analysetätigkeit mit hinzu.
Interview: Frank O. Milewski, Cash.