Die bisher berichteten Quartalszahlen in Europa fallen besser aus als befürchtet. Das ließ die Aktienkurse der europäischen Indizes wie den marktbreiten Stoxx Europe 600-Index oder den DAX 40-Index nach einer Phase der Zurückhaltung zuletzt wieder klettern. Für eine fulminante Jahres-Endrallye dürfte es jedoch nicht reichen.
Europas Unternehmen ziehen gemischte Bilanz
Immer noch machen den Unternehmen die anhaltenden Probleme in den Lieferketten zu schaffen. Das Industriekonglomerat ABB etwa musste seine Umsatzprognose für das Gesamtjahr 2021 senken, da der Konzern im dritten Quartal zwar mit Aufträgen in Höhe von 7,9 Milliarden US-Dollar rund vier Prozent mehr als erwartet an Land ziehen konnte; das Unternehmen kann jedoch nicht liefern, da die Produktion hauptsächlich aufgrund des anhaltenden Mangels an Halbleitern und knapper Logistikkapazitäten stockt. Auch viele andere Aktiengesellschaften ringen mit Verzögerungen im Lieferprozess und mussten deshalb für das dritte Quartal ihre kurzfristigen Umsatz- und teils auch Gewinnprognosen revidieren.
Starke Margen aufgrund knapper Güter
Mittel- und langfristig aber halten viele Konzerne an ihren Ausblicken fest – weil die Auftragslage stark ist und die Nachfrage weiterhin hoch bleibt. ABB etwa geht trotz der Umsatzrevision davon aus, dass das für die Strategieperiode bis 2023 festgelegte Ziel für die EBITA-Marge in der oberen Hälfte der Zielbandbreite von 13 bis 16 Prozent bereits im kommenden Jahr erreicht werden könnte.
Andere Unternehmen konnten in diesem Umfeld ihre Umsatz- und Gewinnprognosen sogar nach oben revidieren. Denn die anhaltend hohe Nachfrage führt zu einer gewissen Preissetzungsmacht, vor allem bei namhaften Unternehmen mit starkem Marktanteil. Im Lebensmittelsektor etwa berichteten Nestlé oder Unilever von steigenden Kosten unter anderem aufgrund höherer Rohstoffpreise; doch die Konzerne können ihre gestiegenen Inputkosten an die Kunden weitergeben.
Erwartung für Zinserhöhungen in Eurozone verfrüht
Entsprechend steigende Preise und damit einhergehende, möglicherweise sogar früher als erwartete, Zinserhöhungen durch die Notenbanken sind der zweite Faktor, der aktuell Unternehmen und Marktteilnehmer umtreibt. Auch, wenn Union Investment nicht mit baldigen Zinserhöhungen in der Eurozone rechnet: Die Ungewissheit dürfte in den kommenden Wochen und Monaten für Schwankungen an Europas Märkten sorgen.
Je nach aktueller Markterwartung favorisieren Anleger dann eher Aktien aus dem Value-Bereich – also Substanzwerte beispielsweise aus der Finanz-, Basiskonsum- oder Energiebranche, deren Bewertung mit Blick auf Kriterien wie Dividendenrendite oder Kurs-Gewinn-Verhältnis das künftige Potenzial des jeweiligen Unternehmens widerspiegeln und vor allem in Phasen steigender Zinsen gefragt sind – oder Wachstumstitel.
Europäische Berichtssaison liefert robustes Bild
Aller inflatorischen Unsicherheiten zum Trotz zeichnet sich in der aktuellen Berichtssaison der europäischen Unternehmen ein insgesamt robustes Bild ab – ganz ähnlich wie in den USA, wo die „Earnings Season“ bereits weiter fortgeschritten ist: Auch wenn sich die Umsatz- und Gewinndynamik aufgrund von Lieferengpässen und steigenden Inflationserwartungen merklich abschwächt, dürfte immer noch rund die Hälfte der Konzerne auf der Gewinnseite die Analystenschätzungen übertreffen. Für das dritte Quartal erwarten die Analysten bei den europäischen Firmen im Vergleich zum Vorjahr ein Gewinnanstieg von rund 30 Prozent. Dieser dürfte jedoch leicht unter den Zahlen des sehr starken zweiten Quartals liegen. Entgegen der Regel geht der Konsens zudem davon aus, dass auch die Gewinne für das vierte Quartal nochmals etwas höher liegen dürften.
Jahresendrallye – ja oder nein?
Angesichts der robusten Unternehmenszahlen für das dritte Quartal und des immer noch soliden Wirtschaftswachstums in Deutschland und Europa bleibt das Umfeld für Risikoanlagen wie Aktien positiv, auch wenn die Europäische Zentralbank (EZB) und die amerikanische Notenbank (Fed) im kommenden Jahr beginnen werden, ihre massive geldpolitische Unterstützung langsam zurückzufahren.
Wir gehen von weiteren leichten Kurszuwächsen bis zum Jahresende aus – aber für eine fulminante Jahresendrallye im DAX oder anderen europäischen Indizes dürfte es nicht mehr reichen. Zwar könnte die Auflösung der Lieferkettenproblematik der Startschuss für eine starke Phase, beispielsweise bei den zyklischen deutschen Unternehmen sein; insbesondere, weil die Bewertungen der Aktientitel teils deutlich nachgegeben haben.
Das dürfte aber erst in den kommenden drei bis sechs Monaten zum Tragen kommen, wie auch die aktuellen Margenschätzungen der Unternehmen nahelegen, die im Schnitt mit einer Entspannung der Lieferkettenproblematik ab dem zweiten Quartal 2022 rechnen. Angesichts dieser Aussichten könnte 2022 möglicherweise ein richtig gutes Aktienjahr werden.