Die Branche hat die Zahl der Berufsgruppen stark ausgeweitet. Aus Sicht von Kritikern hat dies einen fatalen Effekt: Immer günstigere Beiträge für vermeintlich risikoarme Berufe stehen immer teurere Beiträge für vermeintlich risikoreiche Berufe gegenüber. Wie bewerten Sie das?
Jürgen Riemer, Vorstand, Maklermanagement.ag: Aus meiner Sicht ist die Ausweitung der Berufsgruppen keine Lösung, auch schon deswegen nicht, weil die Gruppen und damit die Kollektive viel zu klein sind. Dadurch wird es schwieriger, repräsentative Erfahrungswerte zu gewinnen. Es handelt sich bei der Ausweitung der Berufsgruppen um eine Krücke, um an bestimmte Berufsgruppen heranzukommen, aber es löst unser Problem nicht.
Hansemann: Ich glaube, mit der Entwicklung bei den Berufsgruppen sind wir alle unglücklich. Vor dem Jahr 2000 waren die Prämien für alle Berufsgruppen identisch, mal abgesehen von individuellen Risikozuschlägen. Berufe mit starken körperlichen Tätigkeiten waren dadurch bezahlbar. Wir selbst haben vier Berufsgruppen, unter denen sich sogenannte Plusgruppen befinden. Das mussten wir machen, weil sonst Antiselektionseffekte aufgetreten wären. Wir haben als letzte der großen Versicherer die Berufsgruppen eingeführt und sind kein Befürworter einer weiteren Aufsplittung der Kollektive, sondern würden uns lieber eine Rückbesinnung wünschen.
Wie hoch schätzen Sie die Chancen auf eine Rückbesinnung ein?
Hansemann: Als einzelner Wettbewerber kann man solch einen Trend nicht umkehren. Wenn ein einzelnes Unternehmen jetzt die Berufsgruppen reduziert, wäre es bei den Berufen mit niedrigerem BU-Risiko deutlich zu teuer im Vergleich zum Wettbewerb und man würde hier Marktanteile verlieren. Damit wird man zusätzlich aus dieser im Durchschnitt sehr finanzkräftigen Zielgruppe für weitere Versicherungsabschlüsse herausgedrängt. Diesen Geschäftsrückgang wird man nicht durch zusätzliche Abschlüsse in den risikoreicheren Berufsgruppen ausgleichen können.
Da sich eine BU für risikoreichere Berufe massiv verteuert hat, beklagen einige Makler ein Gerechtigkeitsdefizit. Wie gehen Sie damit um?
Metzinger: Erlauben Sie mir hier einen Vergleich zum Automobil: Gerechtigkeit bedeutet doch Mobilität für jeden, und nicht, dass jeder eine Limousine in der Luxusausstattung fahren muss. Sprich: Gerechtigkeit muss nicht notwendigerweise innerhalb der Produktgruppe BU gewährleistet sein. Die BU ist gestartet als gerechte Abdeckung für jeden. Sie ist aber dann aufgrund des Bedingungswettbewerbs so weit ausdifferenziert worden, dass sie irgendwann zum „Luxusauto“ avancierte. Es gibt keine Gerechtigkeitslücke mehr, wenn man annimmt, dass das Luxusauto vielleicht für viele Kunden überdimensioniert wäre und ein solider Mittelklassewagen zu günstigem Preis für viele Kunden völlig ausreicht.
Die Teilnehmer am Roundtable:
Jürgen Hansemann, Vorstand, Nürnberger Versicherung
Sacha Metzinger, Head of Protection, Zurich Versicherung
Jürgen Riemer, Vorstand, Maklermanagement.ag
Michael Rosch, Leiter Produktmanagement Leben, HDI Versicherung
Interview: Lorenz Klein
Fotos: Stefan Malzkorn / Shutterstock