Berufsunfähig? Wenn ein Schornsteinfeger Höhenangst bekommt

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Björn Thorben M. Jöhnke

Das Landgericht Leipzig hatte sich mit der Frage zu befassen, ob dem Versicherungsnehmer, der als Schornsteinfeger tätig war, auch dann ein Leistungsanspruch gegen den Versicherer zusteht, wenn er keine hinreichenden Tatsachen dazu vorgetragen hat, bis wann die behauptete Höhenangst seine Leistungsfähigkeit noch nicht beeinträchtigt hat. Gastbeitrag von Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke, Jöhnke & Reichow

Bei dem Versicherungsnehmer wurden mit amtsärztlichem Gutachten unter anderem Akrophobie (Höhenangst), Schwindel und eine Minderung des Leistungsvermögens im bisherigen Beruf als Schornsteinfeger im Umfang von 100 Prozent festgestellt. Aufgrund der eingetretenen Höhenangst sei der Kläger seit November 2016 berufsunfähig, weil jedenfalls von da an festgestanden habe, dass er seine berufliche Tätigkeit wie in gesunden Tagen nicht mehr habe aufnehmen können. Dem Kläger sei es auf Dauer unmöglich, als Schornsteinfegermeister tätig zu sein, weil er jegliche Arbeiten in Höhe nicht mehr ausführen könne. Auch wenn seine bisherigen Dachtätigkeiten addiert nicht 50 Prozent der Gesamttätigkeit erreichten, sei zu berücksichtigen, dass die Arbeiten am Boden nicht ohne die Tätigkeiten auf dem Dach beauftragt würden.

Im März 2017 stellte der Kläger einen Antrag auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit bei der Beklagten. Im August 2017 wies der Versicherer seine Einstandspflicht hinsichtlich beider Berufsunfähigkeitsversicherungen zurück. Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Klage bereits unschlüssig sei, weil der Kläger nicht vollständig zu seinen beruflichen Tätigkeiten und sonstigen Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit vorgetragen habe.

Überdies liege keine Berufsunfähigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen vor. Auch genüge der Kläger seiner Darlegungslast zu einer etwaigen Umorganisation nicht. Er habe insbesondere darzulegen und zu beweisen, wie die Betriebsstruktur zu welchen Zeiten war und wer auf welche Art und Weise gearbeitet habe. Weshalb eine Umorganisation wirtschaftlich nicht zumutbar sein sollte, lege der Kläger nicht zureichend dar. Daneben fehle es auch an ausreichender Darlegung dazu, wie sich die vom Kläger behaupteten Beschwerden konkret auf seine beruflichen (Teil-)Tätigkeiten ausgewirkt hätten. Es erschließe sich insbesondere nicht, dass durchgängig Höhenangst oder Schwindel vorgelegen hätten und dass deshalb gewissermaßen die früheren Arbeiten in ihrer Gesamtheit nicht mehr ausführbar gewesen seien. Gegen die Leistungsablehnung richtet sich nunmehr die Klage des Versicherungsnehmers.

Die Klage hatte in der Sache keinen Erfolg (Urteil vom 18. Januar 2021 – 3 O 1774/19). Dem Kläger stehen keine Ansprüche gegen die Beklagte auf Zahlung von (rückständigen und künftigen) Berufsunfähigkeitsrenten und Beitragsfreistellung zu, da die Voraussetzungen der vereinbarten Versicherungsbedingungen nicht hinreichend substantiiert dargelegt wurden.

Letzte konkrete Berufsausübung maßgebend

Das LG führte aus, dass Berufsunfähigkeit nach den Versicherungsbedingungen vorliege, wenn bei Stellung des Antrags auf Versicherungsleistung abzusehen ist, dass der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung, Gebrechen oder Schwäche der geistigen oder körperlichen Kräfte, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mehr als sechs Monate außerstande sein werde, seinen zuletzt ausgeübten Beruf auszuüben oder der Versicherte schon sechs Monate ununterbrochen infolge von Krankheit, Körperverletzung, Gebrechen oder Schwäche der geistigen oder körperlichen Kräfte, die ärztlich nachzuweisen sind, außerstande gewesen ist, seinen zuletzt ausgeübten Beruf auszuüben. Festgestellt hat das Gericht, dass der Vortrag des Klägers schon insoweit nicht hinreichend schlüssig sei, als dass unklar bleibe, wann konkret sich seine berufliche Tätigkeit durch die behauptete Gesundheitsbeeinträchtigung geändert hat. Dies sei aber als Vergleichsmaßstab in zeitlicher Hinsicht zwingend erforderlich.

Bei der Feststellung, ob bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit vorliegt, sei grundsätzlich die letzte konkrete Berufsausübung des Versicherten maßgebend, so wie sie in gesunden Tagen ausgestaltet war, dass heißt solange seine Leistungsfähigkeit noch nicht beeinträchtigt war. Da ein Versicherungsfall bedingungsgemäß erst mit dem Erreichen eines bestimmten Grades von Berufsunfähigkeit eintrete, sei die Heranziehung eines Vergleichszustandes für die Ermittlung des maßgeblichen Grades unerlässlich, so das Landgericht. Dieser Vergleichszustand könne grundsätzlich nur einheitlich gefunden werden und nicht davon abhängen, ob bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit sich langsam fortschreitend entwickelt habe oder zeitgleich mit einem plötzlichen Ereignis eingetreten sei. Maßgebend sei demnach grundsätzlich die letzte konkrete Berufsausübung, so wie sie in noch gesunden Tagen ausgestaltet war, dass heißt solange die Leistungsfähigkeit des Versicherten noch nicht beeinträchtigt war. Daher sei entscheidend, wie die Erwerbstätigkeit des Versicherungsnehmers konkret ausgestaltet war, als er unfähig wurde, sie so fortzusetzen, wie er sie in gesunden Tagen ausgeübt hat.

Hierzu habe der Kläger nur unzureichend vorgetragen. So gebe er zwar an, dass es sich bei der entwickelnden Höhenangst um einen schleichenden Prozess handelte und ein bestimmter Zeitpunkt des Berufsunfähigkeitseintritts schwer feststellbar sei. Nach insoweit wechselndem Vortrag habe sich der Versicherte in der mündlichen Verhandlung für den Beginn der Berufsunfähigkeit als solches auf November 2016 festgelegt. Damit sei jedoch noch nichts dazu ausgesagt, welcher Zeitpunkt für den Vergleichszustand seiner Berufsausübung in gesunden Tagen maßgeblich ist. Der Versicherungsnehmer habe es im Einzelnen gänzlich unterlassen vorzutragen, wie sich der „schleichende Prozess“ vollzogen hat und ab wann konkret sich Auswirkungen auf seine Berufsausübung zeigten.

Trage der Versicherte schon keine hinreichenden Tatsachen dazu vor, bis wann die behauptete Höhenangst „die Leistungsfähigkeit des Versicherten noch nicht beeinträchtigt hat“ und fehle damit der relevante Vergleichszeitpunkt zur Bemessung der Berufsunfähigkeit, könne auch kein Tätigkeitsbild, was zu diesem Zeitpunkt ausgeübt wurde, festgestellt werden, das als Vergleichszustand heranzuziehen wäre, so das LG Leipzig. Selbst wenn man die vom Kläger dargelegte Tätigkeitsbeschreibung hinsichtlich des Beginns des Jahres 2015 als maßgeblichen Vergleichszustand in gesunden Tagen für die Bemessung der Berufsunfähigkeit heranziehen würde, habe er nach Auffassung des LG gleichwohl nicht hinreichend zu seinem konkreten beruflichen Tätigkeitsbild vorgetragen.

Entscheidung im Ergebnis überzeugend

Das LG Leipzig führt weiter aus, dass es für die Beurteilung, ob der Versicherte bedingungsgemäß berufsunfähig geworden ist, darauf ankomme, wie sich seine gesundheitlichen Beeinträchtigungen in seiner konkreten Berufsausübung auswirken. Daher müsse bekannt sein, wie das Arbeitsfeld des Versicherten tatsächlich beschaffen ist und welche Anforderungen es an ihn stellt. Insoweit sei es Sache desjenigen, der den Eintritt von Berufsunfähigkeit geltend machen will, hierzu substantiiert vorzutragen und Beweis für sein Vorbringen anzutreten. Als Sachvortrag genüge dazu nicht die Angabe des Berufstyps und der Arbeitszeit, vielmehr müsse eine ganz konkrete Arbeitsbeschreibung verlangt werden, mit der die anfallenden Tätigkeiten ihrer Art, ihres Umfangs wie ihrer Häufigkeit nach für einen Außenstehenden nachvollziehbar werden.

Darüber hinaus ergebe sich aus dem Vortrag des Klägers nicht, dass Berufsunfähigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen beider Versicherungen vorgelegen hat. Nach dem Vortrag des Klägers führe die von ihm behauptete Höhenangst letztlich einzig dazu, dass er Tätigkeiten auf dem Dach nicht mehr ausführen könne. Von sonstigen relevanten, konkret dargelegten Tätigkeiten in Höhe, die nicht auch Dacharbeiten wären, trage er jedenfalls nichts Konkretes vor. Demnach würde es nach dem üblichen Verständnis für das Vorliegen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit von 50 Prozent eines Vortrags des Versicherten bedürfen, der eine zuletzt in gesunden Tagen ausgeübten Tätigkeit beschreibt, die mindestens 50 Prozent Dacharbeiten umfasste. Vorliegend sei eben dies jedoch unstreitig nicht der Fall.

Die Entscheidung des LG Leipzig kann im Ergebnis überzeugen und hat hohe Relevanz für die Praxis. Sie zeigt, dass die Darlegung einer möglicherweise vorliegenden bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit für die Einstandspflicht des Versicherers und die Erbringung der vertraglich vereinbarten BU-Leistungen eine zentrale Rolle spielt. Demnach muss ein Versicherungsnehmer genaustens darauf achten, welche Angaben er beim Vertragsschluss und auch beim entsprechenden Leistungsantrag macht, um eine eventuelle Leistungsablehnung zu vermeiden.

Autor Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, ist Partner und Gründer der Kanzlei Jöhnke & Reichow.

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