Berufsunfähigkeit: Verletzte Offenbarungspflichten

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Björn Thorben M. Jöhnke

Das Oberlandesgericht Dresden hatte sich mit der Frage zu befassen, wann Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht mehr als offenkundig belanglos anzusehen sind und demnach in einem Versicherungsantrag auch dann anzugeben sind, wenn der Antragsteller sie selbst für geringfügig hält. Gastbeitrag von Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke, Jöhnke & Reichow

Der klagende Versicherungsnehmer ist als Elektromonteur tätig und unterhält bei der beklagten Versicherung eine Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Im Rahmen der Antragstellung zum Abschluss dieser Berufsunfähigkeitszusatzversicherung bei der Beklagten habe der Kläger die Angaben der Hand-, Handgelenks-, Schulterbeschwerden sowie die Schilddrüsenerkrankung und aufgetretene Rückenbeschwerden unterlassen. Daraufhin hat der Versicherer den Versicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung im Rahmen der dem Versicherungsnehmer obliegenden Offenbarungspflichten angefochten.

Nunmehr klagte der Versicherungsnehmer auf Feststellung des Fortbestands des Versicherungsvertrags. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers zum OLG Dresden.

Die Berufung des Klägers biete in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, so das OLG (Urteil vom 26. Oktober 2020 – 4 U 1059/20). Das Gericht führte aus, dass die Beklagte zur Anfechtung des Versicherungsvertrages wegen arglistiger Täuschung gemäß Paragraf 123 Absatz 1 BGB, Paragraf 22 VVG (Versicherungsvertragsgesetz) berechtigt gewesen sei. Der Kläger habe bei Antragstellung offenbarungspflichtige Beschwerden nicht angegeben, nach denen die Beklagte gefragt hatte. Dadurch habe der Versicherungsnehmer den Versicherer vorsätzlich und arglistig getäuscht.

Nach Paragraf 22 VVG in Verbindung mit Paragraf 123 BGB sei dem Versicherer die Möglichkeit der Anfechtung eröffnet, wenn der Versicherungsnehmer seine Offenbarungspflicht arglistig verletzt. Voraussetzung für das Vorliegen von Falschangaben sei, dass der Versicherungsnehmer gefahrerhebliche Umstände kennt, sie dem Versicherer wissentlich verschweigt und dabei billigend in Kauf nimmt, dass der Versicherer sich eine unzutreffende Vorstellung über das Risiko bildet und dadurch in seiner Entscheidung über den Abschluss des Versicherungsvertrages beeinflusst werden kann.

Der künftige Versicherungsnehmer habe die in einem Versicherungsformular gestellten Gesundheitsfragen grundsätzlich erschöpfend zu beantworten. Deshalb dürfe er sich bei seiner Antwort weder auf Krankheiten oder Schäden von erheblichem Gewicht beschränken noch sonst eine wertende Auswahl treffen und vermeintlich weniger gewichtige Gesundheitsbeeinträchtigung verschweigen, so das OLG Dresden. Im Ergebnis stellte der Senat fest, dass auch solche Beeinträchtigungen anzugeben seien, die die noch keinen Krankheitswert haben. Denn die Bewertung der Gesundheitsbeeinträchtigung sei Sache des Versicherers.

Fragen objektiv falsch mit „nein“ beantwortet

Jedoch finde die weit gefasste Offenbarungspflicht ihre Grenze bei Gesundheitsbeeinträchtigungen, die offenkundig belanglos sind oder alsbald vergehen. Demnach sei es unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände zu beurteilen, ob eine bei Antragstellung anzuzeigende Gesundheitsstörung oder eine nicht anzeigepflichtige Befindlichkeitsstörung vorliegt. Abzustellen sei auf das Gesamtbild, das die Erkrankungen über den Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers vermittle, so das Gericht. Gesundheitsbeeinträchtigungen seien demnach jedenfalls dann nicht mehr als offenkundig belanglos anzusehen, wenn sie zu einer längeren Krankschreibung und mehrwöchigen Behandlung mit Physiotherapie führen. Daher seien sie in einem Versicherungsantrag auch dann anzugeben, wenn der Antragsteller sie selbst für geringfügig hält.

Im Streitfall habe der Kläger bei der Beantwortung der Gesundheitsfragen ihm obliegende Offenbarungspflichten verletzt. Zutreffend habe das Landgericht ausgeführt, dass der Versicherungsnehmer die im Antragsformular gestellten Fragen objektiv falsch mit „nein“ beantwortet habe. Die Auffassung des Klägers, dass die dargestellten Beschwerden nicht angabepflichtig gewesen seien, da sie nicht vom Gesundheitsfragenkatalog des Versicherers umfasst gewesen seien und im Übrigen auch keinen Krankheitswert gehabt hätten, sei nicht zutreffend. Allen Gesundheitsfragen im Antragsformular sei der Hinweis vorangestellt, dass „sämtliche Beschwerden und Krankheiten“ angegeben werden sollten und die angeführten Beispiele „nur der Veranschaulichung“ dienen würden.

Ausdrücklich sei nach „Krankheiten, Störungen und Beschwerden“ im Zeitraum von fünf Jahren vor Antragstellung gefragt worden. Schon aus diesem Grund komme es nach Auffassung des OLG nicht darauf an, ob die vom Kläger selbst als „Überlastungsbeschwerden“ bezeichneten Beschwerden, die immerhin so erheblich waren, dass eine 15-tägige Krankschreibung und eine mehrwöchige Behandlung mit Physiotherapie erforderlich wurden, nach Ansicht des Klägers mit den im Antragsformular als Veranschaulichung zitierten Beispielen vergleichbar sind. Es hätte sich ihm demnach aufdrängen müssen, dass zu einer Arbeitsunfähigkeit führende Beschwerden bei der zu versichernden Berufstätigkeit als Elektromonteur für die von der Beklagten vorzunehmende Vertragsprüfung von Bedeutung seien, so das Gericht.

Ferner führte das OLG Dresden aus, dass der Versicherungsnehmer den Versicherer arglistig getäuscht habe. Erforderlich dafür sei nicht nur das objektive Verschweigen offenbarungspflichtiger Umstände, sondern auch ein Täuschungsvorsatz. Dieser setze neben der Kenntnis der Gefahrerheblichkeit des betreffenden Umstandes die Billigung der Erkenntnis voraus, dass der Versicherer, der den Antrag in Kenntnis des wahren Sachverhalts entweder gar nicht oder nur zu anderen Konditionen angenommen hätte, durch das Vorgehen getäuscht und dadurch in der Entscheidung über den Abschluss des Versicherungsvertrages beeinflusst werde.

Nachvollziehbare Entscheidung des OLG

Der Senat betonte, dass es andererseits einen allgemeinen Satz der Lebenserfahrung des Inhalts, dass eine unrichtige Beantwortung von Fragen nach dem Gesundheitszustand und früheren Behandlungen immer oder nur in der Absicht abgegeben werden, auf den Willen des Versicherers Einfluss zu nehmen, nicht gebe. Denn häufig werden unrichtige Angaben über den Gesundheitszustand aus falsch verstandenem Scham, aus Gleichgültigkeit, aus Trägheit oder einfach in der Annahme gemacht, dass die erlittenen Krankheiten bedeutungslos seien.

Umgekehrt gelte aber auch, dass es sich bei der Arglist und dem Vorsatz um eine innere Tatsache handele, so dass der Beweis nur durch Indizien geführt werden können, so der Senat. Hierbei sei auf die konkreten Umstände und insbesondere auf die Art, Schwere und Zweckrichtung der Falschangaben, der Umfang der verschwiegenen Tatsachen, die Dauer der Störungen, die Auswahl der genannten und nicht genannten Befunde sowie die zeitliche Nähe zur Antragstellung abzustellen. Steht es letztlich fest, dass Angaben beim Vertragsabschluss objektiv falsch gewesen sind, treffe den Versicherungsnehmer sodann eine sekundäre Darlegungslast, in deren Rahmen der substantiiert und nachvollziehbar vortragen muss, wie und weshalb es dazu gekommen ist.

Das OLG Dresden kam letztlich zu dem Ergebnis, dass in der Gesamtwürdigung der Umstände daher die Feststellung des Landgerichts nicht zu beanstanden sei. Der Kläger habe sich bei Antragstellung bewusst als gesund dargestellt und daher aufgetretenen Beschwerden heruntergespielt, um so Versicherungsschutz zu erhalten. In diesem Zusammenhang stelle das Landgericht zu Recht darauf ab, dass dieser Eindruck auch durch die Angabe des Klägers belegt werde, dass jährliche Untersuchungen „ohne Befund“ erfolgen würden. Dies reiche für die Annahme einer arglistigen Täuschung aus, auch wenn die Beschwerden in der Wahrnehmung des Klägers nicht schwerwiegend gewesen sind, da er hätte erkennen können und müssen, dass sie für die Entscheidung der Beklagten über die Annahme des Versicherungsantrages erheblich waren und der Versicherer bei wahrheitsgemäßer Angabe den Vertrag nicht oder nicht ohne Ausschlussklausel abgeschlossen hätte.

Die Entscheidung des OLG Dresden ist nachvollziehbar und zeigt deutlich, dass die weit gefasste Offenbarungspflicht eines Versicherungsnehmers stets im Einzelfall zu prüfen ist. Dabei ist das „Gesamtbild“ der Beantragung des Versicherungsschutzes zu prüfen und dabei die getätigten Angaben im Detail zu überprüfen. Auch wird mit der Entscheidung klar, dass es bei Arglist stets auf Indizien kommt, die zu bewerten sind. Eine gesamtheitliche Betrachtung kann also auch mit dem Grundsatz von Treu und Glauben eine entsprechende Fallbewertung zugunsten des Versicherers ergeben. Von daher sollten Gesundheitsfragen stets sensibel behandelt und wahrheitsgemäß ausgefüllt werden.

Autor Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, ist Partner und Gründer der Kanzlei Jöhnke & Reichow.

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