„Entsprechend den Kalkulationsgrundlagen eines Versicherers liegt die statistische Wahrscheinlichkeit, dass ein heute 25-jähriger Baumaschinenführer bis zu seinem 65. Geburtstag berufsunfähig wird, bei 71,8 Prozent – in dieser Zeit erwerbsunfähig zu werden, dagegen bei 31,6 Prozent. Mit dem Abschluss einer Erwerbsunfähigkeitsversicherung wäre die Versorgungslücke also keinesfalls geschlossen“, so Kemnitz.
Und es werde noch schlimmer: „Viele Krankheiten verlaufen schleichend und führen erst nach jahrelanger Berufsunfähigkeit zur Erwerbsunfähigkeit.“
So lange der Versicherte aber ’nur‘ berufsunfähig sei, erhalte er zwar keinerlei Leistungen – müsse aber die Beiträge weiterbezahlen, um nach einem späteren Eintritt der Erwerbsunfähigkeit noch versichert zu sein. Denn die meisten Erwerbsunfähigkeitsversicherungen bieten keine Beitragsbefreiung bei Berufsunfähigkeit.
Hilft löchrige Absicherung nur Versicherern?
Zwar könne man argumentieren, dass eine Absicherung mit löchrigem Versicherungsschutz immer noch besser sei als gar keine, so Kemnitz. Für den Umsatz des Versicherers gelte dies in jedem Fall.
„Aber unser Baumaschinenführer wird – ein ehrliches Beratungsgespräch vorausgesetzt – auch erkennen, dass eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung ihn nur sehr eingeschränkt schützt“, sagt Kemnitz.
Und ob er sich im Falle einer „lediglichen“ Berufsunfähigkeit zutraue, mit seinem angeschlagenen Gesundheitszustand eine andere, noch ausübbare Tätigkeit zu finden, könne nur er allein entscheiden.
Wie sinnvoll ist Berufsgruppendifferenzierung?
„Als Versicherungsmakler habe ich die Interessen meiner Mandanten zu vertreten. Deshalb muss ich auch die Schwachpunkte der verschiedenen Produkte kritisch ansprechen. Denn es würde meinen Mandanten nichts helfen, wenn deren Versicherungslücke nur auf dem Papier geschlossen wird. Wenn sie die Schwachpunkte erst nach jahrelanger Beitragszahlung am eigenen Schicksal erfahren müssen, ist vorrangig mein Ansehen als Vermittler ruiniert.“
Kemnitz rät, dass Versicherungsgesellschaften beispielsweise darüber nachdenken sollten, wie sinnvoll die aktuelle Berufsgruppendifferenzierung und eine Erwerbsunfähigkeitsversicherung ohne BUZ-Beitragsbefreiung ist.
Die breite Zustimmung, die Kemnitz von anderen Vermittlern für seine Kritik erfährt, zeigt, dass er mit seiner Meinung nicht allein dasteht – sie weist auf einen grundsätzlichen Konflikt zwischen Versicherern und Vertrieb hin, mit verhärteten Fronten. Wie sich diese auflösen lassen, ist noch unklar – zumal sie nicht nur bei den BU-Alternativen verlaufen.
Lesen Sie auch Teil eins der Reihe: „Berufsunfähigkeit: Folgenschwere Fehleinschätzungen„. Der Dritte und abschließende Teil erscheint am 17.01. auf Cash.Online.
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