Man tut Christian Rach wahrscheinlich kein Unrecht, wenn man ihn als Idealbild des Best Agers bezeichnet: Der 64-jährige Starkoch, der durch die RTL-Sendung „Rach, der Restauranttester“ deutschlandweit bekannt wurde, hat zwar vor zwei Jahren seit letztes Restaurant „Rach & Ritchy“ in Hamburg geschlossen, doch zur Ruhe gesetzt hat er sich nicht. Im Gegenteil, er wirkt umtriebig wie eh und je: In der Jury der TV-Kochshow „Grill den Henssler“ gibt er den schlagfertigen „Elder Statesman“ und als Co-Moderator des Podcasts „Bosbach & Rach“ diskutiert er wöchentlich mit prominenten Gästen über politische und gesellschaftliche Themen – zum Beispiel die Zukunft des deutschen Rentensystems. Seine eigene Alterssicherung hat Rach – zumindest teilweise – in fremde Hände gegeben, wie er im letzten Jahr im Cash.-Interview erklärte: „Ich bin zwar ein geldpolitisch sehr interessierter Mensch, aber mir fehlt die Zeit und die Kompetenz, mich selbst an den Börsen zu bewegen. Deshalb habe ich mein Engagement in Aktien an renommierte Fachleute übergeben, die das seit Jahren großartig machen. Da fühle ich mich sehr gut aufgehoben, gerade jetzt in der Corona-Zeit.“
Sich gut aufgehoben fühlen – das dürfte für viele Best Ager das entscheidende Kriterium sein, wenn es um ihre Finanzberatung geht, denn die Generation 50plus ist meist vermögend, anspruchsvoll und sehr gut informiert. Und sie wird für Finanzberater immer attraktiver. „Sie wächst stark und gewinnt dadurch an wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Einfluss – denn mittlerweile hat ein Großteil der sogenannten ‚Babyboomer‘-Jahrgänge die Generation 50plus erreicht. Zudem verfügt diese Generation in der Regel über ein überdurchschnittlich hohes Vermögen, weshalb sie speziell für Finanzberaterinnen und Finanzberater großes Potenzial birgt“, erklärt Lorand Soha, Sales Executive der Fondsgesellschaft Vanguard in Deutschland und Österreich.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamts nähert sich die Altersverteilung in Deutschland stetig einer sogenannten Urnenform an: Sie bildet sich bei kontinuierlich sinkenden Geburtenzahlen und gleichzeitig hoher Lebenserwartung, bzw. bei einem hohen Anteil älterer Jahrgänge sowie einem im Vergleich dazu niedrigen Anteil der jüngeren durch niedrige Geburtenzahlen. Diese Entwicklung führt auch dazu, dass das Durchschnittsalter der Bevölkerung steigt: So betrug das Durchschnittsalter für Deutschland im Jahr 2011 noch 43,9 Jahre und stieg bis 2020 sukzessive auf 45,7 Jahre an. Diese Alterung der Bevölkerung stellt den Staat in den kommenden Jahren vor große finanzielle Herausforderungen, denn mit dem beginnenden Übergang der Baby-Boomer in die Rente verschlechtert sich auch das Verhältnis von Beitragszahlern und Rentnern drastisch. Noch stehen laut einer Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung 100 Menschen im erwerbsfähigen Alter etwa 35 Rentnern oder Pensionären gegenüber. Bis 2035 seien es bereits 48 Rentner auf 100 Erwerbstätige, heißt es in der Studie.
Die Gesellschaft altert, die Zielgruppe der Best Ager wächst. Sie muss allerdings ganz anders angesprochen werden als jüngere Anleger: „Die meisten Anleger in dieser Bevölkerungsgruppe befinden sich in der Übergangsphase vom Arbeitsleben in den Ruhestand. Somit umfasst ihr Anlagehorizont bis zur Rente in der Regel nur etwa zehn Jahre oder kürzer“, sagt Soha. Deshalb stehe der Vermögensaufbau bei ihnen deutlich weniger im Vordergrund als bei den jüngeren Anlegergruppen. „Für Finanzberater bedeutet das, dass sie ihre Anlagestrategie graduell weniger riskant ausrichten müssen, um zu verhindern, dass sich unerwartete Verluste an den Kapitalmärkten allzu stark auf den Portfoliowert auswirken. Andernfalls könnten Anleger ihren geplanten Eintritt in den Ruhestand gefährden.“ Auch ansonsten stehen bei Best Agern laut Soha andere Themen im Vordergrund als bei jüngeren Anlegern: „Bei der Ruhestandsplanung sind zum Beispiel Erbschaftsregelungen entscheidend, ebenso wie die möglichst steuereffiziente Übertragung des eigenen Vermögens auf die Kinder oder die Ausbildungsfinanzierung von Kindern bzw. Enkelkindern.“ Anspruchsvolle Themen, die viele Berater und Vermittler überfordern, wenn sie sich nicht entsprechend weiterbilden.
Vergleichender Blick über den Atlantik
Das Institut für Generationenberatung aus Bad Nauheim hat in den vergangenen Jahren viele Vermittler zu sogenannten Generationenberatern weitergebildet. Geschäftsführerin Margit Winkler weiß deshalb, wie eine erfolgreiche Ansprache von Best Agern gelingen kann. „Ältere Kunden besitzen bereits die typischen Versicherungsprodukte und trennen sich eher von Versicherungen, weil diese auslaufen, wie beispielsweise Berufsunfähigkeit, Risikoleben und Unfall. Zudem verbrauchen sie insbesondere als junge Rentner auch Teile des Vermögens für Konsum“, sagt sie. Mit den Themen der Generationenberatung gelinge aber eine andere Motivation zum Abschluss der Finanzprodukte. „Generationenberater berichten, dass es keine Seltenheit ist, dass die älteren Kunden Schenkungen für Kinder und Enkel in Form von Abschlüssen von Altersvorsorgeprodukten, Geldanlagen und Risikoprodukten vornehmen. Unsere Devise ist also, mit rechtliche Vorkehrungen Finanzprodukte zu verkaufen – und umgekehrt“, so Winkler. In den Seminaren empfehle ihr Institut, die Kunden auf die ungelösten Themen des Älterwerdens anzusprechen: Vollmachten, Verfügungen, Liquidität im Pflegefall und Testament. „In den meisten Fällen besteht durch unsere konzeptionelle Vorgehensweise mit vielen Verfügungen und Übersichten Handlungsbedarf. Dabei ist es sehr leicht, im logischen Zusammenhang von Vollmachten, Verfügungen und Testament zu Geldanlage-Produkten zu gelangen. Diese Art der Ansprache haben schon viele Berater zur erfolgreichen Terminvereinbarung genutzt“, sagt Winkler.
Doch für eine erfolgreiche Beratung braucht es auch passende Produktangebote. Nach Einschätzung der Experten eignet sich die Produktwelt der Versicherungs- und Finanzbranche durchaus dafür, den Bedürfnissen der Best Ager gerecht zu werden. „Bei den meisten Versicherern passt die Produktwelt“, sagt Winkler. Handlungsbedarf besteht ihrer Meinung nach direkt bei den Beratern, um weitere Dienstleistungen, die dem Finanzgeschäft sehr nahe sind – wie Testamentsvollstreckung, Nachlass-Service, die eigentliche Generationenberatung oder Immobiliengeschäfte – neben dem Standard-Geschäft anzubieten. „Auch für Generalagenturen bringt eine solche konkrete Öffnung mehr Umsatz für das Kerngeschäft und die gewünschten neuen Kunden durch Empfehlungen. Das verstärkt nicht nur die Bindung zum Kunden, sondern bringt sehr gute Erträge für alle“, betont sie.
„Im Hinblick auf Finanzprodukte gibt es durchaus passende Angebote für die Zielgruppe 50plus“, sagt auch Soha und wirft einen vergleichenden Blick über den Atlantik. „Beispielsweise haben sich Lebenszyklusfonds, also Fonds, deren Anlagemix sich dem Alter der Investoren anpasst, in den USA als wichtiger Baustein für die Altersvorsorge etabliert. Denn dort müssen viele Arbeitnehmer im Rahmen des betrieblichen Altersvorsorgemodells ‚Defined Contribution‘ selbst festlegen, wie sie ihre Beiträge auf verschiedene Anlagemöglichkeiten aufteilen und sich ebenfalls um die Umschichtung gemäß ihrer Risikobedürfnisse kümmern. Lebenszyklusfonds eignen sich ideal für so eine langfristige und zielgerichtete Anlage.“ In Europa ließen sich derartige Lebenszyklusmodelle seiner Einschätzung nach effizient und kostengünstig mit Hilfe von globalen Aktien- und Anleihen-ETFs auf breit diversifizierte Indizes nachbauen. „Im Hinblick auf Versicherungsprodukte eignen sich fondsgebundene Lebensversicherungen auch für Best Ager. Diese Produkte punkten insbesondere damit, dass sie nicht nur für den Vermögensaufbau, sondern auch für die Entnahmephase und die Vermögensübertragung einen steuerlich effizienten Mantel bieten können.“
Großen Beratungsbedarf gibt es auch im Bereich der Wiederanlage: In Deutschland gibt es rund 83 Millionen Lebens- und Rentenversicherungen, doch laut einer Studie der Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners aus dem vergangenen Jahr liegt die Wiederanlagequote bei gerade einmal 13,5 Prozent. „Grundsätzlich variiert die Quote natürlich zwischen den Häusern, weil sie unterschiedliche Definitionen anlegen wie Volumen in Euro versus Policen, weil ihr Kanalmix variiert oder weil enge Kooperationen mit der Bank andere Möglichkeiten der Wiederanlage erlauben. Trotzdem zeigt unsere Studie auch bei gleicher Ausgangslage Unterschiede, die auf grundlegende Prozesse zurückzuführen sind. Sowohl in Kontaktaufnahme und Terminvereinbarung als auch in Beratung und Verkauf gibt es deutlichen Nachholbedarf“, sagt Frank Gehrig, Partner und Insurance Specialist bei Simon-Kucher. „Während der langen Laufzeit findet meist kaum oder keine persönliche Interaktion mit dem Kunden statt. Die Daten sind also komplett veraltet und der Agent ist oft schon im Ruhestand. Da es keine persönliche Verbindung gibt, ist die Hürde der Kontaktaufnahme sehr hoch. Diese erfolgt dann meist zu spät und weitgehend unvorbereitet.“ Um die Chance einer Wiederanlage zu erhöhen, sollten Kunden schon ein Jahr vor Vertragsende kontaktiert werden, rät Gehring. „In Beratung und Verkauf beschränken sich viele Versicherer eigenen Angaben zufolge dann nur darauf, die reibungslose Abwicklung des Vertrags und die Auszahlung der entsprechenden Versicherungssumme sicherzustellen. Das liegt auch daran, dass finanzielle Anreize an weitgehend gesättigten Vermittlern abprallen.“
Politische Rahmenbedingungen müssen sich verbessern
Auch die Beratung sei aufgrund des mangelnden persönlichen Kontakts während der gesamten Laufzeit und des schwierigen Produktangebots herausfordernd, betont Gehring: „Verkäufer treffen auf eine heterogene Gruppe, zu der sie keinerlei Bindung haben. Die Kunden unterscheiden sich sehr stark in ihrer Überzeugung für oder gegen die Wiederanlage.“ Ein häufiger Fehler sei, dass Vermittler ihren Kunden nahelegen, die gesamte Versicherungssumme wiederanzulegen. „Das ist unrealistisch, denn natürlich wollen diese etwas von ihrem Geld sehen, das sie 25 oder 30 Jahre lang einbezahlt haben.“ Versicherer müssten Kunden, für die Wiederanlageangebote attraktiv sind, identifizieren und analysieren. „Was ist ihr Kundenwert, welche Bedürfnisse haben sie? Auf diesen Informationen aufbauend lassen sich dann passgenaue Produkte entwickeln, die zum Beispiel eher auf Sicherheit oder Rendite abzielen“, so Gehring.
Laut Margit Winkler liegt es an der langfristigen Ausrichtung der Beratung, dass das Thema Wiederanlage bei Vermittlern nicht im Fokus steht. „Kurz zuvor – was dem Berater gefallen wird – ist es meist zu spät. Etwa ein Jahr zuvor ist es zu aufwendig, denn der Ertrag liegt zu sehr in der Zukunft und wahrscheinlich sind mehrere Beratungen notwendig.“ Für eine erfolgreiche Wiederanlage-Beratung rät sie dazu, nicht mit der Tür ins Haus zu fallen. Ihr Tipp: „Etwa ein Jahr zuvor den Kunden zur Generationenberatung abholen. Dabei kommt es automatisch zur Wiederanlage-Beratung. Nun hat der Berater eine engere Bindung zum Kunden geschaffen, mit der Generationenberatung ist bereits Geld verdient und er kann mit völlig anderen, sehr emotionalen Argumenten oder wegen der Ersparnis der Schenkung- und Erbschaftsteuer sehr gut überzeugen.“
Um Best Ager künftig noch besser beraten zu können, müssen sich nach Einschätzung von Soha aber auch die politischen Rahmenbedingungen verbessern. „Im Hinblick auf die Generation 50plus, aber auch auf die jüngeren Altersklassen in der deutschen Bevölkerung, sollten mehr Menschen zum Anlegen für den Ruhestand ermutigt werden. Viele von ihnen wissen nicht, wie sie fürs Alter sparen sollen – möglicherweise aufgrund von mangelndem Verständnis der Finanzmärkte und -produkte, fehlendem Vertrauen in Produktanbieter und -vermittler, oder wegen hoher Gebühren“, sagt er. Doch nicht nur auf Bundes-, sondern auch auf EU-Ebene könne die Politik mehr tun, um den Bürgerinnen und Bürgern einen sorgenfreien Ruhestand zu ermöglichen. „Neben dem Ermutigen zum Sparen für das Alter sollten die bestehenden Regeln für die Altersvorsorge möglichst EU-weit vereinfacht und harmonisiert werden. Dadurch könnten einige der bestehenden Eintrittsbarrieren gesenkt werden. Und außerdem sollten alle EU-Bürger Zugang zu einem fairen Vorsorge-Modell haben, das angemessene Beratung, Begleitung und geeignete Investment-Produkte zu vernünftigen Konditionen bietet. Ziel sollte es sein, allen Anlegern den Zugang zu passenden, kapitalmarktorientierten und kosteneffizienten Altersvorsorgeprodukten zu ermöglichen.“
Best Ager Christian Rach hatte im Cash.-Interview übrigens noch einen wichtigen Tipp für die Auswahl des richtigen Beraters: „Bei so wichtigen Themen wie der persönlichen Zukunft und der Alterssicherung sollte man sich zunächst mal kennenlernen und prüfen, ob man von der Lebens- und Investmentphilosophie her überhaupt zusammenpasst. Und das habe ich getan. Deshalb bitte auch bei der Altersvorsorge genau prüfen, mit wem man da vertrauensvoll zusammenarbeiten möchte.“
Kim Brodtmann, Cash.