Mit Gesetzen und ihrer Wirkung ist es immer so eine Sache. Da verbessert die Politik mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz 2018 die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die betriebliche Altersvorsorge. Doch, das, was als Booster gedacht war, zündete nicht in dem Maße, wie sich ihre Macher das erhofft hatten. Sechs Jahre später, im Januar 2024, reibt man sich nun die Augen. Denn spricht man mit den bAV-Verantwortlichen der Branche, zeigen die sich inzwischen überzeugt, dass die bAV, die bereits 2023 mit guten Umsatzzahlen aufwartete, im Vertriebsjahr 2024 zu einem strategischen Eckfeiler in der Lebensversicherung werden dürfte.
„Der Arbeitskräftemangel ist der große Motor der bAV“, benennt Dr. Henriette Meissner, Geschäftsführerin der Stuttgarter Vorsorge-Management GmbH dem Impulsgeber. Laut Meissner war 2023 mit einem Plus von beachtlichen 40 Prozent ein Rekordjahr für die Stuttgarter. „Das ist in unruhigen Zeiten ein besonderer Wert“, so Meissner weiter. Hochzufrieden zeigt sich auch Jochen Prost, Leiter bAV-Unterstützung bei der Alte Leipziger Lebensversicherung. Trotz Ukraine-Krieg, einer Inflationsrate von durchschnittlich 5,7 Prozent in 2023, verbunden mit einer schrumpfenden Wirtschaft und verunsicherten Menschen habe sich das bAV-Geschäft sehr positiv entwickelt, sagt auch der Leiter der bAV-Vertriebsunterstützung der Alte Leipziger Lebensversicherung. Und es sind keine Einzelmeinungen. Alle im Rahmen der Recherche befragten Unternehmen bestätigten gegenüber Cash., dass sie die bAV-Umsätze im Jahr 2023 gegenüber 2022 ausbauen konnten. Von der Krise keine Spur, zumindest gilt das im Segment der Altersvorsorge für die bAV.
„Die betriebliche Altersvorsorge nimmt jedes Jahr eine größere Rolle ein und wird 2024 ein wichtiger Geschäftsbereich sein“, zeigt sich Christine Schönteich, Geschäftsführerin von Deutschlands größtem Maklerpool Fonds Finanz. Auch Jung, DMS & Cie. Vorstandsvorsitzender Dr. Sebastian Grabmaier sieht die bAV voll im strategischen Fokus des Maklerpools: „Wir erwarten hier einen Umsatzsprung für unsere Makler“, prognostiziert Grabmaier.
Die betriebliche Altersversorgung (bAV) als zentralen Altersversorgungsbaustein neben der gesetzlichen Rente zu etablieren, das war vor dem Hintergrund einer der zentralen Gedanken, den die Politik mit der Einführung des Betriebsrentenstärkungsgesetzes (BRSG) zum 1. Januar 2018 verfolgt hatte. Wie notwendig die bAV als weiteres finanzielles Standbein für die Rente ist, zeigte eine Anfrage der Linken beim Bundesarbeitsministerium. Demnach erhalten Seniorinnen und Senioren 1.543 Euro gesetzliche Rente monatlich in Deutschland, im Schnitt. Wenn sie 45 Jahre in die Rentenkasse eingezahlt haben. Dabei gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen den Geschlechtern. So erhalten Männer im Schnitt 1.637 Euro, Frauen hingegen nur 1.323 Euro. Das ist nicht viel. Und vor dem Hintergrund der deutlich gestiegenen Lebenshaltungskosten reichen 1.543 Euro allein für ein auskömmliches Leben im Alter längst nicht mehr aus.
„Es gibt vieleAnsatzpunkte, etwa die doppelte Förderung der arbeitgeberfinanzierten Versorgung.“
Das scheinen auch die Deutschen zu ahnen, wie eine Umfrage des Deutschen Instituts für Altersvorsorge aus Dezember 2023 zeigt. Demnach gehen knapp drei Viertel der Befragten davon aus, dass sie im Rentenalter ihren Lebensstandard senken müssen. Nur 22 Prozent erwarten einen gleichbleibenden Lebensstandard. Und gerade sieben Prozent rechnen mit mehr Geld im Alter. Die erwarteten Einschränkungen führen aber nur bei einem Drittel zu einer zusätzlichen Altersvorsorge. So schätzen 36 Prozent der Befragten ein, dass sie nicht ausreichend vorgesorgt haben, wollen aber aus diesem Grund in den nächsten zwölf Monaten weitere Rücklagen fürs Alter anlegen. 29 Prozent sehen ihre Altersvorsorge als ausreichend an. Ein Drittel weiß heute schon, dass im Alter das Geld nicht reichen wird, plant aber in den kommenden zwölf Monaten keine weitere Vorsorge. Die Umfrage macht deutlich: Wenn Altersarmut verhindert werden soll und die Menschen privat kein Geld für die eigentlich notwendige Altersvorsorge in die Hand nehmen wollen, bleibt nur der Umweg über den Arbeitgeber.
Aus Marktforschungen und unserer eigenen Erfahrung wissen wir, dass die Menschen grundsätzlich eine hohe Bereitschaft für die betriebliche Altersvorsorge haben. Sie vertrauen ihren Arbeitgebern und profitieren von staatlichen Förderungen“, sagt Hubertus Harenberg, Bereichsleiter bAV und Firmenkundengeschäft bei Swiss Life. Gerade das BRSG war und sei eine wichtige Gesetzesinitiative, die viel zur Verbreitung der bAV beigesteuert habe.
Fabian von Löbbecke, Vorstandsvorsitzender der HDI Pensionsmanagement AG, pflichtet Harenberg bei: „Das BRSG hat viel bewirkt. Betriebliche Altersvorsorge ist vielleicht nicht immer einfacher, dafür aber selbstverständlicher geworden. Der verpflichtende Arbeitgeberzuschuss hat einen neuen Mindeststandard gesetzt und damit die bAV eindeutig gestärkt.“ Eine bAV-Studie von Deloitte aus dem Jahr 2022 zeige zudem, dass bei Arbeitnehmenden der Arbeitgeberzuschuss als ausschlaggebendes Argument für eine bAV deutlich zugelegt habe. „Und auch das Sozialpartnermodell hat wichtige Diskussionen um Garantien und Tarifautonomien in der bAV in Gang gesetzt. Kurz gesagt, das BRSG war ein erster guter Wurf“, sagt von Löbbecke.
Stuttgarter bAV-Expertin Meissner zeigt sich mit dem BRSG ebenfalls zufrieden. „Das BRSG hat positive Signale gesetzt, zum Beispiel die Erhöhung des steuerlichen Förderrahmens nach Paragraph 3 Nr. 63 EstG und den verpflichtenden Zuschuss zur Entgeltumwandlung nach Paragraph 1a Abs. 1a BetrAVG“, sagt sie. Da man im Dialog mit den Geschäftspartnern sehr früh die richtigen Impulse gesetzt habe, seien vor dem Hintergrund der Mitarbeiterbindung der Arbeitgeberzuschuss deutlich höher ausgefallen. „2024 sollte in der bAV der Fokus noch mehr auf die Arbeitgeberfinanzierung gesetzt werden um im Wettbewerb um Arbeitskräfte im Mittelstand auch erfolgreich zu sein. Da gibt es viele Ansatzpunkte, zum Beispiel die doppelte Förderung der arbeitgeberfinanzierten Versorgung“, so Meissner. Dort seien Förderungen bis 51 Prozent möglich.
Es gibt aber auch kritischere Stimmen: Natürlich hätten die Erhöhung des Förderrahmens oder die Einführung des Arbeitgeberzuschusses durchaus positive Effekte, sagt Dr. Andreas Behrens, Senior Manager Sales Operations and Solutions bei Canada Life. Allerdings habe gerade das Sozialpartnermodell nicht den erhofften Schub erzielt. „Die Anzahl der angebotenen Modelle liegt weit hinter den Erwartungen zurück. Und schaut man sich den Verbreitungsgrad der bAV an, geht es laut GDV-Angaben derzeit nicht voran, vor allem im Mittelstand. Hier komme das schwierige wirtschaftliche Umfeld ins Spiel und im Bereich der klassischen Tarife auch die Folgen der Niedrigzinsphase, die die Erwirtschaftung der Garantien erschwerten. Swiss Life-Mann Harenberg sieht Nachbesserungsbedarf: Dazu gehöre unter anderem die zukunftsfähige Ausgestaltung der Paragraph 100 Förderung etwa durch eine Dynamisierung der förderfähigen Einkommensgrenze.
Nach Aussage von JDC-Chef Grabmaier ist es insbesondere einer mangelnden Konsolidierung und Digitalisierung geschuldet, dass vielen Arbeitgebern schlichtweg der Überblick über das vorhandene bAV-Portfolio fehle. „Zudem wird die Verwaltung der Verträge als Last für die Personalabteilung wahrgenommen, die die „Begeisterung“ für das Thema bAV hemmt. So haben trotz des gesetzlichen Rechtsanspruches der Arbeitnehmer 55 Prozent der Arbeitgeber noch kein bAV-Angebot, beklagt Grabmaier. Mitverantwortlich macht der JDC-CEO hierfür aber auch den Vertrieb. Viele Vermittler würden sich immer noch nicht an das Thema bAV „herantrauen“, weil es zu komplex erscheine. Der Makler-Pool versucht, mit entsprechenden Schulungen und Webinar-Angeboten gegenzusteuern. „Denn eine größere Vertriebschance ist kaum vorstellbar“, betont Grabmaier.
Doch was heißt komplex? „Betriebliche Altersvorsorge ist zunächst einmal Arbeitsrecht, das von umfänglichen steuerrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Aspekten flankiert wird. Das steigert auch die Komplexität entsprechender Produkte, die dafür zum Einsatz kommen“, bestätigt Per Protoschill, Leiter Vertriebsunterstützung bAV und Prokurist der Stuttgarter Vorsorgemanagement. Zudem kommt ein weiterer Vertragsbeteiligter ins Spiel. „Eine bAV muss sozusagen zweimal verkauft werden – einmal an den Arbeitgebenden und im zweiten Schritt auch an den Arbeitnehmenden. Zwar gestaltet sich der Prozess auf den ersten Blick aufwändiger, dafür wird er in der Regel durch das Zugangsrecht für eine ganze Belegschaft und den hohen Förderhebel einer bAV“, sekundiert von Löbbecke. Entscheidend für eine rechtssichere und effiziente Umsetzung einer bAV sei es, Vertriebspartnerinnen und Vertriebspartnern für die Beratung und die Implementierung den geeigneten Support zu bieten. Laut von Löbbecke ist für die Komplexität weniger die Produktarchitektur verantwortlich, sondern die gesetzlichen Rahmenbedingungen, die in der Beratung und der Implementierung einer bAV zu beachten sind. „Weil bAV-Produkte rechtlich mit Mindestgarantien ausgestattet sind, fällt eine Beratung sogar leichter“, argumentiert der HDI-Vorstand. Um den Beratungsaufwand und die Anlageentscheidungen zu erleichtern, setzt beispielsweise HDI bei seinem bAV-Produkt „SafeInvest“ auf drei vorkonfektionierte Investmentportfolios. „So kann die aufwändige Erklärung, Auswahl und Dokumentation entfallen“, erklärt von Löbbecke.
Gleichwohl: Viele Unternehmen verbinden mit betrieblichen Vorsorgelösungen einen hohen Organisations- und Personalaufwand. Was auch der Tatsache geschuldet sein dürfte, dass gerade im KMU-Segment vielen Firmen die Verpflichtungen und Möglichkeiten nicht bekannt sind. „Insofern besteht die größte vertriebliche Hürde darin, den Arbeitgebern klarzumachen, dass für die Einrichtung einer bAV oder betrieblichen Krankenversicherung keine großen, eigenen personellen und finanziellen Ressourcen bereitgestellt werden müssen, wenn man entsprechende Tools nutzt“, erklärt Grabmaier. Neben einer Beratung des Arbeitgebers und seiner Belegschaft durch den Vermittler ist daher auch die Gewährleistung schlanker Prozesse in der Bestandsverwaltung ein gewichtiges Argument, um die bAV zu einer Erfolgsgeschichte werden zu lassen. „An einer digitalen Lösung – vom Beratungs- und Antragsprozess bis hin zur Vertragsverwaltung führt kein Weg vorbei“, betont die Fonds Finanz-Geschäftsführerin Schönteich.
Fonds Finanz kooperiert seit mehreren Jahren mit der digitalen bAV-Plattform Xempus aus München und bietet sie ihren Vertriebspartnern kostenfrei an. Xempus Advisor schaffe mit seinen umfassenden Konfigurationsmöglichkeiten die Grundlage für professionelle Mitarbeiterberatungen, sagt die Vertriebsexpertin. Komplexe Sachverhalte werden in nutzerfreundlicher Ansicht dargestellt und im Mitarbeiterinfoportal können sich die Angestellten und Arbeiter zu den persönlichen Fördermöglichkeiten informieren, so Schönteich weiter. Zudem können Arbeitgeber auch eine vollständige bAV-Selbstabschlusstrecke anbieten. Für die Arbeitgeber seien die die digitalen Prozesse in der bAV inzwischen unerlässlich, um einen hohen Verwaltungsaufwand zu vermeiden, betont Schönteich nachdrücklich.
„Hinter einer hohen Durchdringung in der Belegschaft steht auch immer eine intensive Kommunikation.“
„Das Thema wird zunehmend wichtiger“, sagt auch Canada Life-Vertriebsexperte Behrens. Der kanadische Lebensversicherer setzt seit 2022 ebenfalls auf die Xempus-Plattform und erweitert die digitalen Optionen nun um ein Postfach. „Das ermöglicht den Arbeitgebern, nun auch den gesamten Schriftverkehr mit Canada Life zu bAV-Vertr ägen digital zu führen“, erläutert Behrens. Der Versicherer bietet nun Arbeitgebern die Möglichkeit, die Versicherungspolice in digitaler Form zu erhalten. „Dies schließt auch die Kopie für den Arbeitnehmenden mit ein. Der Service ist bislang einzigartig beim Marktführer Xempus“, so Behrens weiter.
Die Erleichterung der Verwaltung ist laut Grabmaier auch das Vertriebsargument. Dennoch bleibt sie nur ein Puzzleteil zum Vertriebserfolg. „Eine verständliche Aufbereitung und entsprechende Kommunikation sind das Zünglein an der Waage“, sagt der Leiter der bAV-Vertriebsunterstützung bei der Alte Leipziger Leben, Prost. „Betriebliche Altersvorsorge ist Chefsache“, ergänzt Stuttgarter-Mann Protoschill. „Das heißt zum einen, dass der Arbeitgeber den Gestaltungsrahmen setzt hinsichtlich des Durchführungsweges und insbesondere der Höhe, eigener Beiträge, die von ihm zur Versorgung de eschäftigten kommen.“ In der Praxis zeige sich aber, dass hinter einer hohen Durchdringung in der Belegschaft auch immer eine intensive Kommunikation der Geschäftsleitung und des Personalbereichs stehen. „Deren Kommunikationsarbeit mit der optimalen Eindeckung und Implementierung von guten Prozessen zu unterstützen, ist die anspruchsvolle Aufgabe des Vermittlers“, sagt Protoschill.