Betriebliche Altersvorsorge: Immer noch zu komplex

Foto: HDI
Fabian von Löbbecke: "Die bAV ist meines Erachtens besser, aber leider auch komplexer geworden."

EXKLUSIV Wo steht die betriebliche Altersvorsorge? Wie haben sich staatliche Fördermaßnahmen, der Trend zur Nachhaltigkeit und die Digitalisierung auf die Nachfrage ausgewirkt? Und wie geht es angesichts neuer Regularien weiter? Cash. hat ein Stimmungsbild bei führenden Marktplayern erhoben. Von Oliver Lepold

Zum Jahresende 2017 meldete der GDV 15,78 Millionen bAV-Verträge, davon 8,11 Millionen Direktversicherungen. Anfang 2018 wurde das Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) eingeführt, mit dem klaren Ziel, die Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge dank neuer Anreize deutlich auszuweiten. Dazu gehörten die Einführung eines obligatorischen Arbeitgeberzuschuss, eine Geringverdiener-Förderung, die Anhebung des Dotierungsspielraums für versicherungsförmige bAV-Lösungen, eine neue Versorgungsgrenze für die Grundsicherung und Erleichterungen in der Riester-bAV.

Sechs Jahre später, Ende 2023, sind es zwar laut GDV mehr Verträge geworden: 16,55 Millionen insgesamt (+4,9 Prozent) und 8,78 Millionen Direktversicherungen (+8,3 Prozent, siehe Grafik). Doch das muss relativiert werden: „Im Zuge des gleichzeitig erfolgten Beschäftigungsaufbaus hat sich die Verbreitungsquote von ca. 53,5 Prozent in den letzten Jahren kaum verbessert“, heißt es nüchtern in den Vorbemerkungen zum Gesetzentwurf für ein neues BRSG. Die bAV als sinnvolle Ergänzung der gesetzlichen Rentenversicherung müsse deshalb quantitativ und qualitativ weiter ausgebaut und gestärkt werden. „Dies gilt vor allem für Bereiche, in denen nach wie vor große Verbreitungslücken bestehen, also in kleineren Unternehmen und bei Beschäftigten mit geringen Einkommen“, heißt es eingangs des Entwurfs für das 2. Betriebsrentenstärkungsgesetz, den das Kabinett jüngst am 18. September 2024 beschloss.

Das Gesetz soll voraussichtlich bis Februar 2025 in Kraft treten. Die Versicherungsbranche beurteilt das BRSG I aus heutiger Sicht als wichtigen Schritt, kritisiert aber die Schwachpunkte, die die Beratung erschweren. „Die bAV ist meines Erachtens besser, aber leider auch nochmals komplexer geworden“, sagt Fabian von Löbbecke, Vorstand der HDI Lebensversicherung AG, verantwortlich für den Bereich Neugeschäft Leben und bAV. „So ergibt sich durch die unterschiedliche Höhe des steuerlichen und des sozialversicherungsrechtlichen Dotierungsrahmens großer Steuerungs- und Erklärungsbedarf mit zusätzlichen Stolperfallen. Auch bei einer praxistauglichen Umsetzung des 15-prozentigen Arbeitgeberzuschuss steckt der Teufel oft im Detail. Eine Spitzabrechnung verursacht hohen administrativen Aufwand und birgt Fehlerquellen“, betont von Löbbecke

BRSG – viele Baustellen bleiben

„Man hätte auch Hand an die Vererbbarkeit von bAV-Guthaben legen sollen, denn auch das hält Arbeitnehmer, die eben niemanden aus einer der bezugsberechtigten Personengruppen haben, vom Abschluss ab – und die bestehende Sterbegeldregelung ist mit 8.000 Euro bei Verträgen, bei denen es auch um sechsstellige Guthaben gehen kann, schlicht ein Witz“, sagt Dr. Johannes Neder, Vorstand des Maklerverbundes VEMA. Auch, ob Auszahlungen wirklich wie Einkommen versteuert und abgabenbelastet werden müssen, könnte nochmal durchdacht werden. „Man möchte ja Altersarmut damit vermeiden, dass möglichst viele Bürger in die betriebliche Altersvorsorge sparen“, unterstreicht Neder.

Dr. Johannes Neder, Vorstand Vema
Dr. Johannes Neder, Vorstand Vema

Einige Kritikpunkte werden im Steuerrecht nun entschärft: Arbeitgeberbeiträge sollen künftig bis höchstens 1.200 Euro p.a. (bislang maximal 960 Euro p.a.) mit einer Lohnsteuerfreistellung gefördert und der maximale bAV-Förderbetrag für den Arbeitgeber von 288 Euro auf 360 Euro p.a. erhöht werden. Außerdem soll die förderfähige Einkommensgrenze dynamisiert werden. „Das war anfänglich sehr kompliziert und insbesondere mit einer festen Einkommensgrenze versehen, wer überhaupt förderberechtigt ist. Durch Lohnerhöhung wachsen die Berechtigten heraus. Das wird nun – endlich – durch eine Dynamisierung auf drei Prozent der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) abgeschafft“, so Per Protoschill, Geschäftsführer bAV und Leiter Vertriebsunterstützung der Stuttgarter Lebensversicherung.

Protoschill nennt zudem weitere Baustellen: So wäre es konsequent gewesen, die Dynamisierung auch im Rahmen der Grundsicherung im Alter nach § 82 SGB XII nachzuziehen. „Dort wird nach wie vor ein fester Sockelbetrag von 100 Euro pauschal von der Anrechnung einer bAV ausgenommen. Eine Dynamisierung würde auch hier Impulse für eine eigene Vorsorge setzen,“ so der bAV-Experte der Stuttgarter. Auch dass Anwärter mit hohem Einkommen zwar von bis zu acht Prozent der BBG profitieren können, aber alles über vier Prozent sozialversicherungpflichtig sei. „Das ist bis heute nicht angepasst worden und bleibt ein Hindernis. Das sollte nachjustiert werden“, rät Protoschill.

Per Protoschill ergänzt als dritter Geschäftsführer die Leitung der Stuttgarter Vorsorge-Management
Per Protoschill, Geschäftsführung Stuttgarter Vorsorge-Management

Generell plädieren die Versicherer für eine Reduzierung der bürokratischen Prozesse und Regelungen bei der bAV-Einrichtung, „beispielsweise die Dokumentations- und Nachweispflichten des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer. Das würde eine volldigitale Einführung und Verwaltung der bAV ermöglichen“, betont Matthias Sattler, Leiter Vertrieb der Alte Leipziger Lebensversicherung. Sattler sieht zudem eine große Chance in Optionsmodellen, bei denen Mitarbeitende ohne aktiven Widerspruch automatisch an der bAV teilnehmen.

„Wenn diese auch außerhalb von Tarifverträgen möglich wären, könnte das die Verbreitung der bAV deutlich steigern“, so der bAV-Experte. Zwar soll die freiwillige Einführung von Opting-Out-Systemen zur automatischen Entgeltumwandlung auf Betriebsebene erleichtert werden. Doch ein wie in Großbritannien mit großem Erfolg geltendes gesetzliches Betriebsrenten-Obligatorium wird im aktuellen Gesetzentwurf abgelehnt.

Seite 2: Warum die Arbeitgeber bereit sind, mehr Geld in die Hand zu nehmen

Lesen Sie hier, wie es weitergeht.

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