EXKLUSIV

Betriebliche Altervorsorge: Vergeudete Jahre?

Doch warum tritt der Markt auf der Stelle, wenn das Geschäft gut läuft? Martin Bockelmann, Gründer und Co-CEO von Xempus, sieht einen Bremsschuh in der innerbetrieblichen Kommunikation. „Eine Studie von PWC zeigt, dass bei der Hälfte der Unternehmen, die eine Möglichkeit zur Entgeltumwandlung anbieten, nur 40 Prozent der Arbeitnehmer das Angebot auch wirklich nutzen. Hier zeigt sich, dass eine verständliche Kommunikation entscheidend ist, um zur Verbreitung beizutragen. Nur wenn Arbeitnehmer das Angebot verstehen, werden sie es auch annehmen und nutzen.“

Martin Bockelmann
Martin Bockelmann, CO-CEO von Xempus

Hinzu kommen der administrative Aufwand und die Komplexität. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen sei das eine Hürde und halte viele Arbeitgeber davon ab, ihren Mitarbeitenden eine bAV anzubieten. In diesem Zusammenhang fordert ALH-bAV-Expertin Puchowski eine Vereinfachung der bürokratischen Prozesse und Regelungen bei der Einrichtung einer bAV, etwa bei den Dokumentations- und Nachweispflichten des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer. „Das würde eine volldigitale Einführung und Verwaltung der bAV ermöglichen.“

Darüber hinaus gibt es insbesondere im KMU-Segment nach wie vor Informationsbedarf. „Beispielsweise zu der hochinteressanten Förderung für Niedrigverdiener mit Paragraph 100 EStG. Hier ist eine doppelte Förderung bis zu 50 Prozent drin, wenn sie Beiträge für eine bAV für ihre Belegschaft finanzieren“, sagt Per Protoschill, Geschäftsführer der Stuttgarter Vorsorge-Management GmbH und Leitung der bAV-Vertriebsunterstützung. Dr. Johannes Neder, Vorstand der Maklergenossenschaft VEMA, sieht in dem oftmals nur rudimentär bestehenden Personalwesen bei kleinen und mittleren Firmen eine weitere Ursache. „Bei kleinen und mittleren Firmen gibt es oft kein richtiges Personalmanagement, das sich mit Versorgungsordnungen und all solchen Dingen befasst, solange es nicht wirklich sein muss. Von den Mitarbeitenden wird bAV in der Regel selten angefragt, also bestellt man dieses Themenfeld oft auch nicht aktiv.“

Hinzu komme, dass Vermittler das Thema auch nicht oft ansprächen, da sie entweder durch ihre Spezialisierung generell kein Personengeschäft anstreben oder mangels tieferer Kenntnisse oder eines Kooperationspartners zu viel Respekt vor der Thematik haben, als dass sie aktiv werden möchten. „Wenn weder Firma noch Vermittler tätig werden, kommt genau diese Unwissenheit dabei heraus“, sagt Neder. Seit Inkrafttreten des BRSG sei der Bestand an bAV-Verträgen quer durch alle Durchführungswege um etwas über eine halbe Million Verträge gewachsen. 2017 waren es sogar noch eine dreiviertel Million Verträge weniger. „Der größte Teil davon entfällt auf Direktversicherungen, wo man den „einfachen Arbeiter“, den „typischen Angestellten“ vermuten darf. Also genau die Personen, die am dringendsten fürs Alter vorsorgen müssen. Daher darf man wohl schon von einem Erfolg des BRSG sprechen“, bilanziert der Vertriebsexperte.

Quer durch die Branche wird bedauert, dass das Aus der Bundesregierung das BRSG II kurz vor dem Startschuss jäh gestoppt hat. Fabian von Löbbecke, Vorstand HDI Lebensversicherung und verantwortlich für das Neugeschäft in der Lebensversicherung und der bAV, rechnet auch nicht mehr damit, dass die bAV-Reform noch in dieser Legislaturperiode, also vor der Bundestagswahl am 23. Februar 2025, verabschiedet wird. „Es wurde eine Legislaturperiode vergeudet, ohne dass neue Impulse für die bAV gesetzt wurden“, lautet denn auch die kritische Bilanz des bAV-Experten. Wann und wie es unter einer künftigen Bundesregierung weitergehen wird, bleibe abzuwarten. „Allein das „ob“ dürfte unstrittig sein. Denn egal, wer künftig die Regierungsverantwortung tragen wird, der Reformbedarf in der Altersvorsorge ist offenkundig“, so von Löbbecke.

Ähnlich wie Protoschill oder Opel hält auch der HDI-Vorstand eine Anhebung und Dynamisierung bei der Geringverdienerförderung (§100 EStG) für überfällig. Dadurch könne man künftig vermeiden, dass Mitarbeitende allein durch übliche tarifliche Lohnerhöhungen im Laufe der Zeit aus dem Kreis der Förderberechtigten herausfallen. „Sie wurde schon beim ursprünglichen BRSG-Gesetzentwurf im Jahr 2017 von Fachleuten angemahnt, aber vom Gesetzgeber nicht umgesetzt“, kritisiert von Löbbecke die alte Bundesregierung Merkel und insbesondere den damaligen Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Auch das Zillmerungsverbot in der Geringverdiener-Förderung sei laut von Löbbecke ein „Showstopper“. Hoffnung setzen die Versicherer zudem auf die Möglichkeit des Opt-Outs auf betrieblicher Basis. „Das würde die Durchdringung in Firmen mit Betriebsvereinbarungen zur bAV sicherlich weiter erhöhen. In der Summe glauben wir aber nicht, dass die Maßnahmen des BRSG II ausreichen, um die bAV – wie politisch gewünscht – flächendeckend einzuführen. Hierzu wäre ein Obligatorium, etwa nach Schweizer Vorbild, notwendig“, ordnet Opel ein.

„Andere, viel wichtigere Themen, die momentan noch den ein oder anderen vom Abschluss abhalten, wie etwa die eingeschränkte Vererbbarkeit oder die steuerliche Behandlung, werden weiterhin nicht angefasst. Das ist eine vertane Chance.“

Johannes Neder, Vema

Auch VEMA-Vorstand Neder sieht den BRSG-II-Entwurf kritisch. „Ob das BRSG II das weiter pusht, bleibt abzuwarten. Die Opting-Out-Lösung per Betriebsvereinbarung setzt voraus, dass man im jeweiligen Unternehmen mit einem Entscheider spricht, dem das Thema wichtig ist und dem die Versorgung seiner Mitarbeitenden am Herzen liegt. Die Niedrigverdiener werden auch mit der Neuregelung sicher nicht die erste Zielgruppe sein, die bereitwillig auf Nettoeinkommen verzichtet. Die gestiegenen Lebenshaltungskosten fordern hier ihren Tribut. Andere, viel wichtigere Themen, die momentan noch den ein oder anderen vom Abschluss abhalten, wie etwa die eingeschränkte Vererbbarkeit oder die steuerliche Behandlung, werden weiterhin nicht angefasst. Das ist eine vertane Chance“, sagt Neder.

Zentrale Bedeutung für die Altersvorsorge

Gleichwohl wird die bAV in Zukunft eine entscheidende und damit herausragende Rolle im Altersvorsorgemix spielen. Davon zeigt sich Hubertus Harenberg, Bereichsleiter Firmenkundengeschäft und Branchenversorgung bei Swiss Life, überzeugt. Auch wenn es politisch derzeit offen ist, wie es konkret weitergeht, eines ist sicher: Eine Zusatzvorsorge zur gesetzlichen Rente ist dringender denn je – und damit steigt auch die Bedeutung der betrieblichen Altersversorgung weiter an. „Unser Wunsch an den Gesetzgeber: große Verlässlichkeit in den Rahmenbedingungen“, sagt Harenberg.

Hubertus Harenberg, Bereichsleiter bAV bei Swiss Life und Geschäftsführer der SLPM Schweizer Leben Pensionsmanagement GmbH

Verbessert haben sich hingegen die Rahmenbedingungen durch den Anstieg des Höchstrechnungszinses von 0,5 auf 1 Prozent zum 1. Januar 2025. „Grundsätzlich ist die Erhöhung des Höchstrechnungszinses (RZ) ein positives Signal für alle neuen Versicherungskunden. Je nach Laufzeit und Kollektivstufe sind auch 100-prozentige endfällige Beitragsgarantien wieder darstellbar. Doch mit Blick auf die noch immer volatile Zinssituation und die meist langfristigen Anlagehorizonte sind für den Aufbau einer auskömmlichen Versorgung kapitalmarktnahe Anlagen mit deutlich höheren Renditechancen unverzichtbar. Hier sind weiterhin Investitionen in Produktivkapital und Substanzwerte wie Aktien besonders geeignet, die durch Beimischung festverzinslicher Wertpapiere sinnvoll ergänzt werden können“, ordnet HDI-bAV-Vorstand von Löbbecke die Entwicklung ein.

Und betont, dass eine reduzierte Beitragsgarantie die Wahrscheinlichkeit einer signifikant höheren Ablaufleistung deutlich erhöhe. „Auch vor dem Hintergrund des gestiegenen RZ sehen wir keine Trendwende zurück zur 100-prozentigen Beitragsgarantie für alle Laufzeiten oder gar zur Beitragszusage mit Mindestleistung“, sagt er. Spannend sind vor dem Hintergrund die Erkenntnisse der Generali-Studie: So zeigt sich, dass beinahe zwei Drittel der dort befragten bAV-Verantwortlichen für mehr Garantieleistungen in bAV aussprechen. „Angesichts des höheren Rechnungszinses nehmen wir gerade im bAV-Bereich verstärkt den Wunsch wahr, wieder Produkt mit 100-Prozent-Beitragsgarantie anzubieten. Diesem Wunsch kommen wir ab Mitte 2025 wieder nach“, sagt ALH-bAV-Expertin Puchowski. Man verstehe das Sicherheitsbedürfnis der Anleger, versuche aber jedoch, ihnen vor Augen zu führen, dass mit einer Beitragsgarantie von 100 Prozent auch bei einem Höchstrechnungszins von 1 Prozent noch keine auskömmlichen Renditen zu erzielen seien. Auch die Gothaer wird 2025 eine 100-prozentige Beitragsgarantie sowohl in der beitragsorientierten Leistungszusage (BOLZ) als auch in einer Beitragszusage mit Mindestleistung im Kollektivgeschäft mit Firmenkunden sowie im Portfolio haben. „Gerade ältere Mitarbeitende schätzen hohe Garantien, während jüngere eher auf die langfristig natürlich deutlich entscheidendere Wirkung der Kapitalmärkte setzen“, sagt Opel.

Die Stuttgarter hat bereits pünktlich zum Jahresbeginn das Tarifangebot umgestellt. „UnsereTarife für eine BOLZ können neben dem 80-Prozent-Tarif mit höheren Renditechancen auf Wunsch auch mit 100 Prozent Beitragsgarantie abgeschlossen werden“, sagt Protoschill.

Per Protoschill ergänzt als dritter Geschäftsführer die Leitung der Stuttgarter Vorsorge-Management
Per Protoschill, Geschäftsführung Stuttgarter Vorsorge-Management

KPM Pensions & Benefits GmbH hat mit smart|pension ein bAV-Konzept entwickelt, das auf einer rückgedeckten Unterstützungskasse basiert und durch eine realitätsnahe Kalkulationsgrundlage einen garantierten Rentenfaktor von 40,27 ermöglicht. Ein Wert deutlich über dem Branchenschnitt, mit dem spürbar höhere Renten erreicht werden können. Mit der Auszahlungsoption einer Aufteilung in bis zu zehn Tranchen neben Rente und Einmalzahlung lassen sich steuerliche Freibeträge optimal nutzen. „smart|pension ist ein modernes Rentenkonzept, transparent, flexibel und zukunftsorientiert, das dem bAV-Vertrieb die Chance bietet, neue starke Impulse zu setzen“, betont Geschäftsführer Alexander Siegmund.

Für den Vertrieb bedeutet die Erweiterung des Tarifangebots sicherlich nur eine marginale zusätzliche Herausforderung. „Die Komplexität der bAV liegt unseres Erachtens weniger an der Produktarchitektur als an den gesetzlichen Rahmenbedingungen, die in der Beratung und bei Implementierung einer bAV zu beachten sind“, sagt von Löbbecke. Berater müssten neben den produktspezifischen Details auch die arbeits-, steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Regularien beherrschen. Zudem kommt ein weiterer Vertragsbeteiligter ins Spiel: „Eine bAV muss sozusagen zwei Mal beraten und verkauft werden – einmal dem Arbeitgebenden und im zweiten Schritt dem Arbeitnehmenden. Zwar gestaltet sich der Prozess auf den ersten Blick aufwändiger, dafür wird er in der Regel durch das „Zugangsrecht“ für eine ganze Belegschaft und den hohen Förderhebel einer bAV kompensiert.

Entscheidend für die rechtssichere und effiziente Umsetzung einer bAV ist es, Vertriebspartnerinnen und Vertriebspartner für die Beratung und Implementierung geeigneten Support zu bieten“, so der Vertriebsvorstand. „Insbesondere in der Arbeitnehmerberatung gewinnen digitale Ansätze zunehmend an Bedeutung. Oft helfen Erklärfilme oder digitale Präsentationen bei der Implementierung neuer Modelle in der Belegschaft“, sekundiert Julia Krath, Abteilungsleiterin Angebotsmanagement bei der Ergo Vorsorge Lebensversicherung. Digitale Tools sind somit unerlässlich und werden zum Hygienefaktor. „Das gilt sowohl für Beratung wie auch die Verwaltung“, bestätigt Fonds Finanz-Geschäftsführerin Schönteich überzeugt.

Der Maklerpool greift – wie nahezu der Rest der Branche im bAV-Segment – hier inzwischen auf die Expertise von Xempus zurück und stellt seinen Vertriebspartnern das Gesamtpaket des Software-Anbieters zur Verfügung. „Durch die Vernetzung aller Beteiligten – Vermittler, Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Produktanbieter – auf einer Plattform wird die Verwaltung der Verträge einfach. Arbeitgeber registrieren sich lediglich auf der Plattform und können dann mit wenigen Klicks alle Verträge einsehen, Änderungsmitteilungen vornehmen und ihre Mitarbeitenden über das bAV-Angebot informieren. Und das alles in Zusammenarbeit mit dem Vermittler“, sagt Xempus-Gründer Bockelmann.

Doch bei allem Enthusiasmus für digitale Services: „Ohne persönliche Beratung geht es bei komplexeren Modellen nicht“, zeigt sich Krath überzeugt. Insbesondere bei der Einrichtung des Versorgungssystems, aber auch bei der laufenden Überprüfung, wenn sich Rahmenbedingungen ändern. „Natürlich werden Beratungsgespräche in Belegschaften auch schon digital geführt, auch gänzlich digitale Prozesse, etwa bei der Vereinbarung einer Entgeltumwandlung sind möglich. Aber immer dann, wenn es um die individuelle Versorgungssituation geht, bleibt das persönliche Gespräch gefragt“, bestätigt auch Stuttgarter bAV-Experte Protoschill. Denn mit rein digitaler Beratung, ohne menschliche Interaktion, liegen die Durchdringungsquoten nach Angaben von BarmeniaGothaer-bAV-Experte Opel nur im einstelligen Prozentbereich.

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