Finanzvertriebe können künftig nur noch für Fehler oder Lücken in Emissionsprospekten haftbar gemacht werden, wenn sie diese grob fährlässig übersehen haben oder sie kannten und den Kunden nicht vor Vertragsschluss darüber informiert haben. Zudem gelten auch für die Vertriebshaftung in Zusammenhang mit den Prospekten etwaige kürzere Verjährungsfristen in Spezialgesetzen für die betreffende Kapitalanlage.
Das lässt sich aus der jetzt veröffentlichten Entscheidung des BGH zu einem im Jahr 2007 aufgelegten Schiffsfonds schließen. Die Klage richtete sich zwar gegen die Gründungsgesellschafter des Fonds, die Entscheidung beziehungsweise deren Begründung geht aber weit darüber hinaus und dürfte auch für den Vertrieb relevant sein.
Der BGH hat mit dem Beschluss die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision gegen ein Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts zurückgewiesen (XI ZR 395/21). Er hatte knapp 100.000 Euro Schadenersatz von den Gründungsgesellschaftern des Fonds verlangt.
„Durch spezialgesetzliche Regelungen verdrängt“
Dem Gericht zufolge haften die Beklagten jedoch nicht aus der sogenannten „Prospekthaftung im weiteren Sinne“, die auf Basis der Grundsätze des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zum Verschulden bei Vertragsschluss entwickelt wurde und bislang auch vielen Finanzdienstleistern – gerade auch in Zusammenhang mit geschlossenen Fonds – zum Verhängnis geworden ist. „Ein Anspruch auf dieser Grundlage wird (…) durch die Regelungen der spezialgesetzlichen Prospekthaftung verdrängt“, so der BGH.
Der Anspruch des Klägers sei deshalb verjährt. 2007 galt nach dem damaligen Verkaufsprospektgesetz lediglich eine dreijährige Verjährungsfrist für die Prospekthaftung „im engeren Sinne“, also für die unmittelbar Prospektverantwortlichen. Nur die Prospekthaftung „im weiteren Sinne“ konnte bis zu zehn Jahre, zum Beispiel auch gegen den Vertrieb, geltend gemacht werden – ein Umstand, den nicht nur viele Finanzdienstleister als höchst unfair empfanden.
Verjährt, abgewiesen, erledigt: Dabei hätte es der BGH eigentlich belassen können, zumal er die Nichtzulassungsbeschwerde zunächst mit der generellen Begründung abweist, dass „die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat (…)“.
Doch obwohl die Sicht des elften Senats des BGH in Bezug auf die Haftung von Gründungsgesellschaftern eines geschlossenen Fonds in der Tat nicht neu ist, weist das Gericht den Beschluss in seiner Datenbank als „Leitsatzentscheidung“ aus, stellt ihm zwei Leitsätze voran und begründet die Entscheidung auf nicht weniger als 20 Seiten.
Gesamte Rechtsentwicklung seit 1897 aufgedröselt
Dabei holt der BGH sehr weit aus und dröselt die gesamte Entwicklung der gesetzlichen Regelungen zur Prospekthaftung der letzten 125 Jahre auf: Seit dem Börsengesetz von 1897 (!) einschließlich der Dokumente zur Verhandlung im damaligen Reichstag sowie einem Kommentar dazu aus dem Jahr 1909.
Es geht jedoch nicht nur um die ferne Vergangenheit bis zum Jahr 2007, wie in einem solchen Beschluss bezogen auf den konkreten Fall eigentlich zu erwarten wäre. Unter anderem schreibt der BGH: „Der Vorrang der spezialgesetzlichen Prospekthaftung (…) beansprucht gleichermaßen Geltung für die spezialgesetzliche Prospekthaftung nach Paragrafen 9, 10, 14 WpPG, nach Paragrafen 20, 21 VermAnlG sowie nach Paragraf 306 KAGB.“ Dabei handelt es sich um die heutigen Vorschriften zur Prospekthaftung in den Spezialgesetzen zu Wertpapieren, Vermögensanlagen und Investmentvermögen. Die Begründung des BGH geht also weit über die eigentliche Entscheidung hinaus.
So erläutert er, die „gegenwärtig“ im Wertpapierprospektgesetz, Vermögensanlagengesetz und Kapitalanlagegesetzbuch geregelten Prospekthaftungsansprüche stimmten „in Tatbestand und Rechtsfolge weitgehend überein.“ Von einem auf das BGB gestützten Anspruch unterscheiden sie sich (heute) demnach „insbesondere in dem auf Vorsatz und grober Fahrlässigkeit reduzierten Verschuldensmaßstab und in der Ausgestaltung der Rechtsfolge ‚als eine Art modifiziertes Rücktrittsrecht‘ (…) anstelle eines Anspruchs auf Schadensersatz im Sinne von Paragraf 249 BGB.“
Will der 11. Senat ein für allemal aufräumen?
Der BGH stellt zudem in Zusammenhang mit dem Hinweis, dass für die Prospektverantwortlichen die schriftliche Information des Kunden durch einen standardisierten Prospekt ausreicht, fest: „Nichts anderes gilt für den der investmentrechtlichen Prospekthaftung unterliegenden Anlageberater und -vermittler“. So weitreichende Ausschweifungen des BGH sind selbst in einer Leitsatzentscheidung höchst ungewöhnlich, weil es in dem Ausgangsfall überhaupt nicht um den Vertrieb geht.
Offenbar will der elfte Senat des BGH ein für allemal mit der unsäglichen Rechtsprechung vor allem des zweiten und dritten Senats aufräumen, wonach der Vertrieb und andere, die gar nicht primär für den Prospekt verantwortlich sind, am Ende ein Haftungsrisiko für dessen Inhalt haben, das zeitlich und inhaltlich erheblich weitreichender ist als für den Emittenten oder Anbieter selbst.
Schädlich in Sachen Vertriebshaftung sind neben grober Fahrlässigkeit und dem wissentlichen Verschweigen von Prospektfehlern selbstverständlich weiterhin Dinge wie falsche und vom Prospekt abweichende Angaben oder Zusagen des Finanzdienstleisters sowie Verstöße gegen gesetzliche Pflichten oder gegen individuelle Vereinbarungen im Beratungsvertrag.